In den letzten fünf Jahren hat KI in vielen Bereichen immens große Fortschritte gemacht. Insbesondere die Fähigkeit, große Datenmengen (Big Data) mittels Machine Learning (ML) zu analysieren und zu verarbeiten, brachte zahlreiche innovative Möglichkeiten für Marketing und Sales mit sich. Die KI- und ML-Systeme können mittlerweile einzelne Aufgabenblöcke selbstständig und binnen kürzester Zeit in adäquater Qualität lösen. Im Marketing und im Vertriebsbereich existieren bereits viele Einsatzszenarien für KI-basierte Instrumente.
Weitverbreitete Insellösungen für KI kommen vorrangig aus 4 Bereichen:
Es handelt sich um Insellösungen, da diese zwar eher spezifische Aufgaben übernehmen, jedoch bereits noch nicht zusammenhängende, komplexe Prozessketten autark behandeln können. Daher sind diese Funktionen recht einfach in bestehende Infrastrukturen integrierbar. Der Einsatz erfolgt meistens zur Entlastung und Ergänzung menschlicher Leistungen und führt in Kombination zu einer höheren Effizienz im Marketing.
Die Potenziale von KI sollten jedoch keinesfalls nur auf eine Steigerung der Effizienz reduziert werden. Als Stellhebel für nachweislich mehr Wachstum und Umsatz (Orgis & Cogan, 2021) birgt KI in Verbindung mit Marketingautomation ein enorm hohes Potenzial im Bereich Werbewirkung und Personalisierung für bessere Kundenbeziehungen (Abb. 1). Hier sprechen wir nicht mehr über Insellösungen, sondern über ganzheitliche Systeme, die fest mit der Infrastruktur sowie der Unternehmens- und Marketingstrategie verzahnt werden, um zum Beispiel folgende ökonomischen Ziele zu erreichen:
Das Nutzerverhalten und die Kundenanforderungen an jegliche Kommunikation haben sich in den letzten zehn Jahren drastisch und dramatisch verändert. Die Coronakrise hat hier zudem maßgeblich zur Prozessbeschleunigung beigetragen, welche voraussichtlich auch zukünftig anhalten wird. Es geht schon längst nicht mehr nur um Inhalte und die Produktion von Content, sondern vielmehr um die zielgerichtete Distribution dieses Contents sowie um die kontinuierliche Weiterentwicklung der damit verbundenen Prozesse und Technologien. Hinzu kommt die Tatsache, dass Kommunikation bei wachsendem Budgetdruck immer messbarer und effizienter Ziele erreichen muss – KPI sind mittlerweile nicht mehr ein „Can“, sondern ein „Must“. Content hat (zu) wenig Wert, wenn er mit seiner Botschaft eben nicht die richtige Person im genau richtigen Moment am richtigen Ort erreicht. Marketer sehen sich daher gezwungen, nicht nur den Impact jedes einzelnen Contents kontinuierlich im Blick zu haben, sondern in erster Linie die ganzheitliche Customer Experience (Lemon & Verhoef, 2016).
Menschen erwarten im Zeitalter der Digitalisierung ein nahtloses Kundenerlebnis, geräteunabhängig und kanalübergeordnet. Daher rückt der Customer-First-Ansatz immer mehr in den Vordergrund und stellt Marketingorganisationen vor enorme Herausforderungen (Abb. 2).
Das Identifizieren und Nutzen des passenden Momentums ist eine Grundvoraussetzung für das Verfolgen eines Customer-First-Ansatzes mit dem Ziel einer ganzheitlichen und somit erfolgreichen Customer Experience (Lemon & Verhoef, 2016). Dafür müssen heutzutage deutlich mehr Touchpoints und entsprechend auch Content eingesetzt werden, um die relevanten Informationen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort auch adäquat vermitteln zu können. Für Marketingorganisationen hat dies zwei wesentliche Auswirkungen: zum einen eine deutlich erhöhte Komplexität durch die steigende Anzahl an Kanälen und zum anderen infolgedessen deutlich wachsende Content-Mengen.
Angesichts genau dieser Herausforderung wird der Einsatz von KI zunehmend eine wichtige Rolle im Marketing einnehmen. Denn das Marketing sieht sich nicht allein mit einer zunehmenden Anzahl von Kanälen und Content konfrontiert, sondern zugleich mit der immer komplexer werdenden Customer Journey, bedingt durch die zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten von Kommunikations- und Vertriebskanälen sowie durch die dadurch entstandene „Unberechenbarkeit“ von Kund:innen auf deren Konsum- und Kommunikationsreise. Somit wird es zunehmend schwieriger, das richtige Momentum der Kundenansprache mit herkömmlichen Marketingmethoden effizient zu nutzen. Angesichts dieser Komplexität zeigt sich entsprechend des Hankins-Hexagon-Modells (Abb. 3) nunmehr, dass der Entscheidungsprozess von der Interessensphase für Produkte und Dienstleistungen bis zum Kauf längst nicht linear erfolgen muss; vielmehr verlangen teils völlig unterschiedliche Kontaktpunkte und komplexe bis unvorhersagbare Entscheidungsmomente der Kund:innen nach neuartigen Marketinglösungen.
Für Marketing und Kommunikation ist genau deshalb ein Upgrade der Daten- und Technologieinfrastruktur dringend erforderlich. Ohne die „richtigen“, d.h. entscheidungsrelevanten Daten zum Kundenverhalten ist es unmöglich, das Verbrauchererlebnis vollends zu verstehen, geschweige denn, dieses zu individualisieren. KI bietet für genau diese Problematik eine Lösung: KI ermöglicht das Schaffen personalisierter und individualisierter Customer Journeys, die in Realtime spezifisch für Kund:innen kreiert werden und direkt auf deren Bedürfnisse und Gewohnheiten zugeschnitten sind. Dafür müssen große Datenmenge analysiert, gespeichert, segmentiert und verarbeitet werden.
Auf Basis von Mustererkennung, vordefinierten Micro-Segmenten und intelligenten Tagging- Konzepten wird mittels dieser analysierten Daten eine Verbindung zwischen Kommunikationsinhalten und -empfänger hergestellt. Je nachdem, wo sich der (potenzielle) Kunde (bzw. die Kundin) im Rahmen der individuellen Customer Journey befindet und wie ausgeprägt die Affinität zum jeweiligen Kommunikations- bzw. Vertriebskanal ist, werden automatisiert individualisierte Inhalte distribuiert. Das Ziel ist, diesen Kunden just in dem Moment mit für ihn bedeutsamen Inhalten und Angeboten zu bedienen, in dem dessen Empfangsbereitschaft für die erforderliche Information am höchsten ist. Dadurch werden eine KI-basierte und zunehmende Modularisierung sowie die Wiederverwendbarkeit von Inhalten und Kommunikationsmaßnahmen geschaffen. In der einfachsten Form werden so beispielsweise verschiedenen Kund:innen auf ein und derselben URL einer Website gänzlich unterschiedliche Inhalte angezeigt – eine Individualisierung, die ohne KI weder vorstellbar noch realisierbar ist.
Das Vertrauen in KI ist derzeit meist noch nicht groß genug, um die Empfänger:innen werblicher Kommunikation im Folgenden dann auch konsequenterweise mit Inhalten zu bespielen, die durch die KI komplett selbstständig erstellt werden. Technisch ist dies allerdings bereits möglich: Anbieter wie Neuroflash oder Jasper.AI demonstrieren, wie fortgeschritten das Erstellen von Texten durch KI bereits ist. Hierbei wird die KI durch Textbefehle gesteuert, mittels Natural Language Processing (NLP) werden diese verarbeitet und auf Basis bestehender KI-Modelle umgesetzt.
Noch spannender ist der Blick auf die automatische Erstellung von Bildern durch KI. Durch beispielsweise den Befehl „An astronaut riding a horse in a photorealistic style“ hat DALL-E von OpenAI in Sekunden ein Bild erstellt und bietet sogar weitere Varianten dieses Bildes bzw. Themen zur Auswahl an. Da im Web allerdings auch viele Bilder kursieren, die weit weg vom Optimum sind, sollte, auch wenn die technischen Möglichkeiten längst bestehen, deren Einsatz erprobt, hinterfragt und optimiert werden.
Häufig bieten KI-Dienstleister nicht komplett neue Formen von KI an. Sie nutzen vielmehr ausgereifte, bereits bestehende KI-Modelle in ihren Lösungen und adaptieren diese an die Anforderungen ihrer Kund:innen sowie an die Anforderungen des Marktes. Als ein Beispiel ist hier das erfolgreiche KI-Modell für Textgenerierung „Generative Pre-trained Transformer“ (GPT; seit 2020 aktualisiert als GPT-3 verfügbar) zu nennen. Zunächst wurde GPT-3 in Experimenten verwendet, um Blogbeiträge über Pressemitteilungen bis hin zu technischen Handbüchern zu produzieren. Das Ergebnis war mehr als zufriedenstellend und zeigte einen hohen Grad an Genauigkeit. Um dies zu erreichen, verwendet GPT-3 in seinem Sprachmodell 175 Milliarden Parameter; in der Vorgängerversion waren „nur“ 1,5 Milliarden Parameter eingesetzt worden.
KI kann heute Inhalte generieren, Content-Strategien entwickeln, Content personalisieren und vieles mehr. Die Modelle und Einsatzszenarien von KI wachsen aktuell und auch in Zukunft rasant. Das hat Marketer dazu veranlasst, diese Technologie früh bzw. rechtzeitig in Marketing und Sales einzusetzen. Der Einsatz bzw. die Wirkung von KI ist aktuell vielleicht nicht perfekt, wird aber immer besser.
Der wahre Mehrwert der KI liegt nicht in der Übersetzung einer manuellen Funktion in eine automatisierte Variante, sondern vielmehr in der Schaffung von gänzlich neuen Lösungen für komplexe Aufgabenstellungen, die durch die KI oft sogar besser, vor allem jedoch nahezu ausnahmslos schneller erfolgt. Denn hier ist der Mehrwert nicht die alleinige Zeitersparnis im Vergleich zur menschlichen Leistung, sondern eine höhere Effektivität und Effizienz – der Einsatz von Methoden und Möglichkeiten, die ohne KI nicht möglich wären. Es geht auch nicht darum, beispielsweise Redakteure durch KI zu ersetzen oder Content-Marketer überflüssig zu machen, selbst wenn diese Entwicklung langfristig eintreten könnte. Vorrangig geht es darum, eine Leistung in der bestmöglichen Form, in einer hohen Qualität und Schnelligkeit durch die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine zu ermöglichen.
Der KI sind selbstverständlich Grenzen gesetzt und sicher ist nicht jede Organisation aktuell in der Lage, diese Mechanismen adäquat einzusetzen. Mit der voranschreitenden Weiterentwicklung der digitalen Technologie und insbesondere von KI entstehen jedoch in der Kommunikationsbranche und im Markenmanagement mittlerweile nahezu ständig neue Verfahren und Möglichkeiten, die Interaktion zwischen Distributor:innen und Empfänger:innen von Kommunikation zu optimieren und zu beschleunigen. Das muss jedoch nicht bedeuten, dass herkömmliche Marketinginstrumente und -verfahren komplett obsolet werden – die Wirkung auf die Empfänger:innen wird jedoch kaum vergleichbar sein.