Michael Kocher repräsentiert seit Juni 2018 als Country President alle Novartis-Gesellschaften in Österreich nach außen. Die Unternehmensvision „Reimagining Medicine“ – „Medizin neu denken“ – beschreibt er folgendermaßen: „Uns geht es darum, den Menschen über unsere Therapien ein längeres und besseres Leben zu ermöglichen.“ Dabei habe sich die Unternehmenskultur von Novartis über die letzten Jahre stark verändert. „Die Kernwerte des Unternehmens sind heute unbossed, curious and inspired. Das heißt, wir versuchen, die Innovation in unserem Unternehmen über kurze Wege ohne Hierarchieebenen zum Leben zu erwecken“, erklärt Kocher. Dabei fokussiert sich Novartis auf ganz bestimmte Therapieplattformen und versucht, das Thema Data entsprechend zu akzentuieren, „denn wir sind davon überzeugt, dass die Vernetzung von allen Daten, die im Laufe der Zeit generiert werden, dazu führt, dass wir einen unbegrenzten Patientennutzen herstellen können“, so Kocher weiter.
Im Jahr 1946 hat das Unternehmen in einer kleinen Brauerei in Kundl begonnen, Antibiotika zu fermentieren. Anfang der 1950er-Jahre hat die damalige Biochemie dann das sogenannte Penicillin V, also das säurestabile Penicillin, entdeckt. „Das war das erste eindrucksvolle Beispiel für den unglaublichen Innovationsgeist, der in Kundl/Schaftenau herrscht. Es folgten viele weitere Meilensteine und Innovationen in den darauffolgenden Jahrzehnten, bis hin zur Etablierung eines Kompetenzzentrums für Nukleinsäureproduktion in Tirol, das weltweit zu den führenden auf diesem Gebiet gehört. Wir investieren jedes Jahr ungefähr 300 Mio. Euro in neue Produktionsanlagen, in Innovationen in Österreich, und haben im Zuge dessen jetzt gerade zwei hochmoderne Biopharmazeutika-Anlagen eröffnet, die sogenannte BioFuture-Anlage und die sogenannte CC2-Anlage in Schaftenau. Alles in allem sind wir stolz, dass wir bei zwei großen Themengebieten, bei den Antibiotika, aber auch bei den Biopharmazeutika, in Kundl/Schaftenau integriert sind und damit sehr viele Patient:innen versorgen können.“
Auch für die Zukunft hat man bei Novartis große Pläne: „Für 36% der Todesfälle in Österreich sind kardiovaskuläre Erkrankungen die Ursache. Eine Million Menschen gehören aufgrund ihres LDL-Cholesterins zur Hoch- und Höchstrisikogruppe für Herz-Kreislauf-Erkrankungen Wir haben in diesem Bereich vor Kurzem ein Medikament gelauncht, das lediglich zweimal im Jahr verabreicht werden muss. Mit seinem bahnbrechenden Wirkansatz auf RNA-Basis wollen wir dazu beitragen, die Todesursache Nummer eins in Österreich zu verhindern. Damit sollen nicht nur die Betroffenen mehr Lebensjahre gewinnen, sondern wir wollen damit auch volkswirtschaftlich einen erheblichen Beitrag leisten“, erläutert Kocher.
Der zweite aktuelle Schwerpunkt von Novartis sind die sogenannten Zell- und Gentherapien, etwa mit CAR-T im Bereich Onkologie zur Behandlung seltener Blutkrebsarten oder im Bereich der monogenetischen Muskelerkrankung SMA (spinale Muskelatrophie), bei der eine Gentherapie bei Babys den sonst tödlichen Muskelschwund stoppen kann. Auch auf dem Gebiet der Multiplen Sklerose hat das Unternehmen erst kürzlich zwei innovative Medikamente auf den Markt gebracht.
Österreich als Standort für ein Pharmaunternehmen bringt in Kochers Augen den Vorteil eines sehr interessanten universitären Umfelds mit. Dadurch sei auf der einen Seite der Zugang zu Talenten, also das Thema „Talent Attraction“, sehr einfach. „Doch auf der anderen Seite ist Österreich nun einmal ein kleines Land und wir müssen daher weit über unsere Landesgrenzen hinausschauen, um die Talente zu bekommen. Und Fachkräfte aus anderen Ländern in unsere Unternehmen in Österreich zu integrieren, ist nicht unbedingt einfach. Abseits der Großstädte gibt es beispielsweise keine internationalen Schulen und auch die aktuellen Bestimmungen rund um die Rot-Weiß-Rot-Card stellen uns immer wieder vor große Herausforderungen“, beschreibt Kocher die Problematik. Um dennoch weiter wachsen zu können, plädiert er daher für einen leichteren Zugang zu Talenten aus dem Ausland, denn „wir versorgen in Österreich knapp sechs Millionen Patient:innen. Unsere Penicillinproduktion würde ausreichen, um ganz Europa zu versorgen. Deshalb brauchen wir, wenn wir hier einen bedeutenden Life-Science-Standort kreieren wollen, entsprechende Fachkräfte. Bei Novartis suchen wir derzeit in Tirol über 400 Mitarbeitende“, gibt der Novartis-Geschäftsführer Einblick.
Was Österreich als Forschungsstandort betrifft, ist Kocher davon überzeugt, dass es ein gemeinsames Bekenntnis und einen echten Schulterschluss braucht. „Es gibt sehr innovative Pharmaunternehmen in Österreich, die auch viele klinische Studien hierzulande durchführen. Doch Initiativen, Österreich zu einem führenden Life-Science-Standort auszubauen, bleiben häufig nur Lippenbekenntnisse seitens der Politik. Wirkliche Veränderungen durchzuführen und sozusagen einen Mindset-Shift zu generieren, ist gesellschaftlich hingegen nicht so einfach. Das sieht man beispielsweise auch an der COVID-19-Impfbereitschaft in Österreich. Gerade auch im Hinblick auf diese Skepsis gegenüber den Naturwissenschaften muss es ein Umdenken geben, damit Österreich wirklich ein führender Forschungsstandort werden kann“, ist Kocher überzeugt. Positiv bewertet er die Forschungsprämie: „Das ist ein Instrument, das viele forschende Unternehmen sehr gerne in Anspruch nehmen und das Österreich von vielen anderen Standorten unterscheidet.“
Auch die Unterstützung von Patient:innen liegt Novartis sehr am Herzen, und so stellt das Unternehmen eine große Anzahl von Broschüren und anderen Informationsmaterialien zur Verfügung. Zudem hat Novartis im letzten Jahr einen „Patient Innovation Award“ eingeführt: „Dabei können Patientenorganisationen, Selbsthilfegruppen etc. mit innovativen Projekten in vier verschiedenen Kategorien – Verkürzung der Diagnosestellung, Erhöhung der Aufmerksamkeit für die Erkrankung in der Gesellschaft, Krankheitsprävention sowie neue Kanäle und digitale Tools in der Patientenkommunikation – einreichen. Die Gewinner:innen werden von einer unabhängigen Jury ermittelt und anschließend von Novartis mit jeweils 5.000 Euro dabei unterstützt, diese Projekte in die Tat umzusetzen. Dieser Award wurde letztes Jahr als Pilotprojekt zum ersten Mal verliehen – das Echo war grandios. Deshalb haben wir dieses Jahr im März die Ausschreibung für den Patient Innovation Award 2022 gestartet“, berichtet Kocher. Weitere Informationen unter https://www.novartis.at/patient-innovation-award.
Für die Zukunft wünscht sich Kocher, dass die Erstattungspraxis in Österreich kritisch diskutiert wird. „Rund 40% des Generikaportfolios haben ein Pricing unterhalb der Erstattungsgrenze. Sieht man sich beispielsweise den Antibiotikabereich an, bedeutet das, dass eine Tagestherapie mit Amoxicillin, also einem Penicillin, günstiger ist als ein Kaugummi. Daher kann kein Hersteller diese Produkte vertreiben, ohne Verluste zu schreiben. Das führt dazu, dass bestimmte Medikamente in Österreich einfach nicht mehr angeboten werden, und ist auch dafür verantwortlich, dass Novartis der einzige verbleibende Penicillinhersteller in der westlichen Welt ist, der voll integriert ist. Dasselbe gilt auch für unsere innovativen Therapien. Bei diesen richtet sich der Erstattungsbetrag künftig nach dem Durchschnitt der Europäischen Union, und davon werden dann noch einmal 6,5% abgezogen. Bei diesem EU-Durchschnitt werden aber auch Niedrigpreis-länder wie Portugal, Spanien etc. miteinbezogen. Das ist ein großes Problem, über dessen Lösung Politik und Industrie gemeinsam reden müssen“, betont Kocher. Generell plädiert er dafür, dass Politik und Industrie gemeinsam zum Wohle der Patient:innen agieren sollten, denn letztendlich komme ein hoher Patientennutzen durch innovative Therapien nicht nur den Betroffenen, sondern auch der Gesellschaft zugute.
„Die innovativen Therapien und Generika von Novartis haben in den letzten Jahren 50.000 gesunde Lebensjahre für sechs Millionen Patient:innen in Österreich ermöglicht. Das gemeinsame Ziel aller Player im Gesundheitswesen muss sein, durch noch mehr Prävention und innovative Therapien noch mehr gesunde Lebensjahre für noch mehr Menschen zu erreichen“, so Kocher abschließend.