„Alle Seiten an einen Tisch holen“

PHARMAustria: Lieferengpässe bei Arzneimitteln nehmen in Österreich wie auch in der EU zu. Eine Taskforce und Ihre Vorgängerin in der Übergangsregierung haben eine Verordnung ausgearbeitet, die hier gegensteuern soll. Diese haben Sie nun erlassen – wird das reichen?

Rudolf Anschober: Mir ist wichtig, dass wir hier rasch zu einem Ergebnis kommen und sicherstellen, dass die Versorgung funktioniert. Das Ziel der Verordnung ist absolut richtig und der vorgeschlagene Weg ist nachvollziehbar. Die Verordnung tritt mit 1. April 2020 in Kraft. Man muss aber weiterdenken: Europa ist bis zu 80% abhängig von der Wirkstoffproduktion in Asien. Jetzt gilt es, die Produktion zurückzuholen. Natürlich ist Corona auch ein Anlass, deutlicher über diese Abhängigkeiten nachzudenken.

Die Pharmabranche fordert im Zusammenhang mit Lieferengpässen Preiserhöhungen bei „alten“ Medikamenten, deren Preis unter der Rezeptgebühr liegt. Es würde sich kaum noch rentieren, diese auf den Markt zu bringen. Was sagen Sie dazu?

Das Ziel ist, dass ich mich mit allen Seiten – also den Krankenversicherungen und der Arzneimittelbranche – zusammensetze. Auch hier gab es eine Taskforce, die sich unter anderem mit der Frage der sogenannten „alten Medikamente“ beschäftigt hat. Ich werde mir alle Seiten an den Tisch holen, anhören und dann Entscheidungen treffen. Das ist die Art, wie ich Politik machen will: zuerst Fachliches aufrollen und die Expertise einholen. Für mich bedeutet es ein Mindestmaß an Respekt in einer Funktion wie der meinen, Betroffene an einen Tisch zu holen, miteinander zu reden und sich die Standpunkte anzuhören. Mein Bereich ist ein Ressort des Zusammenhalts – und das heißt eben auch, in Dialog mit allen zu treten. Ich will keine Politik des Drüberfahrens machen. Das soll eine wirkliche Änderung bedeuten.

Wie darf man sich diese Änderung genau vorstellen?

Man darf sich von einem Regierungsprogramm nicht erwarten, dass es Detailfragen beantwortet. Wir hatten insgesamt drei Monate Zeit für alles. Dass wir im Bereich Gesundheit recht rasch fertig waren, lässt auch Gutes für die Umsetzung erwarten. Die Detailumsetzung ist jedenfalls jetzt unser Job im Ministerium. Der Kernpunkt dabei ist, wie gesagt, allen zuzuhören und dann kontinuierlich gemeinsam an den Themen zu arbeiten. Es ist mein Stil, mit allen möglichst im Konsens zu guten Lösungen zu kommen. Türkis und Grün sind, wie wir alle wissen, unterschiedlich positioniert – wenn diese Parteien es schaffen, zu einem Konsens zu gelangen, schaffen wir es auch alle miteinander im Gesundheitsbereich.
Meist sind es nicht die besten Lösungen, wenn man einer Seite zu hundert Prozent recht gibt. Oft ist die Lösung ein Kompromiss. Meine Priorität ist aber immer auch die Versorgung der Bevölkerung und nicht die Erfüllung der Anliegen eines Interessenten. Alle Stakeholder haben natürlich ihre Einzelinteressen. Das übergeordnete Interesse einer guten Versorgung für Menschen eint am Ende das Tages aber alle. Deshalb möchte ich rasch einen Dialog mit allen Stakeholdern starten.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

Auswirkungen der Krise

Die Corona-Krise wird auf alle Bereiche des Gesundheitssystems Auswirkungen haben. Die im Interview angesprochenen Lieferengpässe sowie die gesamte Versorgungssitutation werden sicherlich an Brisanz gewinnen. Darüber und über weitere Entwicklungen werden wir natürlich in den nächsten Ausgabe von PHARMAustria intensiv berichten.