„Mir liegt es wirklich am Herzen, dass Patient:innen nach wie vor Zugang zu neuen wie auch zu etablierten Arzneimitteln haben. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass das keine Selbstverständlichkeit mehr ist“, betont Raimon. Daher lautet die Botschaft der PHARMIG an die politischen Entscheidungsträger: „Überprüft bitte jede eurer Handlungen dahingehend, ob diese die Versorgung der Patient:innen in Österreich stabilisiert oder destabilisiert. Die Verhältnisse sind ohnehin volatil genug!“Die derzeitigen Herausforderungen systemischer Natur in der Versorgung vor allem im etablierten Bereich, aber auch bei innovativen Medikamenten, sind laut Raimon gravierend:
„Die Arzneimittelversorgung in Österreich bewegt sich in der EU in manchen Bereichen auf einem sehr niedrigen Preisniveau. Jeden Monat verlassen an die 20 Pharmazentralnummern den österreichischen Erstattungskodex, zudem werden immer wieder neue Produkte gar nicht darin aufgenommen. Wir als Branchenvertretung setzen uns dafür ein, dass die Versorgung mit etablierten, aber auch mit neuen Arzneimitteln für die österreichischen Patient:innen erhalten bleibt.“
Dabei wurde laut Raimon die Grundlage für die derzeitige Situation bereits vor vielen Jahren gelegt: „Die Pharmaindustrie hat auf diese negativen Entwicklungen in der Versorgungssicherheit immer wieder hingewiesen. Wir konnten die aktuellen Strukturprobleme aber nicht verhindern, denn die Rahmenbedingungen, in denen wir uns als Pharmabranche bewegen, werden vom Gesetzgeber, von Ministerien, der Sozialversicherung und anderen Verwaltungsbehörden definiert. Das heißt, die Pharmabranche selbst kann nur auf Probleme und Konsequenzen von Entscheidungen hinweisen.“
Bei der Versorgungssicherheit spielt es laut Raimon natürlich auch eine wichtige Rolle, dass einige Rahmenbedingungen gar nicht in Österreich, sondern auf europäischer Ebene entschieden werden. Wie sieht er in diesem Zusammenhang den Entwurf zur neuen EU-Pharma-Gesetzgebung?
Den grundsätzlichen Ansatz, einen guten Zugang für Patient:innen sicherzustellen und zugleich eine wettbewerbsfähige, innovative Industrie zu erhalten, bewertet der PHARMIG-Präsident durchaus als gemeinsames Ziel, hinterfragt aber den Weg, wie man laut der geplanten EU-Pharmalegislation dorthin kommen will. So habe es beispielsweise die bisherige Regelung der Regulatory Data Protection im letzten Jahrzehnt ermöglicht, finanziell herausfordernde Projekte für Europa zu gewinnen. „Wenn wir diese Regelung jetzt aber verändern, ist das nicht zum Vorteil der Pharmaindustrie und auch nicht zum Vorteil von Forschungsorganisationen, Contract-Research-Organisationen, Biotech-Unternehmen, Start-ups etc., denn eine Verkürzung der Schutzfristen macht Forschungs- und Entwicklungsprojekte in der frühen Phase der Beurteilung potenziell weniger attraktiv für Europa“, so Raimon. Dies führe letztlich zu geopolitischen Entscheidungen für Investitionen außerhalb der EU.
Die weiteren angedachten Lösungsvorschläge des Gesetzgebers – sowohl auf österreichischer als auch auf EU-Ebene –, wie z.B. eine Wirkstoffverschreibung, sieht Raimon ebenfalls nicht als stabilisierende Möglichkeiten. Im Gegenteil: „Austauschbarkeit in der Apotheke wird das System zusätzlich destabilisieren, zudem ist es der Compliance abträglich. Auch das diskutierte Preisband und die angedrohten Streichungsverfahren werden nicht zu einer größeren Stabilität in der Versorgung führen, sondern zu einer Ausdünnung im Arzneimittelschatz.“ Niedrigstpreise bei Arzneimitteln würden laut Raimon die Probleme ebenfalls nicht lösen: „Außerdem liegen die Preise von neuen Medikamenten in Österreich häufig bereits im unteren Preisniveau Europas …“
Neben Innovationen werden in Raimons Augen auch klinische Studien in Österreich zu wenig wertgeschätzt: „Hier müssen die einzelnen Unternehmen – und muss natürlich auch die PHARMIG als Branchenvertretung – kontinuierlich auf die Bedeutung klinischer Studien hinweisen. Klinische Studien eröffnen neue Therapiealternativen für Patient:innen, treiben generell die Medizin voran und bieten Anreize für (Jung-)Mediziner:innen, sich weiterzuentwickeln und an der Spitze der internationalen Medizin zu stehen. Um das zu erreichen, muss man bei großen globalen klinischen Studien dabei sein.“ Um diese Studien nach Österreich zu holen, braucht es laut Raimon aber positive Rahmenbedingungen und keine negativen Signale, wie es in Österreich aus seiner Sicht in der letzten Zeit öfter der Fall war: „Wenn wir es schon nicht schaffen, weitere Produktion nach Österreich zu holen, sollten wir zumindest versuchen, im Bereich der klinischen Studien hochattraktiv zu bleiben. So könnten wir sicherstellen, dass bei der Entwicklung neuer Arzneimittel österreichische Handschrift mit dabei ist, dass österreichische Studienzentren daran mitwirken, wie sich klinische Studien entwickeln, und so ihren Beitrag zur Entstehung neuer Medikamente leisten. Quasi: Made with Austria ergänzt Made in Austria, um bestmöglich dazu beizutragen, dass Österreich weiterhin im globalen Wettbewerb bestehen kann. Dieses größere Bild versuchen wir als PHARMIG aktuell den Stakeholdern zu vermitteln.“
Ein kleiner Mosaikstein sei dabei auch, immer wieder aufzuzeigen, was die pharmazeutische Industrie leistet. Hier bemüht sich die PHARMIG auch in der breiten Öffentlichkeit um Information. Raimon: „So wurde beispielsweise aktuell eine Kooperation mit dem Technischen Museum in Wien gestartet: Es wird heuer und im nächsten Jahr eine Sonderausstellung im Technischen Museum stattfinden, die sich u.a. auch mit der Erforschung, Produktion und Qualität von Arzneimitteln sowie mit Berufsbildern in der pharmazeutischen Industrie und verwandten Bereichen beschäftigen wird und sich speziell auch an die Jugend richtet.“