Im transfer-Artikel „KI – Hype oder Wahrheit, Zukunft oder Gegenwart“ (Seite 12–15) werden die technischen Möglichkeiten von KI im Marketing sowie die Vorteile, die dadurch erzielt werden können, aufgezeigt. Doch kann/soll man auch im Pharmamarketing, in dem es um eines der sensibelsten Güter, nämlich die Gesundheit, geht, Arbeitsschritte an künstliche Intelligenz auslagern? Ja, meinen die Befragten: Und zwar immer dort, wo KI für die Menschen und/oder das Unternehmen zu Effizienzgewinnen führt.
„KI spielt auch im Pharmamarketing bereits eine Rolle, derzeit zwar noch eher auf globaler als auf lokaler Ebene, aber beispielsweise zum Testen neuer Kampagnen bzw. im Go-to-Market-Bereich wird KI auch in Österreich schon jetzt eingesetzt, Tendenz steigend“, erläutert Fiona Reichholf, MBA, Leiterin der Pharma- und Healthcare-Agentur CAKE in Wien. Zwar agieren Pharmaunternehmen eher konservativ, doch sieht die Marketingexpertin eine zunehmende Akzeptanz für KI-Lösungen. So seien bei CAKE bereits KI-Tools zur Content-Generierung für Studienzusammenfassungen sowie zur Erstellung von Content-Strategien im Einsatz, berichtet Reichholf.
Auch Jan Gorfer, Managing Director bei der Digital-Agentur Plan.Net Austria im House of Communication, unterstreicht: „Die derzeitigen Use Cases für KI im Pharmamarketing sind aktuell getrieben von größeren Unternehmen und werden in den Head Quarters entwickelt.“ Er weist daraufhin, dass man mit dem Begriff KI einen sehr großen Bereich bezeichne, bei dem man Automatisierung und KI unterscheiden müsse. Im Bereich Automatisierung sei die Pharmabranche durchaus bereits weiter vorangeschritten, während sie im KI-Bereich eher zögerlich agiere, so Gorfer. Ein Eindruck, den Michael Mehler, Geschäftsführer der Werbeagentur ghost.company, teilt: „Automatisierung kommt bereits im Pharmamarketing zum Einsatz und kann als KI-Vorbote gesehen werden. Der Einsatz von KI passiert derzeit noch eher zögerlich. Meiner Meinung nach ist KI auch im ,normalen‘ Marketing noch nicht wirklich etabliert.“
„Data Science und künstliche Intelligenz haben bereits jetzt eine feste Rolle im Pharmamarketing“, betont Matthias Zurth, der bei adesso SE, einem der führenden IT-Dienstleister im deutschsprachigen Raum, für Business Development im Life-Science-Bereich zuständig ist. Für Zurth dient der Einsatz von KI im Pharmamarketing drei Zielen:
Zurth, der Medizin studiert hat und als Anästhesist tätig war, sich nun aber seit einigen Jahren mit digitalen Lösungen im Gesundheitsbereich, auch im Marketing, beschäftigt, ist davon überzeugt, dass es im Marketing von großer Bedeutung ist, kontinuierlich Daten zu erheben und nicht wie früher nur punktuell. „Das gilt für den Pharmabereich genauso wie für jede andere Branche. Und mit KI kann man Insights aus verschiedenen Quellen deutlich schneller generieren“, so der IT-Experte. Dies sieht Gorfer genauso: „KI ist bei der Datenanalyse deutlich schneller als der Mensch und erkennt in kürzerer Zeit deutlich mehr Zusammenhänge.“ Hier sieht auch Reichholf einen wesentlichen Benefit: „KI-gestützte Tools machen beispielsweise auch zur Content-Generierung und zur Prozesskostenanalyse Sinn und werden hier bereits im Pharmamarketing eingesetzt.“
Mehler merkt jedoch an, dass man die Rolle der Datenqualität nicht außer Acht lassen dürfe: „KI ist immer nur so gut wie die vorhandenen Daten – und wir wissen, dass nicht alle Daten aus der Pharmaforschung und dem Gesundheitswesen in Österreich so verfügbar sind, wie es sinnvoll wäre.“
Auch Jakob Dirisamer, Leiter der Digital Solutions Unit bei Novartis Österreich, berichtet, dass KI bereits im Pharmamarketing eingesetzt wird: „Die meisten Pharmaunternehmen befinden sich in diesem Bereich derzeit an derselben Stelle und haben gerade die ersten Schritte umgesetzt. Vor allem im Bereich Understanding Customers bzw. Customer Engagement kommt KI zur Anwendung.“ Das Ziel dahinter ist für Dirisamer klar: „Wir wollen verstehen, was Patient:innen und Ärzt:innen bewegt, welche Themen für sie wichtig sind. Dafür stehen uns viele Daten, z.B. aus klinischen Studien, Marketingkampagnen etc., zur Verfügung, die wir mittels KI analysieren lassen. Dieses Screening dient u.a. dazu, Themen zu eruieren, die in Zukunft in den Vordergrund rücken werden.“
Ein wichtiger Bereich, in dem KI laut Zurth schon jetzt im Pharmamarketing eingesetzt wird, ist in diesem Zusammenhang Social Listening: „KI kann Fragen beantworten, wie die Zielgruppe über meine Produkte bzw. meine Marke denkt, indem sie beispielsweise soziale Medien oder Online-Foren analysiert.“ Ein weiterer wichtiger Einsatzbereich ist Competitive Intelligence. „Was macht eigentlich die Konkurrenz, welche Werbebotschaften verwendet sie, welche Aspekte werden dort in den Fokus gerückt etc. – das sind alles Informationen, die KI aus sehr großen Datenmengen herausfiltern und dadurch wichtige Fragen für meine Marketingentscheidungen beantworten kann“, erklärt Zurth.
Auch Reichholf hält es für sinnvoll, KI zur Entwicklung von Content-Strategien einzusetzen: „Wir wenden das auch an, beispielsweise für einen Produktlaunch. KI kann das gesamte globale Material durchsuchen und z.B. die Kernbotschaften herausfiltern oder ,Blind Spots‘, also Aspekte, über die der Mitbewerb nicht spricht, die für die Zielgruppen aber relevant sind, ermitteln. Zudem kann man mit KI die Studienlage analysieren und das Informationsmaterial semantisch clustern bzw. differenzieren. So können Aspekte erhoben werden, die das Unternehmen nicht kennt, die für die Zielgruppe, also z.B. Ärzt:innen, aber durchaus relevant sind.“
„Möglicherweise wird KI bald auch im Bereich Kreation eingesetzt. Derzeit ist das bei uns noch kein Thema. Denn auch wenn KI hier unterstützend angewandt werden kann, wird es immer Menschen brauchen, die das Ganze planen, Ideen kreieren, kontrollieren etc.“, so Reichholf. Sie kann sich aber beispielsweise vorstellen, dass KI in Zukunft vermehrt genutzt werden wird, um komplexe Prozesse aus dem medizinischen Bereich abzubilden. Beim Einsatz von KI zur Texterstellung im Gesundheitsbereich ist sie eher skeptisch: „Für das Screening von vielen Informationen in kurzer Zeit ist KI immer sinnvoll und wertvoll, das ist z.B. bei Kongressen sehr hilfreich, denn KI kann in kürzester Zeit eine Vielzahl an Studien lesen und screenen. Das heißt, KI kann das Basismaterial für Texte durchsuchen und die relevanten Informationen an die zuständigen Personen weiterspielen. Dennoch ist der Gesundheitsbereich ein sehr heikler Bereich und zu Recht sehr streng reglementiert und bedarf dadurch der menschlichen Komponente.“
Mehler sieht dies ähnlich: „Die Texte im Gesundheits-/Pharmabereich sind zu spezifisch, hier gerät KI rasch an ihre Grenzen.“ Dirisamer ergänzt: Derzeit spielt bei der Texterstellung und zielgruppenspezifischen Adaption von Texten der Mensch nach wie vor die zentrale Rolle.“ Mehr über KI in der Zielgruppenkommunikation ab Seite 21.
Bei Webseiten sei es aber bereits möglich, auch im Gesundheitsbereich datengestützte bzw. KI-basierte Inhalte anzubieten, so Reichholf, „ob ein Unternehmen das will, hängt unter anderem auch vom digitalen Reifegrad der Firma ab.“ Auch Mehler hält den Einsatz von KI bei Webseiten durchaus für möglich, um unterschiedlichen Content je nach User auszuspielen: „Wir haben das auch schon einmal gemacht, dass die Visuals einer Website sich je nach User verändert haben. Aber für mich ist die entscheidende Frage immer, ob der Einsatz von KI auch wirklich Sinn macht. Speziell im OTC-Bereich kann ich es mir durchaus interessant vorstellen, wenn z.B. eine Patientin mit einem Harnwegsinfekt auf einer Webseite einen anderen Content präsentiert bekommt als jemand ohne Harnwegsinfekt. Aber die entscheidende Frage ist immer: Wie komme ich zu den relevanten Informationen und will mir der User diese liefern?“
Laut Reichholf dient KI auch zur Erfolgsmessung: „Mit bisherigen Methoden kann/konnte man nur annähernd erheben bzw. Rückschlüsse ziehen, welche Maßnahmen welchen Effekt erzielt haben. Dies führte dazu, dass man Budgets oftmals sehr breit gestreut hat. Hier haben die digitalen Medien bereits zu Veränderungen geführt, denn beispielsweise in den sozialen Medien kann man KPIs, also Key-Performance-Indikatoren, sehr genau messen. In der Mediaplanung könnte KI also die Effizienz der Maßnahmen deutlich erhöhen.“ Und Dirisamer fügt hinzu: „Mit KI können wir aussagekräftige Daten sammeln, um zu verstehen, welche Maßnahmen zu Conversion, also zur Umwandlung eines Interessenten / einer Interessentin in einen Kunden / eine Kundin, führen. Hierzu gehört z.B. die Antwort auf folgende Fragen: „Wie viele Ärzt:innen klicken auf einen Banner – und was kostet mich das?“ Dieser messbare Erfolg sei wichtig für die Unternehmen, so Dirisamer, denn der Aspekt „Return of Invest“ trete immer mehr in den Vordergrund: „KI ist dort sinnvoll, wo sie hilft, Kosten, Zeit und Ressourcen zu sparen. Unternehmen müssen wieder mehr auf ihre Ausgaben schauen, der Spielraum für Experimente wird wieder kleiner.“
Auch Gorfer ist davon überzeugt, dass die Steigerung von Effektivität und Effizienz ein sehr wichtiger Punkt ist: „KI kann vieles, aber ihr Einsatz macht nur Sinn, wenn er einen Effizienzgewinn bringt. Zudem braucht es immer einen menschlichen Kurator, der alles zusammenhält.“ Dem stimmt auch Dirisamer zu: „Es besteht die Gefahr, dass Menschen den Eindruck gewinnen, dass sie durch KI ersetzt werden. Aber diese Angst ist unbegründet. KI soll und kann dabei unterstützen, Entscheidungsfindungen zu optimieren. Das erhöht die Effizienz. Aber die Entscheidung trifft weiterhin der Mensch.“
Trotz aller Skepsis ist Mehler dennoch überzeugt, dass KI im Pharmamarketing künftig vermehrt eingesetzt werden wird – auch wenn dabei natürlich alle restriktiven Rahmenbedingungen des sensiblen Gesundheitsbereichs weiter einzuhalten seien. Auch Reichholf sieht KI im Marketing als einen wesentlichen Zukunftstrend, von dem sie hofft, dass er weiter zunehmen wird: „Von großer Bedeutung ist in meinen Augen ein Aspekt, der auch im transfer-Artikel erwähnt wird: Es geht um eine Zusammenarbeit von Mensch und Maschine – letztendlich kann und muss KI lernen und braucht dafür Training durch Menschen. Der Einsatz von KI macht vor allem dann Sinn, wenn er für den Menschen einen Vorteil bringt!“
Zurth ist der Meinung, dass KI in vielen Arbeitsbereichen in Zukunft auch deswegen verstärkt eingesetzt werden muss, um fehlende Arbeitskräfte aufgrund des demografischen Wandels zu ersetzen, denn „KI spart den Mitarbeiter:innen Zeit – Zeit, die sie für andere Aufgaben aufwenden können“. Bezüglich der Grenzen von KI im Pharmamarketing meint Zurth: „Es wird sich in den nächsten Jahren zeigen, wie weit die Menschen bereit sind, Informationen über sich herzugeben, wenn sie dadurch Vorteile gewinnen. Es mag derzeit noch vielen unheimlich sein, wenn z.B. Suchmaschinen viele Daten sammeln. Wenn dies aber dazu führt, dass man genau die Inhalte, die einen interessieren, vermehrt angezeigt bekommt, entsteht daraus ein individueller Benefit, der nicht zu unterschätzen ist. Wie sich das speziell in einem Bereich entwickelt, in dem es um sensible Daten rund um das Thema Gesundheit geht, bleibt abzuwarten.“
Auch Gorfer ist davon überzeugt, dass KI im Pharmamarketing an Bedeutung gewinnen wird: „Wir müssen im Marketing mehr denn je datengetrieben denken – und KI liefert uns Daten. Das verändert auch den Bereich Analytics: Bisher mussten wir dabei den Blick in die Vergangenheit richten. KI ermöglicht uns jedoch den Blick nach vorne. Aufgrund von mittels KI analysierten Daten können wir jetzt Modelle entwickeln, auch im Marketing, wie es in Zukunft funktionieren könnte.“ Letztendlich habe dieses zukunftsorientierte Denken auch Auswirkungen auf den Herstellungsbereich, denn so seien Voraussagen möglich, was wann wo gebraucht werde, erklärt Gorfer.
Zurth ist ebenfalls der Ansicht, dass KI in Zukunft vermehrt dafür genutzt werden wird, den Zusammenhang zwischen (Pharma-)Marketing, Sales-Aktivitäten und Absatz zu verstehen: „KI kann beispielsweise dazu genutzt werden, zu analysieren, wie erfolgreich Aktivitäten des Außendienstes waren, welche Botschaft sich bewährt hat – idealerweise so spezifisch, dass man sagen kann, welche Botschaft sich bei welchen Ärzt:innen bewährt hat –, und im Idealfall kann man mit KI vorhersagen, wie viele Produkte man wann wo brauchen wird. Das bedeutet, dass es mit KI möglich sein wird, den Absatz vorherzusagen und mit gezielten Maßnahmen zu steigern. Diese Effizienzsteigerung werden Pharma- und andere Unternehmen in Zukunft brauchen.“
Auch für Dirisamer steht fest, dass KI im Pharmamarketing an Bedeutung gewinnen wird: „Die Automatisierung wird deutlich zunehmen, Chatbots werden immer schlauer und daher vermehrt eingesetzt werden. Auch im Customer-Understanding-Bereich hat sich KI bereits etabliert. Die Effizienz- und Optimierungsmöglichkeiten durch KI werden letztlich alle Unternehmen überzeugen.“
Dass viele Pharma- und auch andere Unternehmen noch zögerlich hinsichtlich des Einsatzes von KI im Marketing agieren, hängt für Gorfer unter anderem damit zusammen, dass die wenigsten Firmen wissen, wie sie beginnen sollen: „Viele haben Angst vor der Größe des Wortes KI. Aber man kann dieses große Gebiet in viele kleine Teile aufsplitten und sich entscheiden, welche davon man wann umsetzen will. Es muss nicht gleich der ganz große Wurf sein, es muss nicht gleich Milliarden kosten und es muss auch nicht 100 Jahre dauern, bis man es implementiert hat.“ Der Experte rät dazu, in kleinen Schritten zu beginnen, wenn man sich davon einen Effizienzzuwachs verspricht, doch man müsse sich bewusst sein, dass die Einführung von KI Auswirkungen auf die Unternehmenskultur hat. Und er hält abschließend fest: „Man muss sich der Grenzen bewusst sein, denn man kann nicht alles automatisieren. Und man muss Rücksicht auf das Team nehmen – so lernt man gemeinsam als Organisation.“
Matthias Zurth, adesso SE: „KI wird bereits jetzt im Pharmamarketing genutzt, und das wird weiter zunehmen. Denn KI kann …