ÖAAB-Chef war innerhalb der ÖVP immer ein gewichtiger Posten und auch ein Sprungbrett für höhere Weihen. Nicht zuletzt, weil der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbund nach dem Seniorenbund jener Bund der ÖVP ist, der die meisten Mitglieder hat. Werner Fasslabend und Michael Spindelegger stiegen vom Obmannsessel zum ÖVP-Bundesparteiobmann auf. Viele Jahre davor auch Alois Mock. Johanna Mikl-Leitner wurde Landeshauptfrau von Niederösterreich. Der langjährige ÖAAB-Obmann Fritz Neugebauer war Zweiter Nationalratspräsident. Und auch Bundeskanzler Sebastian Kurz kommt aus den ÖAAB-Reihen und wurde einst von dessen Obmann Spindelegger als Staatssekretär in die Regierung geholt. Kurz war es aber auch, der 2017 den Einfluss des ÖAAB – wie auch der anderen Bünde – zurückdrängte. Der Bundesparteiobmann verlangte vor seiner Kür von den Bünden und Landesparteien den Machtverzicht und versprach ihnen dafür das Kanzleramt.
Schwer mit dem Machtverzicht dürfte sich nach Ansicht vieler Politikbeobachter vor allem der ÖAAB tun. Während der Wirtschaftsbund zuletzt viele seiner Anliegen durchbringen konnte, wie etwa den 12-Stunden-Tag, die 60-Stunden-Woche und den steigenden Einfluss innerhalb der Sozialversicherung, muss der ÖAAB genau diese Maßnahmen schlucken. Die Folge: Es rumort im ÖAAB. Die schwarzen Arbeiterkammerpräsidenten in Vorarlberg, Hubert Hämmerle, und Tirol, Erwin Zangerl, gehen nicht nur auf Distanz zu ihrer Partei, sondern üben auch laut Kritik. Bei der Betriebsratswahl der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse verlor der ÖAAB zudem alle Mandate. Karl Kapplmüller, Chef der ÖVP-Gewerkschafter bei den Metallern, kündigte laut einer Meldung der Austria Presse Agentur im Sommer sogar seinen Austritt aus dem ÖAAB an und kritisierte ÖVP-Klubobmann und ÖAAB-Obmann Wöginger: „Er ist für mich die große Enttäuschung. Dass sich einer in der Politik so ändern kann und als ÖAAB-Chef hauptsächlich nur mehr Arbeitgeberinteressen vertritt, ist ein Wahnsinn.“
Wöginger will das so nicht gelten lassen. Er sei ein Politiker der Mitte, sagt er im Interview. „Das war ich immer und werde ich immer sein.“ Es sei „unendlich wichtig, dass Arbeitnehmerpolitik auch in der ÖVP ein Thema ist“. Als ehemaliger Betriebsratsvorsitzender des Roten Kreuzes Oberösterreich wisse er, wovon er rede, und es sei ihm gerade die Sozial- und Gesundheitspolitik ein Anliegen. Immerhin war er dort für rund 1.700 Beschäftigte zuständig. Und diese würden sich genau ansehen, wer etwas für sie tut, sagt Wöginger, und verweist darauf, dass er dieses Vertrauen durch den Gewinn der Betriebsratswahlen auch erworben habe. Es gehe ihm um eine gute Ausgewogenheit zwischen den Interessenvertretungen. Das bedeute aber nicht, dass man wegschaue, sondern hinschaue, wo die Probleme sind. „Wir müssen etwas weiterbringen. Stillstand ist das schlechteste.
Der Innviertler gilt nicht nur innerhalb der ÖVP, sondern auch beim politischen Gegner als gewissenhafter und fleißiger Arbeiter. Nach dem Zivildienst beim Roten Kreuz war der Absolvent einer Handelsakademie von 1995 bis 2017 Angestellter des Roten Kreuzes im Bezirkssekretariat Schärding. Politisch aktiv ist Wöginger seit seinem 16. Lebensjahr, ging zuerst zur JVP und „durchlief dann alle Stationen“, wie er sagt. Dass er zur ÖVP ging, war für ihn klar: „Unsere Gegend ist bürgerlich.“ Noch heute ist er Gemeinderat in seiner Heimatgemeinde Sigharting.
2002 kam Wöginger im Alter von 28 Jahren dann in den Nationalrat und arbeitete sich auch dort mit Sach- und Hausverstand hoch – vom jungen Hinterbänkler zum Sozialsprecher seiner Partei und letztendlich im Vorjahr zum Klubobmann. Wöginger verhandelte an der Seite des damaligen Finanzministers Hans Jörg Schelling die jüngste Pensionsreform mit und bestimmte die VP-Linie zur Mindestsicherung mit. In der oberösterreichischen ÖVP gilt er als Personalreserve.
Sich selbst bezeichnet Wöginger als Praktiker. „Der Wohlstand, den wir haben, soll möglichst gerecht auf alle verteilt werden. Das funktioniert bereits gut und das fördern wir auch mit der jetzt fixierten Entlastung der niedrigen Einkommen.“ Es brauche allerdings eine „neue soziale Gerechtigkeit“ mit einer vernünftigen Balance zwischen dem, was Menschen verdienen, und dem, was man als Sozialleistung zur Verfügung stellt. „Wir müssen hier zu Beträgen kommen, die die arbeitende Bevölkerung auch versteht, denn sie muss es letztlich auch finanzieren.“ Kurz gesagt: „Jenen helfen, die Hilfe brauchen.“
Das könne aber keine Dauerunterstützung bedeuten für jene, die sich helfen könnten, es aber nicht wollen, spricht Wöginger auf die Mindestsicherungsdiskussion an. Diese solle künftig so gestaltet sein, dass sie einen Anreiz schafft, dass die Menschen arbeiten gehen. „Dafür braucht es natürlich auch eine entsprechende Vermittlung. Aber es werden Arbeitskräfte gesucht – noch und nöcher …“
Die Reform der Sozialversicherungen und die Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen sind für Wöginger ebenfalls dringend nötig. Man bringe nun die größte Strukturreform im Bereich der Sozialversicherung auf den Weg, die es je gegeben hat. Er betont allerdings, dass es sich dabei um eine Strukturreform und keine Gesundheitsreform handle. Das jetzige Gesundheitssystem habe Mängel, die behoben werden müssten, urteilt er, und weist auf überfüllte Ambulanzen und lange Wartezeiten hin. So warte man etwa in seiner Heimatregion, dem Innviertel, bis zu zehn Monate auf einen Augenarzttermin. Außerdem gebe es zu wenig Fachärzte im ländlichen Raum.
Wie Sozialministerin Beate Hartinger-Klein geht auch Wöginger davon aus, dass sich bis zum Jahr 2023 Einsparungseffekte in der Höhe von einer Milliarde Euro erreichen lassen, wobei das gesparte Geld aber im System und bei den Patienten gelassen werde. Es würden keine Spitäler geschlossen und Leistungen gekürzt. „Wir lassen das Geld im System“, erklärte er. Österreichs System sei eines der besten; im Dschungel der 21 Sozialversicherungen, in dem sich niemand mehr auskenne, müsse allerdings in der Struktur etwas getan werden. Es gehe darum, das System schlanker zu machen.
Familienpolitisch setzt sich der dreifache Familienvater – die Kinder sind 14, 11 und 6 Jahre alt – für einen Ausbau der Leistungen ein. „Wir müssen die strukturellen Probleme in den Gehaltssystemen, die eine dauerhafte Benachteiligung der Frauen zur Folge haben, beseitigen“, betonte er zuletzt anlässlich des Equal Pay Day Mitte Oktober. „Ein essenzieller Ansatzpunkt dabei ist die Anrechnung von Kindererziehungszeiten bei Lohn- und Gehaltserhöhungen.“ Durch die Nichtanrechnung werden Frauen oft ihr gesamtes Berufsleben lang schlechter gestellt.
Persönlich versucht Wöginger trotz des fordernden Berufes in Wien möglichst viel Zeit mit der Familie zu verbringen. Dabei zieht es ihn auch regelmäßig in die Natur: Wandern, schwimmen und im Winter Eisstockschießen locken ihn besonders, wie er erzählt. „Für all das haben wir in Oberösterreich wunderbare Möglichkeiten“, sagt der „Gust“, wie er von Freunden genannt wird und der bodenständig nicht nur seine Reden oft im Dialekt hält, sondern auch häufig in Tracht anzutreffen ist.