Mit einem Schlag wurde mit Beginn des ersten Lockdowns im März 2020 in den österreichischen Unternehmen so einiges anders. Das betraf und betrifft auch die Pharmaindustrie – in gewissem Sinne sogar in besonderem Maße, wollte und will man als Unternehmen im Gesundheitsbereich doch mit gutem Beispiel vorangehen. Mitarbeiter im Homeoffice, Ärzte, die keine Besucher mehr empfangen durften – das bedeutete, es mussten neue Wege der Kommunikation eingerichtet werden.
„Corona hat die Digitalisierungsprozesse in der betrieblichen Arbeitswelt beschleunigt. Von einem auf den anderen Tag gab es nur die Möglichkeit, auf Homeoffice und/oder mobiles Arbeiten umzustellen. Digitale Kommunikationstools wurden ein ganz normales Arbeitsmittel. Wir waren gezwungen, Prozesse zu hinterfragen und Produkte und Dienstleistungen weiterzuentwickeln, denn sonst wäre viel mehr auf der Strecke geblieben“, fasst Mag. (FH) Michaela Kreitmayer, Leiterin des Hernstein Instituts für Management und Leadership, die Veränderungen zusammen.
Auch Mag. Gabriele Gradnitzer, Head of Life Sciences & Healthcare Practice bei Stanton Chase, berichtet über ihre diesbezüglichen Erfahrungen: „Die Pharmaunternehmen haben gleich zu Beginn der Pandemie auch hinsichtlich des Arbeitsalltags professionell und strukturiert reagiert, indem zum Beispiel langfristig Homeoffice eingerichtet wurde, auch über den ersten Lockdown hinaus. Die Umstellung auf Onlinearbeit fiel dabei leichter als in manchen anderen Branchen, da schon vorher viel virtuell gearbeitet wurde und damit die technische Ausstattung bereits vorhanden war.“
Thomas Zembacher, Geschäftsführer der Talentor Austria GmbH, hat die vergangenen Monate seit Beginn der Pandemie ähnlich erlebt: „Das sogenannte ,hybride‘ Arbeiten ist mittlerweile Standard geworden und ein weiterer Schritt in Richtung Digitalisierung. Dazu muss man sagen, dass gerade Pharmabetriebe in manchen digitalen Bereichen schon sehr fortgeschritten sind: digitaler Angebots- und Rechnungslauf, Procurement und Supply Chain bzw. auch Budgetierung mit Unterstützung von KI. Für Sales & Marketing hat Corona aber einen zusätzlichen massiven Digitalisierungsschub gebracht. Vor allem bei der Ansprache der Zielgruppen, weil der persönliche Zugang zu den Health Care Professionals nicht mehr möglich war.“
„Wir gehen davon aus, dass die Veränderungen nicht mehr rückgängig gemacht werden (können). Daraus folgt, dass bestimmte Fähigkeiten wie kognitive Agilität, Kooperationsbereitschaft und Konfliktfähigkeit für die berufliche Zukunft immer wichtiger werden“, so Zembacher über die Nachhaltigkeit des neuen Arbeitsalltags. Auch Gradnitzer ist überzeugt, dass viele Änderungen bleiben werden: „So wie zuvor in der Pharmabranche bereits eine Hybridform des Arbeitens mit mobilen Arbeitsplätzen, flexiblen Bürowelten, Thinktanks etc. durchaus üblich war, wird es auch nach der Pandemie eine Hybridvariante geben.“
Unternehmensberater Paul Liskutin, Geschäftsführer der Liskutin & Partner GmbH, bestätigt dies: „In Zukunft wird jedes Unternehmen verstärkt hinterfragen, ob jeder Mitarbeiter tatsächlich einen fixen Arbeitsplatz braucht oder ob bzw. in welchem Maße mobiles Arbeiten möglich oder sogar wünschenswert ist.“
Kreitmayer ist ebenfalls der Ansicht, dass Homeoffice und virtuelle Meetings in vielen Unternehmen Alltag bleiben werden: „Es hat schließlich gut funktioniert und man kann den Mitarbeitenden zutrauen, selbst zu entscheiden, ob ein Termin in Präsenz stattfinden soll oder ob er virtuell vielleicht sogar noch effizienter ist.“ Denn virtuelle Termine haben durchaus ihre Vorteile: „Flexibleres Arbeiten und vermehrtes Arbeiten im Homeoffice sind beispielsweise auch aus ökologischer Sicht sinnvoll und bringen für manche durch das Vermeiden von langen Anfahrtswegen und/oder Staus auch einen Zeitgewinn und eine Stressreduktion“, so Claudia Reithofer, Roche Austria People & Culture Business Partner.
Doch die Zusammenarbeit in Remote-Teams stellt die Mitarbeitenden auch vor Herausforderungen. Mag. Dominik Flener, Geschäftsführer der HealthCareConsulting Group, fasst die Nachteile des „neuen Arbeitens“ zusammen: „Persönliche Kontakte fehlen, dadurch fallen die schnellen Zwischeninfos, die man früher im Vorbeigehen oder in der Kaffeepause bekommen hat, weg. Dieser Ausfall des spontanen Austauschs bedingt einen höheren Aufwand für Abstimmungsmeetings und häufigeren Report.“ Dazu kommt: Wie soll man wissen, wer welche Aufgaben wann tatsächlich erledigt (hat)? Einige Führungskräfte hatten daher zu Beginn der Umstellung Sorge vor einem Kontrollverlust – angelehnt an das Sprichwort „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ … Zwar weiß man in der Unternehmensberatung schon lange, dass der zweite Teil des Satzes wohl nicht so ganz stimmt, doch die Coronakrise hat es nochmals deutlich vor Augen geführt: Vertrauen ist eine immens wichtige Basis für das Funktionieren eines Teams. Auch Führungskräfte, die vielleicht vor der Corona-Zeit eher skeptisch waren, haben während der Pandemie erlebt, dass sie auf die Eigenverantwortung ihrer Mitarbeiter vertrauen können.
Das kann auch Reithofer bestätigen: „Generell haben wir festgestellt, dass während Corona die Vertrauenskultur – auch hinsichtlich Homeoffice – zugenommen hat. Wir haben gelernt, unsere Skepsis gegenüber dem Digitalen, die der eine mehr, der andere weniger hatte, zunehmend zu überwinden. Zudem sind Eigenverantwortung und Teamorientiertheit vermehrt in den Fokus gerückt, denn Zusammenarbeit geht ohne Vertrauen einfach nicht.“
Auch Zembacher spricht dem Vertrauensverhältnis im Team große Bedeutung zu: „Damit unterstützt man die drei wesentlichen Faktoren der intrinsischen Motivation jedes Einzelnen: Selbstbestimmung, Perfektion und Sinnerfüllung. Wenn diese Dinge in Balance sind, dann funktioniert es auch mit der Zusammenarbeit“, erläutert Zembacher.
Liskutin betont, dass die Corona-Zeit wie ein Verstärker für Mitarbeiterkompetenzen gewirkt habe: „Was vorher gut lief, lief auch in der Krise gut; was schon vorher Probleme verursachte, machte verstärkt Probleme. Die in den letzten Monaten gewonnenen Erkenntnisse bieten daher die Chance für das nächste Level der Zusammenarbeit.“
Eine der großen Herausforderungen der letzten Monate war die erforderliche rasche Anpassung an Veränderungen, denn Corona hat vieles in unserer Arbeitswelt beeinflusst, an das wir uns sehr rasch gewöhnen mussten, ob wir wollten oder nicht. „Menschen sind ‚Gewohnheitstiere‘, das heißt, wir gewöhnen uns durch Wiederholung an neue Rahmenbedingungen. Nun durften wir das schon lange genug üben, sodass viele Dinge schon zum ,neuen Normal‘ geworden sind. Trotz aller Herausforderungen haben wir jetzt die Möglichkeit, das Beste daraus zu machen. Sprich, was nicht änderbar ist, zu akzeptieren, weil es nun mal so ist, und auf der anderen Seite den Spielraum und das Verbesserungspotenzial zu sehen und zu nützen“, rät Kreitmayer.
Neben allen Vorteilen der neuen Arbeitswelt sollten wir aber auch die Kehrseite der Medaille bedenken. „Die anfängliche Homeoffice-Euphorie ist bei vielen schon verflogen. Denn auch Homeoffice bringt Nachteile mit sich bzw. wirkt sich nicht nur positiv auf die jeweilige Unternehmenskultur aus. Kulturarbeit passiert zum Großteil gemeinsam im Büro. Der goldene Mittelweg, sprich, eine vernünftige Dosierung von Homeoffice und Präsenzzeiten in Unternehmen, könnte hier auf lange Sicht erstrebenswert werden“, so die Expertin.
„Es geht um eine gute Mischung“, sagt auch Gradnitzer. „Bis dahin müssen wir bei Remote-Teams und -Meetings klare Strukturen anbieten, und dazu gehört auch eine definierte Feedbackkultur.“ Denn damit das Arbeiten in Remote-Teams zielführend, erfolgreich und angenehm ablaufen kann, braucht es entsprechende Rahmenbedingungen. „Dazu gehören eine funktionierende Technik mit Breitband-Internet und einer stabilen Software sowie ein ergonomisch richtig gestalteter Arbeitsplatz. Zudem kommt es auch sehr darauf an, dass man bei Online-Meetings klar und eloquent kommuniziert – das gilt besonders für Führungskräfte“, betont Zembacher. Und Gradnitzer ergänzt: „Zudem ist es wichtig, dass sich jeder Mitarbeiter als Teil des Teams sieht, so wahrgenommen bzw. behandelt wird und sich einbringen kann.“
Jeder einzelne Mitarbeiter ist aufgerufen, selbst zu überlegen, was ihm in der neuen Arbeitswelt guttun würde, ist Mag. (FH) Johanna Hummer, Head of Human Resources bei Sanofi, überzeugt: „Wer zwischen den zahlreichen Online-Meetings einmal eine Runde an der frischen Luft braucht, sollte sich diese Freiheit auch nehmen. Wem der persönliche Austausch fehlt, der kann dies ansprechen und z.B. virtuelle Kaffee-Meetings – ohne Agenda, rein privat – anregen.“ Denn auch das „Socialising“ darf in der neuen Arbeitswelt nicht zu kurz kommen. „Das gemeinsame Mittagessen fehlt vielen; manche Unternehmen haben daher ‚Online-Mittagessen‘ für ihre Teams ins Leben gerufen, bei denen ein Lieferservice allen Mitarbeitern zur gleichen Zeit das Essen liefert und dann eben vor dem Bildschirm gemeinsam gegessen wird“, erläutert Flener.
Bei Roche Austria hat man ebenfalls diverse Maßnahmen gesetzt, damit soziales Interagieren auch online stattfinden kann. „Bei unseren regelmäßigen digitalen Company-Get-togethers werden Informationen ausgetauscht und neue Gesichter und Teammitglieder via Meets vorgestellt, die man sonst in der Kaffeeküche oder bei der ersten Hausrunde im Onboarding kennengelernt hätte“, berichtet Reithofer.