Dr. Michael Kreppel-Friedbichler ist seit Februar 2021 Geschäftsführer von Biogen in Österreich. Die Pipeline des internationalen Biotechnologieunternehmens umfasst Produkte für Erkrankungen wie Alzheimer, Multiple Sklerose, spinale Muskelatrophie, neuropathisches Schmerzsyndrom, Lupus-Nephritis und fibrotische Erkrankungen. Für Kreppel-Friedbichler ist Biogen ein Pionier der Neurowissenschaften – und genau dieser Pioniergeist zeichnet in seinen Augen Biogen auch aus: „Biogen wurde 1978 in der Schweiz von Wissenschaftern gegründet, die sich mit den Bereichen Gentechnologie und Molekularbiologie beschäftigt haben. Schon damals war der Pioniergeist ein sehr wesentlicher Teil der Firmenphilosophie, und das ist bis heute so geblieben.“
Daher agiert das Unternehmen stets nach dem Motto: „Wir gehen dorthin, wo noch keiner war.“ Das bedeutet laut Kreppel-Friedbichler, dass Biogen durchaus auch Risiken und die Möglichkeit des Scheiterns in Kauf nimmt. „Genau aus dieser Haltung entsteht die Energie, mit der wir tätig sind. Wenn wir erfolgreich sind, erzielen wir einen namhaften Impact und können wirklich etwas bewegen. Das bedeutet in unserem Fall, dass wir für Patienten einen ganz großen Vorteil erzielen können“, erläutert Kreppel-Friedbichler. Damit zeigt sich für ihn auch klar der zweite wesentliche Aspekt der Firmenphilosophie: „Wir stellen die Patienten in den Mittelpunkt, wir wollen ihnen mehr Lebensqualität ermöglichen, und als Pionier wollen wir natürlich im besten Fall ihre Erkrankung heilen.“ Der Slogan des Unternehmens greift diese Firmenphilosophie auf: „Caring Deeply. Working Fearlessly. Changing Lives.“
Die Basis für die Erfolge des Unternehmens sieht Kreppel-Friedbichler in den technologischen Grundlagen, die zwei der Unternehmensgründer, Dr. Walter Gilbert und Dr. Phillip Sharp, in den 1980er- und 1990er-Jahren entwickelt haben. Gilbert erhielt 1980 den Nobelpreis für Chemie, Sharp 1993 jenen für Physiologie und Medizin. „Diese Basis war notwendig, damit wir unsere bisherigen innovativen Medikamente entwickeln konnten und weitere in Zukunft entwickeln können. Zwei unserer größten Meilensteine waren 2004 der Durchbruch, den wir im Bereich Multiple Sklerose durch den ersten monoklonalen Antikörper erzielen konnten, und 2017, als wir die erste Therapie bei der spinalen Muskelatrophie auf den Markt bringen konnten“, berichtet der Biogen-Geschäftsführer. Für ihn ist es wichtig, „auch in schwierigen Zeiten immer dranzubleiben und nicht aufzugeben. Wir wollen die Ersten sein und sind daher in Bereichen aktiv, wo es oftmals noch keine adäquate Behandlung für Patienten gibt. Wie gesagt, das ist mit Risiken verbunden und natürlich auch mit Rückschlägen. Aber wir wollen Pionierarbeit leisten, deswegen nehmen wir diese Herausforderung an. Genau das zeichnet uns aus!“Der Pioniergeist von Biogen fokussiert aktuell auf den neurodegenerativen und den neuromuskulären Bereich. „Hier wollen wir bei Alzheimer und amyotropher Lateralsklerose (ALS) Durchbrüche erzielen. Zudem forschen wir intensiv an innovativen Therapien bei Schlaganfall und Depression“, gibt Kreppel-Friedbichler Einblick. In kaum einem anderen medizinischen Bereich gibt es in seinen Augen einen derart hohen therapeutischen Bedarf und gleichzeitig die Aussicht auf bahnbrechende Entwicklungen wie in der Neurowissenschaft.
Das Gesundheitssystem in Österreich verfügt in den Augen von Kreppel-Friedbichler über gute Rahmenbedingungen hinsichtlich Politik und Bildungssituation. Auch investiere das Land im internationalen Vergleich relativ viel in den Gesundheitsbereich. Daher entwickelt sich seiner Ansicht nach „schön langsam“ eine Start-up- und Innovationsszene in Österreich. Doch Kreppel-Friedbichler übt auch Kritik: „Das System ist sehr unübersichtlich. Nicht zuletzt die Komplexität der Zuständigkeiten – Bund, Länder, Krankenhaus, niedergelassener Bereich – sorgt immer wieder für Probleme, vor allem an den Schnittstellen, denn dort treten viele Reibungsverluste auf, die die Zusammenarbeit erschweren. Diese Situation könnte man durch Veränderungen im System und durch einen Paradigmenwechsel verbessern.“
Für Kreppel-Friedbichler entsteht teilweise der Eindruck, dass nicht immer bei allen beteiligten Playern der Patient im Mittelpunkt steht, sondern dass die Fokussierung manchmal durch andere Themen beeinflusst wird – „zum Leidwesen des Patienten, der zwischen den einzelnen Stellen des Systems hin und her geschoben wird. Aus dieser ungünstigen Konstellation entsteht die Konsequenz, dass vorhandene Innovationen und Gesundheitsservices nicht immer gleich und nicht immer schnell genug bei den Patienten ankommen“, so Kreppel-Friedbichler.
Wie in jedem anderen Land der Welt werde auch in Österreich die Grundlagenforschung zu wenig finanziert, meint Kreppel-Friedbichler. Hingegen sei die akademische Forschung in Österreich sehr gut aufgestellt. Aber: „Dort, wo es immer wieder Themen gibt, liegen die Bruchlinien. Am Übergang von der Grundlagenforschung in die angewandte oder klinische Forschung kommt es immer wieder zu Problemen. Hier funktioniert die Zusammenarbeit nicht ideal, dadurch entsteht ein nicht gerade innovationsfreundliches Klima, das sehr von Befürchtungen und Ängsten geprägt ist“, weiß er aus der Praxis. Als Beispiel nennt Kreppel-Friedbichler die Nutzung von vorhandenen Gesundheitsdaten, durch die Innovation vorangetrieben werden könnte: „Aber statt über die Nutzbarmachung dieser Daten zu diskutieren, reden wir in Österreich als Erstes über die Probleme mit dem Datenschutz. Statt über Lösungen zu sprechen, geraten wir in eine ideologische Diskussion, wodurch eine mögliche Lösung in den Hintergrund gedrängt wird.“ Für ihn könnte man diese Situation positiv verändern, indem man alle Partner des Gesundheitswesens an einen Tisch bringt und gemeinsam – mit Blick auf die Lösung – bespricht, wie man die Hürden aus dem Weg räumen könnte, statt sich wie bisher an den Hürden erfolglos abzuarbeiten. „Denn so entsteht keine Innovation“, betont Kreppel-Friedbichler.
Die neuen Technologien werden den Gesundheitsbereich grundlegend verändern, ist Kreppel-Friedbichler überzeugt: „Der gesamte Weg des Patienten – von früher Diagnose über Therapie bis zu Nachverfolgung und Monitoring sowie Begleitung unter Therapie – wird breiter und rückt in seiner Gesamtheit verstärkt in den Mittelpunkt. Das bedeutet für uns – und für andere Pharmaunternehmen – viel mehr Möglichkeiten, zusätzlich zu den von uns entwickelten Medikamenten einen Mehrwert zu leisten.“ Daher strebt Biogen an, nicht nur sein Angebot an Produkten zu erweitern, sondern zudem auch vermehrt Gesundheitsservices, z.B. zur Alltagsunterstützung, anzubieten. „Für eine frühere Diagnosestellung und innovative Therapien sowie Patientenunterstützungsangebote benötigt es aber auch Kooperationen. So arbeitet Biogen beispielsweise mit Apple zusammen, um Biomarker im Alzheimer-Bereich früher zu erkennen“, berichtet Kreppel-Friedbichler. Auch die personalisierte Medizin, bei der man durch zielgerichtete Medikamente bessere Wirksamkeit und weniger Nebenwirkungen erreichen kann, spielt in seinen Augen hierbei eine wichtige Rolle. Kreppel-Friedbichler: „Es geht darum, dass der individuelle Patient die richtige Therapie zur richtigen Zeit bekommt. Daher müssen wir das Gießkannenprinzip, bei dem man eine Therapie für alle zur Verfügung hat, hinter uns lassen und uns zudem auch auf den gesamten Patientenweg, nicht nur auf den Moment der Medikamentenentscheidung fokussieren.“
Seine Zukunftspläne als Biogen-Geschäftsführer fasst er daher wie folgt zusammen: „Biogen will sich aktiv in die Gestaltung des österreichischen Gesundheitssystems einbringen, weiterhin mit Pioniergeist die Forschung vorantreiben, als attraktiver Arbeitgeber motivierte und engagierte Mitarbeiter anziehen und den Patienten auf ihrem gesamten Weg als verlässlicher Partner zur Seite stehen.“