FOPI, das Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich, und PHARMIG, der Verband der pharmazeutischen Industrie in Österreich, präsentierten bei einer Veranstaltung am 5.11.2024 die Ergebnisse einer von ihnen in Auftrag gegebenen Analyse zum Thema „Zugang zu innovativen Therapien“. Das Fazit der Analyse: Patient:innen müssen im niedergelassenen Bereich, sprich, außerhalb des Krankenhauses, teils Einschränkungen gegenüber der zugelassenen Indikation hinnehmen, auf neue Therapien mitunter monate- oder gar jahrelang warten und haben in einigen Bereichen keine Sicherheit, ihre Arzneimittel auch in Zukunft zu erhalten. Expert:innen aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitssystems diskutierten deshalb im Rahmen der Veranstaltung, welche Reformvorschläge umgesetzt werden sollten, um die Lage für die Österreicher:innen mittel- und langfristig zu verbessern.
Die Analyse wurde vom Consulting-Unternehmen Krammer, Wrbka & Partner Consulting durchgeführt und nahm – zurückreichend bis ins Jahr 2015 – die grundsätzliche Verfügbarkeit neu zugelassener Wirkstoffe im niedergelassenen Bereich, die Erstattung durch die Krankenkassen, die Dauer von der Antragstellung bis zum Zugang für Patient:innen und die Einschränkungen bei der ärztlichen Verschreibung unter die Lupe. Aus den Ergebnissen wurde der Report „Time to Patients“ erstellt, dessen Ergebnisse bei der Veranstaltung von KWPC-Geschäftsführerin Barbara Möller präsentiert wurden, darunter u.a. folgende Aspekte:
„Österreich ist in puncto Zugang zu innovativen Therapien alles andere als eine Insel der Seligen“, zieht Leif Moll, Vizepräsident des FOPI, Resümee. Dies nehmen FOPI und PHARMIG zum Anlass, Lösungsvorschläge einzubringen und einen Dialog dazu einzufordern. „Wir wollen erreichen, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes (KAKuG) sowie des ASVG (Erstattungskodex) unter Einbeziehung aller Systempartner:innen überarbeitet werden. Denn nur so können wir einen raschen und österreichweit einheitlichen Patientenzugang zu innovativen Therapien unter voller Gewährleistung der ärztlichen Therapiehoheit sicherstellen“, betont Moll.
Folgende Lösungsvorschläge stellen die Studienauftraggeber zur Diskussion:
Auch Vertreter:innen von Patient:innen sowie der Ärzteschaft messen den Studienergebnissen große Bedeutung bei. So betonte Elisabeth Weigand, Geschäftsführerin von Pro Rare Austria, bei der Veranstaltung: „Patientinnen und Patienten erwarten den schnellstmöglichen und unkomplizierten Zugang sowie die Erstattung von allen zugelassenen Therapien österreichweit einheitlich – unabhängig davon, ob im niedergelassenen oder im klinischen Bereich oder auch im sogenannten Nahtstellenbereich, z.B. bei Heimtherapien.“ Dies müsse natürlich auch für innovative Therapien gelten, daher dürfe der Zugang nicht an Diskussionen zur Kostenübernahme von verschiedenen Kostenträgern scheitern oder dadurch verzögert werden, „was heute gerade bei teuren Therapien leider immer wieder der Fall ist“, so Weigand. Daher ist ihrer Ansicht nach die direkte Patientensicht für die Nutzenbewertung unbedingt einzuholen, z.B. hinsichtlich der Bewertung von Anwendung der Therapien, Nebenwirkungen und Lebensqualität. „Die EU-HTA-Verordnung soll daher auch für den EKO-Prozess in Österreich angewendet werden und damit Vertreter:innen von Patient:innen miteinbeziehen“, wiederholt die Patientenvertreterin eine langjährige Forderung der Dachverbände für Selbsthilfe- und Patientenorganisationen.
Peter Fasching, Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, fordert zuallererst, dass Erstattungsregeln auf die aktuellen Therapierichtlinien medizinischer Fachgesellschaften Bezug nehmen sollten: „Es kann nicht sein, dass für die Erstattung von Arzneimitteln Regeln zur Anwendung kommen, die vor vielen Jahren nach Erstzulassung zwischen Anbietern und Zahlern vereinbart und danach nicht mehr gemäß der aktuellen Studienlage und Evidenz angepasst wurden. Denn die Medizin hat sich in dieser Zeit meist mit Riesenschritten weiterentwickelt und eröffnet womöglich neue Therapieansätze, die im alten Regularium nicht abgebildet sind. Dies trifft insbesondere Patient:innen mit chronischen Erkrankungen wie z.B. Diabetes mellitus.“ Weiters stellt Fasching die sogenannten Erstverschreibungsregeln infrage: „Derzeit müssen beispielsweise Patient:innen mit Stoffwechselerkrankungen die Erstverschreibung einer Therapie in einer Diabetes- oder Lipidambulanz erhalten. Das konterkariert die Bemühungen, die Spitäler zu entlasten. Wünschenswert wäre deshalb die Etablierung einer zweiten Versorgungsebene im extramuralen Bereich, wo innovative Arzneimittel auch von niedergelassenen Ärzt:innen ‚erstverschrieben‘ werden dürfen.“
Bernhard Rupp, Leiter der Abteilung Gesundheitspolitik, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Niederösterreich, ergänzt aus gesundheitspolitischer Perspektive: „Es ist unbestritten, dass ‚die Spreu vom Weizen getrennt‘, also eine Scheininnovation von einer echten Innovation unterschieden werden muss. Dabei kann die neue europäische Nutzenbewertung doppelt hilfreich sein, denn sie kann den Nutzen außer Streit stellen und die ‚Time to Patients‘ verringern.“ Außerdem, so Rupp weiter, gebe es zweifellos Verbesserungspotenzial in mehreren Bereichen. So sei beispielsweise das System des chef-/kontrollärztlichen Dienstes aus seiner Sicht zu überdenken, da „dort ohnehin keine medizinischen Entscheidungen getroffen werden. Weiters wäre ein regelmäßiges Monitoring der Verfügbarkeit von Therapien in Österreich sinnvoll, um Entwicklungen beobachten zu können.“ In jedem Fall müsse die finanzielle Ausstattung der Krankenversicherungsträger nach Meinung des Gesundheitspolitikers „ausreichend und zweckmäßig“ sein. Denn dies sei eine Grundvoraussetzung für ein modernes Gesundheitssystem. „Österreich darf sich nicht von der modernen Medizinentwicklung abkoppeln. Innovative Therapien müssen den Versicherten, die diese brauchen, zur Verfügung stehen.“