Bernhard Ecker: Es ist das Ziel aller Pharmaunternehmen, die Forschung betreiben und innovative Produkte für Patienten entwickeln, dass diese modernen, lebensverändernden Therapien auch bei denen ankommen, die sie brauchen. Und zwar rechtzeitig. Als FOPI-Präsident und damit Vertreter dieser innovativen Firmen setze ich mich für passende Rahmenbedingungen ein, damit die forschende Pharmaindustrie ihre Rolle als Türöffner zu einem Leben in Gesundheit auch erfüllen kann.
Sehr wichtig ist für mich auch, dass der wertvolle Beitrag, den wir als innovativer Industriezweig leisten, gesehen und anerkannt wird. Und zwar in der öffentlichen Wahrnehmung, aber auch von Entscheidungsträgern. Gerade in der Pandemie haben die forschenden Unternehmen bewiesen, dass sie sehr schnell eine Lösung für ein weltweites Problem finden konnten, und uns allen damit wieder so etwas Ähnliches wie Normalität ermöglicht. Natürlich ist das ein Extrembeispiel, das nur funktioniert hat, weil in diesem Feld bereits viel Forschung in den letzten Jahren passiert ist und außerdem vieles andere hintangestellt wurde.
Aber am Ende des Tages entscheidet doch das erfolgreiche Zusammenspiel aller Partner in einem Gesundheitssystem, ob wir unseren Patienten eine erstklassige und dennoch kosteneffiziente Versorgung bieten können. Hier wollen wir mitgestalten und Teil der Lösung sein, um die bestmöglichen Ergebnisse für ein nachhaltiges und hochqualitatives Gesundheitswesen und unsere Gesellschaft zu erzielen.
In manchen medizinischen Feldern ist der Zugang zu Innovationen sehr gut, etwa in der Onkologie. In anderen Bereichen gibt es noch einiges zu verbessern, damit Patienten auch wirklich die beste am Markt verfügbare Therapie erhalten – und nicht die, die für das System momentan am günstigsten ist. Das betrifft zum Beispiel den Bereich der chronischen Erkrankungen. Leider sind das gerade die Krankheiten, von denen besonders viele Menschen betroffen sind, die sogenannten „Volkskrankheiten“. Damit hier innovative Therapien rascher zu den Patienten kommen, müsste die Bewertung, was denn eigentlich als Innovation zu bewerten ist, den modernen medizinischen Betrachtungsweisen angepasst werden. Denn Mehrwert für den Patienten ist auch Innovation – das wird aber vom System nicht anerkannt. Damit wird in meinen Augen das Bemühen der Industrie um Fortschritt vom System negiert.
Wenn ich Österreich mit anderen Ländern in der EU vergleiche, muss ich leider feststellen, dass unser Land in puncto Innovation anderen hinterherhinkt. Ein konkretes Beispiel der jüngsten Zeit ist, dass Österreich tatsächlich als letztes Land der EU erst 1.270 Tage nach der Zulassung durch die EMA ein innovatives Medikament erstattet.
Absolut! Österreich hat im Jahr 2018 rund 42,6 Mrd. Euro für Gesundheit ausgegeben, das sind ca. 11,3% unseres Bruttoinlandsprodukts. Arzneimittel machen dabei mit durchschnittlich ca. 13% nur einen kleinen Teil der Kosten aus – ein Anteil, der im Übrigen seit Jahren ungefähr immer gleich ist. Bei manchen Volkskrankheiten ist das Verhältnis zwischen Arzneimittelkosten und den restlichen Aufwendungen noch eklatanter, da liegen die Kosten für Arzneimittel überhaupt nur im einstelligen Prozentbereich der Gesamtkosten. Die stärksten Kostentreiber sind die stationäre und ambulante Versorgung in den Krankenhäusern, die Langzeitpflege, Krankentransporte usw. Diese Leistungen werden vor allem dann fällig, wenn Folgeerkrankungen auftreten. Das heißt, es wird teure Reparaturmedizin betrieben, anstatt auf innovative, moderne Therapien zu setzen, die langfristig dem System einiges an Kosten sparen.
Aber die Gesamtbetrachtung lohnt sich nicht nur in Bezug auf die Kosten, sondern es muss, wie bereits erwähnt, vor allem die Lebensqualität der Betroffenen im Vordergrund stehen! Zudem hat sich in Bezug auf Medikamente bei manchen Menschen eine merkwürdige Logik eingeschlichen, nämlich dass etwas Neues billiger sein sollte. Das funktioniert aber nicht. Und niemand würde bei einem neuen, durch Innovationen verbesserten Auto erwarten, dass dieses weniger kostet als das Vorgängermodell. Warum besteht dann bei Arzneimitteln eine solche Erwartungshaltung?
Das Wichtigste aus meiner Sicht ist, Anreize als Standort zu setzen. Anreize könnten zum Beispiel eine Erhöhung der Forschungsförderung sein sowie klare und verbindliche Förderrichtlinien, damit wir als Forschungsstandort international wettbewerbsfähig bleiben können. Das animiert Unternehmen dazu, sich in Österreich niederzulassen oder heimische Forschungsstandorte auszubauen – und gilt für jede Branche gleichermaßen. Für die Pharmabranche liegen die vielfachen Vorteile medizinischer Forschung in Österreich auf der Hand, und zwar vor allem im unmittelbaren Patientennutzen! Je mehr Arzneimittel in Österreich entwickelt und in klinischen Studien erprobt werden, umso rascher kommen diese innovativen Therapien zu den heimischen Patienten. Zusätzlich liefert das Wissen, das im Zuge von Arzneimittelentwicklung und klinischen Studien im Land generiert wird, auch den Ärzten einen entscheidenden Vorsprung in der Behandlung ihrer Patienten.
Als Land ohne Rohstoffe wird Österreich seinen Wohlstand langfristig ohnehin nur mit Wissen und Innovation halten können. Die Pharmaindustrie als sehr innovative Branche wird somit auch künftig wesentlich dazu beitragen, qualitativ hochwertige Arbeitsplätze zu bieten und die Wertschöpfungskette des Landes zu stärken.
Ecker: Versorgungssicherheit rund um Medikamente ist gerade durch die Coronakrise wieder zu einem sehr wichtigen und präsenten Thema geworden, und das meiner Meinung nach ganz zu Recht. Ich denke, ein wichtiges Stichwort dabei haben Sie bereits erwähnt: Europa. Kein Land hier wird es schaffen, seine Versorgung mit lebensnotwendigen Medikamenten autonom aufzuziehen. Dazu sind Rohstoffbeschaffung, Herstellung, Logistik usw. bereits viel zu komplex. Die COVID-Impfstoffentwicklung liefert uns ein sehr eindrucksvolles Beispiel: Die Produktion eines der Impfstoffe benötigt 280 Komponenten, die von 86 Lieferanten aus 19 Ländern beschafft werden müssen. Diese verflochtene Kette kann unmöglich in einem Land allein abgebildet werden. Für Österreich heißt das, dass wir uns noch intensiver mit anderen europäischen Partnern vernetzen müssen. Damit werden wir zu einem systemrelevanten Partner und reduzieren unser Risiko einer Unterversorgung. Dafür braucht es eine clevere Strategie auf nationaler wie auf europäischer Ebene – sicherlich eine Lektion, die man aus der Pandemie gelernt hat.
Ecker: Aus meiner Sicht gibt es zwei dringend notwendige Reformen. Die Gesamtbetrachtung der Gesundheitskosten, über die wir schon gesprochen haben, ist der erste zentrale Punkt. Allerdings sind die historisch gewachsenen Finanzierungsstrukturen und die Aufsplittung in intra- und extramural große Hindernisse, die eine echte und nachhaltige Effizienz verhindern.
Der zweite wesentliche Punkt betrifft die Bewertung von neuen Arzneimitteln. In Österreich ist es der Käufer, der die Bewertung des medizinischen Nutzens durchführt und dann auch den Preis festlegt. Eine Verschränkung, die nicht sein dürfte. Hier gefällt mir das deutsche Modell wesentlich besser, in dem der Gemeinsame Bundesausschuss mittels Evaluierung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit über den medizinischen Zusatznutzen eines neuen Medikaments entscheidet. Die Preisfestsetzung erfolgt dann aber zwischen Arzneimittelhersteller und GKV-Spitzenverband. Eine derartige „Gewaltentrennung“ bringt mehr Transparenz und Objektivität in das Bewertungssystem, von dem am Ende des Tages auch die Patienten in Österreich profitieren würden.
Vielen Dank für das Gespräch!