Mit 1. Jänner 2024 hat Pavol Dobrocky die Geschäftsführung des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim Regional Center Vienna (RCV) übernommen. Am Wiener Standort befinden sich das globale Krebsforschungszentrum, einer von weltweit vier Produktionsstandorten für Biopharmazeutika sowie die Unternehmenszentrale für mehr als 30 Länder Mittel- und Osteuropas, Zentralasiens sowie die Schweiz und Israel. Ziel des Unternehmens ist es, so Dobrocky, bahnbrechende Therapien zu entwickeln, die Leben verändern – und zwar für heutige und kommende Generationen. Dabei fokussiert das Unternehmen auf Bereiche mit hohem ungedecktem medizinischem Bedarf.
Im vergangenen Jahr hat Boehringer Ingelheim in Wien sein 75. Firmenjubiläum gefeiert: „Boehringer Ingelheim wurde 1948 in einer Apotheke in Wien als die erste Auslandsgesellschaft gegründet und hat sich seitdem zu einem der wichtigsten Pharma-Player in Österreich entwickelt“, berichtet Dobrocky. Teil der Jubiläumsveranstaltung waren eine Ausstellung, ein Video und die „Tage des Entdeckens“, bei denen rund 5.000 Besucher:innen das gesamte Areal von Boehringer Ingelheim in Wien besichtigt haben.
Ein weiterer Meilenstein des Unternehmens ist die hoch automatisierte Multi-Produkt-Anlage in Wien: Die 2021 eröffnete Zellkultur-Produktionsanlage ist eine der modernsten biopharmazeutischen Produktionsanlagen weltweit und mit einem sehr hohen Grad an Digitalisierung ausgestattet. „Wir produzieren hier Biopharmazeutika für den Weltmarkt, z.B. unser Produkt von Boehringer Ingelheim, das für die Behandlung von ischämischen Schlaganfällen und Herzinfarkt eingesetzt wird. Mit dieser Produktionsanlage wurde die größte Einzelinvestition in der Geschichte des Unternehmens getätigt“, erläutert Dobrocky.
Und die Investition von Boehringer Ingelheim in den Standort Österreich geht weiter. So wird das Unternehmen im Herbst dieses Jahres nach zwei Jahren Bauzeit ein neues Krebsforschungsgebäude in Wien eröffnen. Dieses wird auf 11 Stockwerken Platz für rund 150 Forscher:innen bieten. Dafür hat das Unternehmen eine Investition von rund 60 Mio. Euro getätigt.
Generell investiert Boehringer Ingelheim ca. 25% seines Umsatzes in Forschung & Entwicklung. „Auch in Österreich gehören wir zu den forschungsintensivsten Pharmaunternehmen: Jedes Jahr investieren wir um die 300 Mio. Euro in die Forschung, das heißt in Krebsforschung, klinische Forschung und auch in Verfahrensentwicklung. Darüber hinaus investieren wir weitere 20 Mio. Euro jährlich in die Grundlagenforschung am Forschungsinstitut für molekulare Pathologie in Wien. Dieses Institut unterstützen wir seit über 40 Jahren“, gibt der RCV-Geschäftsführer Einblick.
Vor allem im Bereich Krebsforschung ist das Unternehmen sehr aktiv und es befinden sich derzeit einige Produkte in der Forschung, z.B. ein MDM2-p53-Antagonist, der in verschiedenen Indikationen erprobt wird, u.a. Liposarkom, Gallenkrebs, Glioblastom und Lungenkrebs. „Eine Zulassung Ende 2024 ist eventuell möglich, zuerst in den USA und danach auch in Europa“, erklärt Dobrocky. Ein weiteres Produkt, das voraussichtlich bald zugelassen werden kann, ist ein HER2-Inhibitor (Zongertinib), der u.a. in den Indikationen Lungenkrebs, Brustkrebs und Magenkrebs beforscht wird. „In der ersten Phase hat dieses Medikament bei den Proband:innen zu einer sichtbaren Tumorreduktion geführt, teilweise sogar zur vollständigen Rückbildung“, berichtet Dobrocky. Ein weiteres Produkt, in das das Unternehmen große Hoffnungen setzt, ist der T-Cell-Engager DLL3/CD3. Dieser hat den Meilenstein des „Proof of Clinical Practice“ erreicht und wird in fünf Indikationen erprobt, darunter Lungenkrebs und neuroendokriner Krebs. Auch im Bereich pulmonale Fibrose kann das Unternehmen voraussichtlich 2026 ein neues Produkt einführen. „Zudem haben wir ein neues Forschungsfeld für uns eröffnet, und zwar Mental Health. Hier fokussieren wir auf Therapien im Bereich Schizophrenie und Depression. Wenn man alle unsere Forschungsaktivitäten anschaut, so kann man in den nächsten rund sieben Jahren mit fast 25 neuen Therapien von Boehringer Ingelheim rechnen“, blickt Dobrocky erwartungsvoll in die Zukunft.
Dobrocky ist davon überzeugt, dass die personalisierte Medizin weiter voranschreiten wird: „Durch die Verbesserung von analytischen und datenwissenschaftlichen Möglichkeiten kann immer besser definiert werden, welche Therapie bei einem bestimmten Patienten bzw. einer bestimmten Patientin wirklich sinnvoll ist. Für die derzeitigen Herausforderungen in diesem Bereich werden wir Lösungen finden, sodass in einigen Jahren sehr spezifische Produkte, z.B. gegen einen bestimmten Krebstyp, angeboten werden können.“
Für Dobrocky gehört das österreichische Gesundheitssystem zu den besten der Welt. Damit dies so bleibt, müsse aber sichergestellt werden, dass Patient:innen weiterhin schnellen Zugang zu innovativen Behandlungen erhalten, denn „das entlastet nachweislich die Gesundheitssysteme und verbessert auch den Therapieausgang und die Lebensqualität der Patient:innen“. Weiters müsse natürlich auch die langfristige Verfügbarkeit der Therapien gewährleistet und die klinische Forschung in Österreich gestärkt werden.
Und der RCV-Geschäftsführer führt weiter aus: „In den letzten 50 Jahren hat sich die innovative Pharmaindustrie ein wenig aus Europa zurückgezogen.“ Daher fordert er Österreich wie auch die Europäische Union auf, die erforderlichen politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Standortattraktivität zu erhöhen. „Die innovative Pharmaindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Österreich und für Europa, denn diese Branche schafft u.a. gute und hoch qualifizierte Arbeitsplätze“, betont er.
Zudem würde mehr Pharmaindustrie in der EU die Selbstversorgung mit Medikamenten absichern. „Es ist wichtig, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen in der EU – und die werden aktuell neu definiert – für einen starken, nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Standort sorgen, damit wir die Patient:innen heute und in Zukunft mit innovativen Arzneimitteln aus Europa versorgen können“, erklärt Dobrocky. Damit dies gelingt, braucht es in seinen Augen eine klare Fokussierung auf Innovation und Forschung in Europa: „Ich war lange in China tätig und kann daher aus eigener Erfahrung berichten, dass China sich sehr auf den Aufbau einer eigenen innovativen Industrie fokussiert und daher auch die entsprechenden Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden. Nicht zuletzt deswegen ist es wichtig, dass wir uns in Europa nicht durch Gesetze selbst schwächer stellen, sondern unser Ziel muss sein, neue innovative Produkte in Europa zu erforschen und von hier aus auf den globalen Markt zu bringen!“