Zwei medizinische Fachbereiche, in denen künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning (ML) derzeit bereits erste Anwendungen finden, sind die Pathologie und die Dermatologie. Doch die großen Veränderungen stehen erst noch ins Haus, sind sich ao. Univ.-Prof. Dr. Leonhard Müllauer, Klinisches Institut für Pathologie, Medizinische Universität Wien, und Prim. Priv.-Doz. Dr. Christian Posch, PhD, Vorstand der Dermatologischen Abteilung, Klinik Hietzing und Ottakring, Wiener Gesundheitsverbund, einig.
„Sowohl KI als auch ML finden in der ‚digitalen Pathologie‘ bereits Anwendung, z.B. bei histologischen Schnitten, die eingescannt und anschließend an Computern beurteilt und mit einer Software ausgewertet werden. Dabei ermöglicht die KI die Verknüpfung mit weitaus mehr Daten, als dies durch einen Menschen möglich wäre – und das auch noch in einem Bruchteil der Zeit“, berichtet Müllauer.
Die Analyse von Gewebeproben, qualitative und quantitative Auswertungen und Graduierung von Tumoren sowie Diagnosevorschläge seien bereits möglich, erklärt er weiter, allerdings stehe die digitale Pathologie in Österreich noch am Anfang: „Es gibt nur wenige Institute, die diese bereits einsetzen, und das sind zumeist private. Das sieht allerdings in den meisten anderen Industrieländern auch nicht anders aus; in den USA ist das ebenfalls noch nicht Routine.“ Es gebe zwar viel Forschung zur digitalen Pathologie, aber derzeit noch wenige Routineanwendungen.
Ein wenig anders sieht das in der Molekularpathologie aus, erläutert Müllauer. Dieser Bereich der diagnostischen Pathologie beschäftigt sich mit der Analyse von genetischen Veränderungen bei bestimmten Tumoren und bei hämatologischen Erkrankungen und ermöglicht eine genauere Klassifizierung sowie den Einsatz von zielgerichteten Therapien. „In der Molekularpathologie ist ML bereits im Einsatz, z.B. setzen wir spezielle Softwarelösungen bei großen Genpanels ein, das hilft uns bei der Klassifizierung von Sequenzen. Zudem liefert uns die Software Literaturhinweise sowie Informationen zu klinischen Studien etc. und schlägt auch Therapien vor“, gibt Müllauer Einblick.
Müllauer ist davon überzeugt, dass sich KI und ML in der Pathologie zunehmend durchsetzen werden: „Die digitale Pathologie wird Alltag werden. Mikroskope werden weitgehend verschwinden. KI und ML werden unsere Arbeit nicht nur erleichtern, sondern verbessern, da die digitalen Tools vieles exakter bestimmen bzw. bewerten können als Menschen.“ Doch er sieht auch technische und finanzielle Hürden: „So ist beispielsweise die Datenspeicherung von histologischen Schnitten – und das ist der erste Schritt von KI und ML – derzeit für viele Krankenhäuser ein Problem. Denn diese müssen 30 Jahre gespeichert werden, und die Kosten dafür sind enorm …“
„Auch in der Dermatologie sind KI und ML noch nicht in der Routine angekommen“, berichtet Posch aus der Praxis. Erste Ansätze gibt es allerdings auch hier: So bieten beispielsweise Decision-Support-Systeme Unterstützung bei der Abgrenzung Muttermal versus Melanom. „In der Dermatoskopie ist KI dabei, Fuß zu fassen. Das ist in meinen Augen auch ein sehr gutes Fallbeispiel dafür, was KI kann: Wenn ein begrenztes Areal der Haut betroffen ist, also z.B. eine pigmentierte Veränderung der Haut sichtbar ist, kann die KI gute Ergebnisse liefern, denn hierzu gibt es viele Datensätze, aus denen man einen Algorithmus aufbauen kann“, erklärt Posch. Die KI habe in solchen Bereichen bereits jetzt eine gute Treffsicherheit. „Expert:innen sind in den meisten Fällen aber derzeit noch besser als die KI, die aber wiederum besser ist als Nicht-Expert:innen. D.h. für Generalist:innen wie z.B. Hausärzt:innen würden diese Programme durchaus eine gute Unterstützung darstellen“, ist er überzeugt. Aber: „Diese Systeme sind keine Medizinprodukte und dürfen daher (derzeit) nicht als Diagnosetools eingesetzt werden“, macht Posch auf die aktuelle Situation aufmerksam.
Eine weitere Herausforderung beim Einsatz von KI in der Dermatologie ist laut Posch, dass die allermeisten Systeme nicht prospektiv validiert sind, sondern nur mit bestehenden Datensätzen trainiert wurden. „Wenn etwas Neues auftaucht, wird es daher für das KI-System schwierig, das einzuordnen. Prospektive Studien sind erforderlich, um KI für künftige Einsatzgebiete zu rüsten“, betont Posch.
Hinsichtlich der Einsatzgebiete von KI in der Medizin stellt sich für Posch zudem die Frage, welche Erwartungen man daran knüpft: „Wie gut muss das KI-System sein, welchen Mehrwert muss es produzieren, damit es zur Routine wird? Derzeit ist oftmals eine Fehlerquote von unter 1% im Gespräch, aber das schaffen nicht einmal Top-Expert:innen!“ Eine weitere Herausforderung sieht er auf technischer Seite: „Es wäre sehr wichtig, dass die Systeme auch melden können, wenn sie etwas nicht wissen, nicht bestimmen können – soweit ich weiß, ist das derzeit noch sehr schwierig –, das wäre aber ein sehr wichtiger Aspekt!“
Für die Zukunft kann sich Posch vorstellen, dass KI in vielen Bereichen des Gesundheitssystems einsetzbar sein wird, z.B. auch in Form von Chatbots für die Information von Patient:innen. „Im Grunde kann KI überall dort, wo Prozesse standardisiert werden können, hilfreich sein. Im Bereich Dermatologie sehe ich die Zukunft der KI beispielsweise auch in Scoring-Modellen, indem z.B. bei Erkrankungen wie der Acne inversa der Schweregrad bestimmt werden kann: Derzeit müsste laut Definition die Anzahl der Abzesse, Knoten und Fisteln gezählt werden, das ist in der Praxis aber oft nicht machbar. In Zukunft könnte es reichen, mit dem Handy ein Foto zu machen und ein Algorithmus stuft den Schweregrad ein“, nennt Posch ein Beispiel aus der Praxis. Auch Müllauer ist überzeugt, dass KI die Medizin stark verändern wird: „So wird zum Beispiel die Qualität der Befundung sicherlich deutlich ansteigen. Momentan müssen KI-Lösungen noch von Menschen überprüft werden, sind aber trotzdem bereits viel schneller. Das wird künftig noch besser und automatisiert möglich sein, wodurch immer weniger Eingriffe durch Menschen notwendig werden.“
Dies sieht auch Posch so, betont aber in diesem Zusammenhang, dass die Arbeitsplätze der Ärzt:innen durch KI nicht bedroht werden: „Administrative Arbeitsbereiche werden durch KI optimiert werden, das wird uns Ärzt:innen entlasten. Ich bin davon überzeugt, dass KI die Qualität der medizinischen Versorgung verbessern wird, indem sie, wie bereits erläutert, die Nicht-Expert:innen unterstützt. Expert:innen werden in den nächsten zehn Jahren keinen wesentlichen Mehrwert aus KI generieren, weil diese bereits sehr gut sind. Aber die Entscheidung, ob ein Experte oder eine Expertin hinzugezogen werden soll – die kann KI beantworten! Und der enorme Wissenszuwachs, auch in der Medizin, macht es erforderlich, dass wir Ärzt:innen immer mehr zu Expert:innen werden!“