Führungskräfte: Vertrauenskultur etablieren

Führungskräfte stehen in der neuen Arbeitswelt vor vielen Herausforderungen. Sie mussten und müssen sich selbst auf die Veränderungen der Berufswelt einstellen, außerdem die Mitarbeiter dabei unterstützen, sich unter den veränderten Rahmenbedingungen zurechtzufinden, und darüber hinaus auch noch die eigene Entfaltung sowie die der anderen fördern. Das kommt oftmals einem Balanceakt gleich – doch dieser kann gelingen!

 

 

Online als Ausweg

Vielleicht hat der eine oder andere zu Beginn der Pandemie gedacht, die zahlreichen Online-Meetings seien nur eine vorübergehende Lösung. Mittlerweile wissen wir es besser: Online ist in die Meeting- und Veranstaltungswelt gekommen, um zu bleiben. „Das bedeutet gerade für Führungskräfte, dass sie fit für die virtuelle Meeting-Welt werden müssen. Fortbildungen in diesem Bereich sind daher durchaus sinnvoll, damit man als Führungskraft seiner gestalterischen Aufgabe auch in diesem Bereich nachkommen kann“, empfiehlt der Unternehmensberater Paul Liskutin.

Vertrauen besiegt Kontrolle

Mag. (FH) Michaela Kreitmayer, Hernstein Institut für Management und Leadership, empfiehlt, über Vertrauen und Ergebnisleistungen zu leiten, denn solche Führungskräfte werden es ihrer Überzeugung nach in der neuen Arbeitswelt leichter haben als jene, die mit Macht und Kontrolle führen. „Für Letztere gilt es, die Komfortzone zu verlassen und sich auf neue Möglichkeiten der Reflexion einzustellen. Hierbei hilft beispielsweise die Fragestellung, was 2020 leicht- und was schwergefallen ist. Daraus kann jeder seine persönlichen Learnings ableiten. Für wen dann das Thema Vertrauenskultur immer noch eine Hürde darstellt, der kann sich den Kostenfaktor vor Augen halten: Künftig werden Dienstreisen und Flüge hinterfragt werden – muss das Meeting tatsächlich persönlich stattfinden? Andere freunden sich vielleicht leichter mit dem Nachhaltigkeitsgedanken an: Wenn die Menschen weniger hin und her fahren müssen, wird sich das auch positiv auf die Klimabilanz auswirken“, so Kreitmayer. Ihrer Meinung nach ist es hilfreich, sich von der Einstellung zu verabschieden, dass Anwesenheit mit Leistung gleichzusetzen sei, denn mit Vertrauen, Zielvorgaben, Deadlines und dem Blick auf die Ergebnisse würde dies genauso gut funktionieren.

Soft Skills werden wichtiger

Claudia Reithofer, People & Culture Business Partner bei Roche Austria, betont, dass gerade in Zeiten wie diesen Führungskräfte Orientierung, Zuversicht und Unterstützung bieten müssen, um Teams erfolgreich zu führen und eigenverantwortliches Handeln und Selbstorganisation zu fördern. Ziel sollte es also sein, seine Mitarbeiter zu „empowern“. „Weiters werden Kompetenzen wie Achtsamkeit, Agilität und Empathie ­immer wichtiger, da virtuelle Meetings hier gegenüber persönlicher Interaktion mehr Aufmerksamkeit und Konzentration (Fingerspitzengefühl) benötigen“, erklärt sie. „Da der Kontakt im Büro wegfällt, ist es besonders wichtig, die gemeinsamen Ziele klar zu definieren, Erreichbarkeiten und Erwartungen abzuklären und sich regelmäßig virtuell zu treffen und dabei Feedback einzuholen und zu geben“, so Reithofer.

 

 

Neue digitale Kontaktwege ­gestalten

Mag. Dominik Flener, Geschäftsführer der HealthCareConsulting Group, empfiehlt, z.B. für Mitarbeiterkontakte neue Formate zu entwickeln: So könnte beispielsweise ein täglicher kurzer Rundruf, wie es allen geht, – sozusagen ein „Daily Stand-up“ – das Arbeitsklima und die Stimmung im Team positiv beeinflussen. Solche strukturierten Stand-up Calls gehören auch bei Sanofi zum Arbeitsalltag 4.0. „Jeden Tag gibt es eine Kontaktaufnahme, wie es den Mitarbeitern geht, was sie beschäftigt und was die Kollegen wissen sollten“, gibt Mag. (FH) Johanna Hummer, HR-Leiterin bei Sanofi Österreich, Einblick.

 

 

Antrieb durch Inspiration

Reithofer sieht es als Führungsaufgabe, auch in Remote-Teams eine inspirierende Atmosphäre zu schaffen, in der alle Beteiligten ihr Bestes geben und ihr Potenzial voll einbringen können. „Mit den passenden Collaboration Tools und Methoden sowie gegenseitigem Austausch gelingt dies auch bei virtuellen Besprechungen“, ist Reithofer überzeugt und unterstreicht: „Bei einer vorwiegend virtuellen Zusammenarbeit lassen sich die Stimmungen der Teammitglieder schwerer einfangen, und somit liegt es an der Führungskraft, hier mehr Achtsamkeit walten zu lassen und ihren Support aktiv anzubieten.“
„Im Recruiting gibt es die Erkenntnis: ,Hire character, train skills‘. Damit ist schon einmal die Basis gelegt für ein konstruktives Miteinander. Führen aus der Distanz erfordert viel Vertrauensarbeit, Transparenz und den Mut, Entscheidungen rasch zu treffen. Wenn ein Leader es dann auch noch schafft, sein Team zu inspirieren, dann steht dem gemeinsamen Erfolg nichts mehr im Weg“, empfiehlt Thomas Zembacher, Talentor Austria.

Authentizität und Reflexion als Managementkompetenzen

„Führungskräfte sollten zudem authentisch bleiben, das bedeutet, ehrlich und zuversichtlich kommunizieren. Denn einerseits sollen Führungskräfte gerade in Krisenzeiten Sicherheit ausstrahlen, andererseits ist es wichtig, dass man zugibt, wenn es einem einmal nicht so gut geht. Dies ist eine Gratwanderung, die ebenfalls Selbstreflexion erfordert“, erklärt Kreitmayer.
Dies sieht auch Claus-Dieter Beck, Unternehmensberater, cdb-sales, so: „Die neue Arbeitswelt macht es erforderlich, dass man gut auf seine Ressourcen achtet, also z.B. Privat- und Berufsleben voneinander trennt, auch wenn man im Homeoffice arbeitet. Sich Zeit für sich selbst zu nehmen, um mit den Veränderungen zurechtzukommen, ist für Führungskräfte, aber auch für alle anderen Mitarbeiter jetzt besonders wichtig. Es kann auch helfen, Tagebuch zu führen, um seine Gedanken zu ordnen. Vielleicht tauchen dabei sogar Themen auf, die man dann im Team besprechen möchte.“

Konflikte auch virtuell ansprechen

Selbstverständlich kommt es auch in der Arbeitswelt 4.0 zu Unzufriedenheiten, Reibungspunkten und Ähnlichem. „Leistungsdefizite, Konflikte etc. müssen natürlich auch jetzt angesprochen werden, oftmals stehen dafür aber nur virtuelle Kanäle zur Verfügung. Dies erfordert viel Fingerspitzengefühl, damit keine Kränkungen entstehen. Führungskräfte tun gut daran, gerade jetzt in Ich-Botschaften zu kommunizieren und bei Kritik Verhalten und Ergebnisse zu trennen“, so Kreitmayer. Gar nichts zu machen, sei auf jeden Fall kontraproduktiv.

Individuell auf Mitarbeiter eingehen

Dass gerade jetzt ein empathischer Umgang miteinander wichtig ist, sieht auch Flener so. Speziell beim „New Way of Working“ sei die Persönlichkeit jedes einzelnen Mitarbeiters relevant: „Die Mitarbeiter empfinden die neue Arbeitssituation unterschiedlich. Die Abgrenzung von Arbeit und Freizeit ist im Homeoffice schwieriger, sowohl zeitlich als auch räumlich. Manche neigen dazu, sich zu einer ,Dauerbereitschaft‘ verpflichtet zu fühlen. Auch die persönliche Wohnsituation spielt eine Rolle. Führungskräfte sollten um die Situation der Mitarbeiter – räumlich, zeitlich und auch in Bezug auf das individuelle Empfinden – wissen und diese berücksichtigen.“ Dem stimmt auch Hummer zu: „Mitarbeiter brauchen gerade jetzt die Sicherheit, dass Rücksicht auf ihre persönliche Situation genommen wird. Dazu gehört auch, dass ihnen das Gefühl vermittelt wird, dass sie sich bei Schwierigkeiten melden dürfen und Unterstützung erhalten.“

Bitte kein Mikromanagement!

Für Flener ist es wichtig, beim Austausch zwischen Führungskräften und Mitarbeitern das richtige Maß zu finden: „Es geht um die Frage, was reportet werden muss und was nicht – das klingt einfach, ist es aber nicht. Generell sollten Mitarbeiter berichten, woran sie arbeiten, sich aber nicht ‚zu Tode reporten‘. Und auch Führungskräfte sollten sichtbar machen, woran sie aktuell arbeiten.“ Beck sieht dies ähnlich: „Es wird in Zukunft bei Führungskräften vermehrt um die gestalterische Haltung gehen und nicht um operatives Checken.“ Ein weiterer wichtiger Punkt für Flener ist, dass Zeitfenster eingerichtet werden, in denen Mitarbeiter mit ihren Chefs in Kontakt treten können, „sozusagen ein Moment der ,open doors‘ im Online-Arbeitsalltag“, erklärt er.
Mag. Gabriele Gradnitzer, Head of Life Sciences & Healthcare Practice bei Stanton Chase, weiß ebenfalls um die herausfordernde Situation, in der Führungskräfte derzeit stecken: „Sie müssen Strukturen für neue Arbeitswege vorgeben, dazu gehören z.B. regelmäßige virtuelle Jour fixes, eine neue Feedbackkultur, die online gelebt werden kann – und gleichzeitig soll das ,daily business‘ möglichst ungestört weiterlaufen.“ Damit dies gelingt, ist es ihrer Meinung nach wichtig, das große Ganze im Auge zu behalten und sich nicht zu sehr in Kleinigkeiten zu verlieren. „Mikromanager, die sich zu sehr auf Details konzentrieren und nicht genug an die Mitarbeiter abgeben, werden im virtuellen Team nicht gut führen können“, weiß sie aus der Praxis. Viel wichtiger sei es, die Individualität jedes einzelnen Mitarbeiters zu fördern und seiner Eigenverantwortung zu vertrauen, ist die Personalberaterin überzeugt: „Ohne informelle Treffen wird es dabei nicht gehen, denn diese sind für die Beziehung im Team wichtig. Führungskräfte haben derzeit mehr als je zuvor die Aufgabe, eine persönliche Beziehung zu jedem im Team aufzubauen.“ Im Grunde, so Gradnitzer weiter, sind die Top-Skills von Führungskräften – Empathiefähigkeit, Vermittlungsfähigkeit der Unternehmensstrategie und -kultur sowie die Förderung und Entwicklung von Mitarbeitern – in Zeiten wie diesen einfach besonders wichtig.

Führungskraft 4.0

Welche Qualifikationen braucht eine Führungskraft also in einer zunehmend virtuell geprägten Arbeitswelt? Reithofer bringt es auf den Punkt: „Die Führungskraft fungiert als Visionär und gleichzeitig als Stratege. Sie motiviert und inspiriert die Mitarbeitenden auch aus dem Homeoffice und vermittelt das notwendige Werkzeug für die neue Arbeitswelt. Eine moderne Führungskraft sollte neben der fachlichen Expertise auch ‚Coach mit Fingerspitzengefühl‘ sein und die persönliche Weiterentwicklung der Mitarbeitenden unterstützen.“

Leitung von Remote-Teams

Gerade bei Teams, die gänzlich oder zum überwiegenden Teil virtuell kommunizieren, kommt es auf die wertschätzende persönliche Führung an, weiß Mag. (FH) Michaela Kreitmayer, Hernstein Institut für Management und Leadership, aus der Praxis. Sie definiert folgende Kernkompetenzen für die Führung von Remote-Teams:
  • Anerkennen der individuellen Kompetenzen der jeweiligen Mitarbeitenden.
  • Vertrauen, dass die Mitarbeitenden auch zu Hause gerne und gut arbeiten und ihren Teil beitragen.
  • Bewusst in der Kommunikation bleiben und bedenken, dass der Kommunikationsbedarf bei Führen auf Distanz höher ist.
  • Abseits von fachlichen Meetings auch Socialising-Termine anbieten.
  • Bewusst Zeit zum Zuhören nehmen und sich virtuell dafür verabreden, denn das zufällige Gespräch zwischen Tür und Angel findet in dieser Form nicht statt.
  • Virtuelle Meetings mindestens genauso gut wie Präsenzmeetings vorbereiten, im Idealfall sogar noch eine Spur besser.
  • Ehrlich kommunizieren und authentisch bleiben.
  • Menschen bewusst dort einsetzen, wo ihre Stärken liegen – gerade auch virtuell, um sich dabei gut zurechtzufinden.
  • Erreichte Ergebnisse wertschätzen.
  • Defizite bewusst auch virtuell ansprechen und Vereinbarungen über veränderte To-dos und Verhaltensweisen festhalten.