Digitalisierung und Ethik – (k)ein Widerspruch?

MEDahead-Geschäftsführerin Eva Pernek (2.v.l.) mit den drei Referentinnen: Dr.in Ines Vancata (li.) Dr.in Maria Kletečka-Pulker (2.v.r.) und Mag.a Eva Westhauser, MA, BTh; © MEDahead

Der Saal im Presseclub Concordia war gut gefüllt: Mehr als 50 Teilnehmerinnen – so viele wie noch nie – wollten sich trotz des sommerlichen Wetters die spannenden Vorträge des MEDahead-Frauenforums nicht entgehen lassen.

Besucherinnenrekord beim MEDahead-Frauenforum.; © MEDahead

Den Anfang machte Dr.in Maria Kletečka-Pulker, Institut für Ethik und Recht, Medizinische Universität Wien, sowie Ludwig Boltzmann Institut for Digital Health and Patient Safety, mit ihrem Vortrag über die rechtlichen und ethischen Aspekte beim Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) im Bereich Healthcare. Sie betonte zu Beginn, dass beim Einsatz von Telemedizin, welche in Österreich erlaubt ist, die Situationsbeherrschung durch den Arzt bzw. die Ärztin natürlich gegeben sein müsse. Als Zukunftsperspektive zeigte sie auf, wie Telemedizin in Alten- und Pflegeheimen eingesetzt werden könnte, um dem Personal Zeit und den Patient:innen Arzt- oder Spitalsbesuche zu ersparen. „Telemedizin in solchen Einrichtungen zu etablieren scheitert aber derzeit häufig noch beispielsweise daran, dass zu wenig Zeit ist, um Neues zu implementieren.

Reger Austausch nach den Vorträgen; © MEDahead

Wir müssen uns zudem bemühen, jede:n Einzelne:n aus der persönlichen Komfortzone zu holen, um zu ressourcenschonenden digitalen Lösungen zu kommen“, betonte Kletečka-Pulker. Als Erfolgsbeispiel nannte sie das digitale Rezept. Mobile-Health-Anwendungen, die Parameter vor Ort erheben, oder z.B. Diagnostik, ohne dass ein Arzt oder eine Ärztin vor Ort sein muss, würden ebenfalls Vereinfachungen von Abläufen ermöglichen und sind in ihren Augen ein wichtiger Zukunftstrend.

Daten stärker verknüpfen

Kletečka-Pulker unterstrich weiters, dass eine stärkere Nutzung bzw. Verknüpfung von zur Verfügung stehenden Daten (wie z.B. ELGA, Register, EMS-Datenbank) rechtlich möglich sei und auch dringend vorgenommen werden sollte, da dies der Patientensicherheit dienen würde. Hier herrsche allerdings noch rechtlicher und auch sonstiger Aufholbedarf. Ihr Fazit: „Es gibt Bereiche, in denen die KI besser/schneller als der Mensch zu Lösungen kommt; dort sollten wir sie auch nutzen. Die dadurch gewonnene Zeit sollten die Ärzt:innen für die Arzt-Patienten-Kommunikation nutzen können – und diese auch entsprechend abgegolten bekommen! Zudem dürfen wir die mögliche neue vulnerable Gruppe der ‚analogen Patient:innen‘ – und dazu gehören nicht nur ältere Menschen, sondern auch jene, die z.B. aus Datenschutzgründen Bedenken haben – nicht aus den Augen verlieren.“

In der Diskussion mit den Teilnehmerinnen hob Kletečka-Pulker hervor, dass man gewisse KI-Systeme nicht ohne Kontrolle lassen dürfe, da sich der Umgang mit Daten dabei zu sehr verselbstständige. „Diese Kontrolle können Menschen aber nicht übernehmen. Das heißt, wir brauchen zuerst KI-Kontrollsysteme, um manche KI-Systeme einsetzen zu können – und wenn diese Kontrolle nicht möglich ist, sollten wir von einem Einsatz Abstand nehmen“, ist sie überzeugt.

KI in der medizinischen Forschung

Über die Chancen und Potenziale, die KI für forschende Pharmaunternehmen eröffnet, sprach anschließend Dr.in Ines Vancata, Chapter Lead Ecosystem Partnering bei ­Roche Austria. Sie sieht KI klar als Innovationsmotor für die Medizin und unterstrich ebenfalls die große Bedeutung von Daten: „Die Medizin von morgen braucht qualitativ hochwertige Daten. Die Gesundheitsbranche generiert ein Drittel aller Gesundheitsdaten, wir akkumulieren stetig ein Mehr an Wissen – das ist ein großer Schatz!“ Für sie lautet eine entscheidende Frage, wie diese Daten nutzbar gemacht werden können. Hier sieht sie – wie viele andere Expert:innen – in Österreich noch großen Aufholbedarf. „Für die medizinische Forschung hat die KI einen besonderen Stellenwert, denn diese kann schneller als wir Menschen z.B. neue Moleküle entdecken, die als potenzielle Wirkstoffe infrage kommen. Wir hoffen zudem, dass KI uns auch dabei unterstützen kann, effizienter und kostengünstiger Medikamente entwickeln und zur Markteinführung bringen zu können“, so Vancata.

Derzeit kommt KI vor allem im Bereich Ursachen und Entstehung von Erkrankungen zum Einsatz. Weitere aktuelle Einsatzbereiche sind mentale Gesundheitsbots zur Steigerung der Lebensqualität, Biomarker-Entdeckung für die Auswahl der geeigneten Behandlung sowie genomische Analysen für die Entwicklung personalisierter Therapieansätze. „Gerade die personalisierte Medizin wird durch KI weiter vorangetrieben werden“, ist Vancata überzeugt. „Außerdem könnte KI in Zukunft beispielsweise einen Mehrwert bei der Überwachung von Patient:innen zu Hause, bei der Prognose von vermeidbarer Hospitalisierung und bei der Unterstützung klinischer Entscheidungen schaffen, um Gesundheitsrisiken und Kosten zu minimieren“, erläuterte Vancata. Ihr Fazit: „Wir hoffen, dass wir in der medizinischen Forschung durch KI in Zukunft schneller zu Lösungen – sprich, zu neuen Wirkstoffen und neuen Medikamenten – kommen werden. Erste Erfolge gibt es hier bereits. Weitere werden hoffentlich folgen.“

Potenzial von medizinethischer Beratung

Mag.a Eva Westhauser, MA, BTh, selbstständige Unternehmensberaterin und Ethikberaterin im Gesundheitsbereich, berichtete in ihrem Vortrag über den Einsatz von medizinethischer Beratung bei besonderen Fragestellungen. So gebe es beispielsweise gerade zu Beginn und am Ende des Lebens Situationen, in denen medizinische Entscheidungen zu ethischen Herausforderungen werden können. Westhauser begann mit der Begriffserklärung von Ethik: „Ethik ist die wissenschaftliche Reflexion auf gelebte Moral und beschäftigt sich damit, was gut/schlecht, richtig/falsch ist. Ziel ist es, eine Leitlinie für moralisch verantwortliches Handeln zu entwickeln.“

Die Medizinethik dient beispielsweise dazu, Güterabwägungen durchzuführen, um Entscheidungen treffen zu können. „Die Medizin verändert sich gerade sehr stark und sehr schnell, vieles ist heute machbar, was früher undenkbar war. Das übersteigt die Vorstellungskraft vieler Menschen. Die Medizinethik fragt hier: ‚Was ist gut für den Menschen‘“, erklärte Westhauser. Sie erläuterte den Einsatz einer medizinethischen Beratung unter anderem am Beispiel Kinderwunsch und In-vitro-Fertilisation: „In diesem hoch technisierten Prozess gilt es für die Betroffenen viele Entscheidungen zu treffen. Dabei kann eine medizinethische Beratung unterstützen.“

Am Ende ihres Vortrags widmete sie sich noch der Frage, ob Digitalisierung und Ethik ein Widerspruch sind. Ihre Antwort: „Kein Widerspruch, aber ein Spannungsfeld, denn KI/ChatGPT/Digitalisierung liefern laufend Antworten auf Fragen, die wir noch gar nicht gestellt haben. Einem ethischen Ansatz folgend sollten wir auch bei der Digitalisierung die vier Fragen von Kant berücksichtigen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?“

Westhauser ist davon überzeugt, dass sich jede:r Einzelne mit Digitalisierung auseinandersetzen sollte, um nicht von der Realität „überrollt“ zu werden. „Es geht um Eigenverantwortung und die Auseinandersetzung mit den eigenen moralischen Dilemmata“, betonte sie abschließend.