Die Ausgangslage war alles andere als einfach: 2019 kamen die Grünen nach der Wahlschlappe 2017 wieder in den Nationalrat. Mit einem weitgehend neuen und unerfahrenen Team stiegen sie dann auch gleich zur Regierungspartei auf. Das Gesundheitsressort war zu diesem Zeitpunkt ein Ministerium mit wenig Beachtung, der Gesundheitssprecher der Partei ein Neuling im Thema. Viel Schonfrist zur Einarbeitung gab es allerdings nicht. Ende Februar 2020 brach bekanntlich die Coronapandemie los.
Die Folge: Durch das COVID-19-Maßnahmengesetz wurde der Gesundheitsminister plötzlich zum mächtigsten Minister der Regierung. Alle Verantwortung sowie alle Erwartungen lasteten auf ihm, obwohl sein Ministerium nicht den notwendigen Apparat hatte, um diese Macht auch ordentlich zu vollziehen. „Perfekte Rahmenbedingungen, um gravierende politische Fehler zu machen, massiven Frust bei der Bevölkerung zu erzeugen und die jeweils diensthabenden Minister ins Burnout zu treiben“, formuliert es ein ehemaliger Grün-Politiker. Der Gesundheitssprecher der Partei wurde da öffentlich kaum wahrgenommen, war aber im parlamentarischen Prozess nicht weniger gefordert. „30 Gesundheitsausschüsse bis heute, 17 Novellierungen des Epidemiegesetzes aus dem Jahr 1950, zig Verordnungen im Hauptausschuss“, zieht Ralph Schallmeiner seine Pandemiebilanz über drei Jahre.
Nicht zuletzt damit hat sich der gebürtige Welser, der in seiner Heimatgemeinde Thalheim bei Wels auch Vizebürgermeister ist, zu einer Konstante der grünen Gesundheitspolitik entwickelt. Und er hat sich quasi im Crashmodus in das komplexe System eingearbeitet, attestieren ihm auch Oppositionspolitiker:innen. Dabei hat der gelernte Großhandelskaufmann, der bis zum Wechsel in den Nationalrat als Verkäufer im Elektrohandel arbeitete, keinen Gesundheitsbezug mitgebracht, wie dies etwa sein ÖVP-Gegenüber, der Arzt und ehemalige Rektor der MedUni Graz Josef Smolle, tut.
Inhaltlich gilt Schallmeiner als hart und konsequent, was die Umsetzung seiner Ideen, Ansichten und Überzeugungen betrifft. Zu spüren bekam das etwa die Pharmabranche bei den Verhandlungen zum neuen Preisband im Frühjahr 2022. Man hatte mit dem Dachverband der Sozialversicherungen Vorschläge für Anpassungen in Preis- und Erstattungsfragen bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln erarbeitet. Damit sollte Planbarkeit für beide Seiten zumindest für die nächsten beiden Jahre sichergestellt werden. Doch dann brachten überraschend ÖVP und Grüne am Abend kurz vor der Abstimmung im Nationalrat noch einen Abänderungsantrag ein, der unter anderem eine letztmalige Verlängerung der Preisbandregelung für Medikamente bis Ende 2023 vorsieht.
Mit dabei: Für „No Box“-Medikamente wird ein Abschlag von 6,5% vom EU-Durchschnittspreis eingeführt. Dem Vernehmen nach legte sich Schallmeiner quer und wollte eine umfassendere Lösung, die sich dann pandemiebedingt nicht ausging. „Die Vorschläge, die nun im Nationalrat beschlossen wurden, spiegeln in keiner Weise den Konsens wider, auf den sich die Verhandlungspartner in vielen sehr fordernden Gesprächen geeinigt hatten“, zeigte sich vor einem Jahr Alexander Herzog, Generalsekretär der PHARMIG, vom Vorgehen schockiert.
Wenig zimperlich und recht deutlich ging der grüne Gesundheitssprecher zuletzt mit der Ärztekammer ins Gericht. Einer der Anlässe: deren Kampagne „Meine Gesundheit beginnt bei meiner Ärztin, meinem Arzt. Und nirgendwo sonst.“ Interessant war Schallmeiners Reaktion vor allem deshalb, weil sie viel über sein Denken preisgibt: „Ich glaube ja, dass Gesundheit bei einem guten Umfeld für uns alle beginnt, bei sauberer Umwelt, einem geretteten Klima und gleichem Zugang zu sozialen Leistungen. Ich bin mir auch sicher, dass Gesundheit bei gut informierten Menschen beginnt. Am besten, indem wir bereits in den Kindergärten Gesundheitskompetenz vermitteln, und das im Sinne von lebenslangem Lernen ein ganzes Leben lang. Ich bin mir auch sicher, dass die Wissenschafter:innen, die sich mit Public Health – nicht nur in Skandinavien – auseinandersetzen, auch noch eine Reihe anderer ganz wichtiger Faktoren aufzählen werden, wo (gute) Gesundheit beginnt.
Vor allem aber zeigt sich damit, dass Gesundheit viel früher als beim Besuch bei den Ärzt:innen beginnt, auch im hohen Alter. Und: Bei all diesen Faktoren müssen nicht zwangsweise Ärzt:innen federführend sein.“ Die Formulierung „und nirgendwo sonst“ klinge „geradezu absurd überheblich“ und werte „Tausende und Abertausende Sanitäter:innen, Lehrer:innen, Diätolog:innen, Radiolog:innen, Pflegekräfte, Logopäd:innen, Apotheker:innen und noch so viele andere direkt und indirekt mit Gesundheit beschäftigte Menschen in unserem Land ab“, so Schallmeiner. Der Satz habe etwas von „Halbgöttern in Weiß“ – eine Zuschreibung, „die zumindest eure Mitglieder so in den allermeisten Fällen, die ich persönlich kenne, ablehnen und nicht wollen“, richtet er der Ärztekammer aus. Nachsatz: „Die Weihburggasse sollte endlich zu einem Hort der Innovation werden und nicht weiterhin ein Synonym für Stillstand im österreichischen Gesundheitswesen sein.“
Im Brennpunkt des grünen Gesundheitssprechers steht ein gleicher, niederschwelliger Zugang zum Gesundheitssystem für alle – und das verfolgt er mit dem Fokus auf Primärversorgungseinheiten, den Ausbau von psychosozialer Versorgung und den Eltern-Kind-Pass sowie die kostenlose HPV-Impfung und Community Nurses. Das solle die Lebensqualität und Lebenserwartung steigern, sichere und wohnortnahe Versorgung auch im Alter gewährleisten sowie Vorbeugung und Therapie verbessern, sagt er. Nicht zuletzt deshalb nutzt er jede Gelegenheit, um sich für Patient:innen stark zu machen. Wer mit ihm ins Gespräch kommen will, trifft hier einen wunden Punkt: Awareness-Aktionen etwa im Krebsbereich wie Movember mit dazugehörigem Schnauzer, Welt-Nichtraucher-Tag, Welt-Aids-Tag, Diabetes usw. promotet er stark. „Je früher Krebs diagnostiziert wird, desto besser kann die Medizin – auch dank neuer und moderner Behandlungsformen – eingreifen. Dieser Zeitvorsprung entscheidet nicht selten über Leben und Tod“, lautet sein Credo. Primärversorgungseinheiten wiederum bieten seiner Meinung nach vor allem für Patient:innen etwas: längere Öffnungszeiten, mehr Angebote, einen höheren Versorgungsgrad, Innovation durch Interdisziplinarität und Interprofessionalität auf Augenhöhe.
Nicht zuletzt deshalb stehen auch die anderen Gesundheitsberufe und letztlich auch die Apotheken bei den Grünen hoch im Kurs – weil sie niederschwellig und patientennah sind. Wirkstoffverschreibung, Teststrategie, Impfungen – all das findet Zustimmung bei Schallmeiner: Bereits im Sommer 2020 appellierte er an alle Stakeholder angesichts der vom damaligen Gesundheitsminister Rudolf Anschober angestoßenen Debatte über Wirkstoffverschreibung, sich nicht auf eine Position einzubetonieren. Er lehne es ab, den Apotheker:innen die Qualifikation zur Entscheidung abzusprechen. „Wer jahrelang Pharmazie studiert hat und dann auch entsprechende Berufserfahrung aufweist, ist per se durchaus qualifiziert. Hier so zu tun, als wäre nur eine Berufsgruppe kompetent, halte ich persönlich für den falschen Zugang. Eine lösungsorientierte Diskussion braucht gegenseitige Anerkennung der Qualifikationen und nicht ein Absprechen ebendieser“, sagte er damals.
Neben der Wirkstoffverschreibung haben die Grünen für die verbleibende Legislaturperiode noch das Psychotherapiegesetz, den Ausbau des Primärversorgungsgesetzes, das Sanitätergesetz, den Facharzt für Allgemeinmedizin, das MTD-Gesetz und mit Jahresende eine neue Preisbandregelung sowie ein neues Epidemiegesetz auf der Agenda. Auf der Habenseite führt Schallmeiner im Gespräch den Facharzt Kieferorthopädie „trotz Widerstands einzelner Bundesländer“, den e-Impfpass, die e-Medikation, den ELGA-Ausbau, die Novellierung des Medizinproduktegesetzes, Änderungen im Erstattungskodex sowie die „Aussöhnung zwischen Psychotherapeut:innen und klinischen Psycholog:innen“ unter dem Titel „Gesund aus der Krise“ an.