Machine Learning bei Marketingdaten

Jedes Unternehmen sammelt heute Daten über seine Kund:innen, über das Kaufverhalten oder über das Klickverhalten im Internet. Nicht immer werden diese Daten aber auch für ein entsprechend angepasstes Marketing genutzt. Dabei stellte eine Google-Studie aus dem Jahr 2018 über den Nutzen von Machine Learning (Maschinelles Lernen – ML) für die Umsetzung eines strategischen Plans fest, dass rund 74% der Befragten glauben, dass die aktuellen Ziele ihres Unternehmens mit größeren Investitionen in maschinelles Lernen und Automatisierung besser erreicht werden könnten. Gleichzeitig ergab die Studie aber auch, dass nur die Hälfte der befragten Unternehmen die finanziellen Möglichkeiten für solche Investitionen hätte bzw. bereits Anreize dafür bietet.1 Das zeigt, dass das Marketingbudget für ML wohlüberlegt eingesetzt werden will, dann aber enormes Potenzial birgt. Die möglichen Einsatzgebiete von ML sind dabei vielfältig.

Kundensegmentierung

Die Einteilung von Kund:innen nach demografischen, geografischen, psychologischen und verhaltensorientierten Gesichtspunkten ist auch aus dem klassischen Marketing schon lange bekannt. Die Schnelligkeit und Komplexität heutiger Märkte kann damit jedoch nicht mehr dynamisch und genau genug abgebildet werden. ML-Methoden können aus allen verfügbaren Kundendaten wie Kaufverhalten, Webtracking, Demografie etc. eine präzise Segmentierung berechnen. Die Einteilung ist nicht an vorgefertigte Definitionen gebunden, sondern kann neue Muster aus den Datensätzen erkennen, die Menschen womöglich verborgen geblieben wären.
Werbung kann damit nicht nur potenziellen Kund:innen mit bestimmten Eigenschaften oder im Anschluss an bestimmte Tätigkeiten, z.B. das Ansehen eines Produkts online, angezeigt werden, sondern schon vorab anhand der aus allen Parametern errechneten Wahrscheinlichkeit eines Kaufes. Mit derart gezielter Werbung können die Effizienz von Kampagnen, das Ansprechen der Kundenbedürfnisse, die Kundenzufriedenheit und schließlich die Conversion-Rate verbessert werden.2, 3

Prognose des Customer Lifetime Value

Die bekanntesten Methoden zur Berechnung des Kundenlebenszeitwerts (Customer Lifetime Value – CLV) basieren vor allem auf dem Gesamtprofit einzelner Kund:innen und der Zeit, die diese mit dem Unternehmen interagiert haben. Den CLV auf lange Sicht bzw. schon bevor die Kund:innen die Kaufbeziehung beenden, einzuschätzen, war bisher nur mit hohem Aufwand möglich. Mithilfe von ML können jedoch Verhaltensmuster gefunden werden, die einen höheren CLV anzeigen. Anhand der eingeteilten Kundensegmente kann beispielsweise berechnet werden, wie viel Umsatz bestimmte Kund:innen in den nächsten zwölf Monaten generieren, wann sie das nächste Mal einkaufen und ob sie am Ende der Vertragslaufzeit verlängern oder kündigen werden bzw. wann das Unternehmen darauf reagieren muss. Anschließend wird das Werbebudget pro User:in je nach CLV bestimmt, um die Effizienz der Kampagnen zu erhöhen.2–4

Kundenabwanderung reduzieren

Da es bedeutend kostengünstiger ist, bestehende Kund:innen ans Unternehmen zu binden, als ständig neue zu gewinnen, war die Verhinderung von Kundenabwanderung (Churn, Fluktuation) immer schon ein Marketingfokus. Sowohl für Unternehmen mit Vertragsmodellen als auch im Handel kann maschinelles Lernen typische Muster identifizieren, wann Kund:innen dazu neigen, nicht mehr bei dem Unternehmen zu kaufen, welches Kundenverhalten zur Abwanderung führt, wie sich die Abwanderung auf die Leistung des Unternehmens auswirkt und wie sie verhindert werden kann. Wenn auf der Grundlage des Nutzerverhaltens rechtzeitig vorhergesagt wird, welche Kund:innen kurz davor stehen, zu kündigen, können Unternehmen zeitpunktgenaue und maßgeschneiderte Kampagnen, Angebote und Rabatte entwickeln. Damit können sie diese Kund:innen aktiv an der Abwanderung hindern und längerfristig an sich binden.1, 3, 4

Personalisierte Empfehlungen

Machine Learning kann präzise Segmentierungen vornehmen, genaue Prognosen zum Kaufverhalten und zu den Bedürfnissen der Kund:innen erstellen sowie anhand der Aktivitäten von als ähnlich eingestuften Konsument:innen personalisierte Empfehlungen abgeben. Anstatt Werbekampagnen breit zu streuen, können damit individuell etwa durch E-Mails oder Push-Benachrichtigungen genau die Produkte beworben werden, an denen die potenziellen Kund:innen in genau diesem Moment interessiert sind. Dies ist auch der Hintergrund für das bekannte Phänomen, z.B. auf Amazon stets Angebote zu dem zuletzt auf Google gesuchten Thema zu finden. Netflix setzt ebenfalls stark auf personalisierte Empfehlungen und gibt an, allein dadurch jährlich über 1 Milliarde Dollar an Verlusten durch Kundenabwanderung zu verhindern.2–4

Stimmungsanalyse in sozialen Netzwerken

Machine Learning kann persönliche E-Mails, Kommentare in sozialen Medien und prinzipiell sogar das Internet generell scannen und bei negativen Inhalten warnen. Dieses „Social Listening“ ist wichtig, um Beschwerden schnell zu adressieren und nicht zu größeren Problemen anwachsen zu lassen. ML kann umgekehrt aber auch erkennen, welche Kund:innen aktuell zufrieden sind und warum. Zudem kann ML helfen, Chatbots auf Webseiten zu verbessern und anhand der Stimmungsanalyse den Tonfall der Kundennachrichten anzupassen. Anhand der persönlichen Präferenzen der Kund:innen können sogar der Schreibstil entsprechend gewählt und wieder individuelle Empfehlungen ausgesprochen werden.1

Anwendungsbeispiel

Ein Beispiel für den erfolgreichen Einsatz von ML im Pharmabereich kommt vom Marketingteam für Over-the-Counter-Produkte von Bayer. Anstatt große Datensets zusammenzufügen, zu analysieren und danach die Strategie anzupassen, wollte das Team Suchtrends nach Grippe und Erkältungen vorhersagen und so potenzielle Kund:innen proaktiv ansprechen. Die Marketingabteilung startete das Projekt Anfang 2022 noch vor der Grippesaison in Australien. Dazu wurden Suchtrends auf Google, vergangene Verkaufszahlen, GPS-Daten, Wetterdaten wie Echtzeit-Temperaturen und öffentliche Berichte über Grippefälle kombiniert. Das darauf basierende Vorhersagemodell zeigte, wann und wo sich relevante Suchtrends entwickelten, und Bayer konnte seine Marketingstrategie entsprechend starten. Datensets, die sich nicht als nützlich erwiesen, wurden laufend aus dem Modell entfernt und durch bessere ersetzt. Die Klickrate pro angezeigter Werbung stieg um 85% im Vergleich zum Vorjahr, die Kosten pro Klick sanken um 33% und der Website-Traffic stieg um das 2,6-Fache.
Doch nicht nur das Marketingteam profitierte, auch für Auslieferung und Verkauf konnten dadurch in den Gebieten mit stärkerer Nachfrage früh genug Ressourcen bereitgestellt werden. Aufgrund des bisherigen Erfolges plant Bayer, das Modell weiter zu testen und zu entwickeln und auch für andere Produkte wie Allergiemedikamente einzusetzen. Da das Programm nicht auf ein einzelnes Produkt zugeschnitten ist, sondern prinzipiell nur von den gefütterten Daten abhängt, ist die Idee dahinter höchst variabel einsetzbar. Auch eine Expansion in andere Märkte und Regionen wie Europa ist angedacht.5

Resümee

Aus großen Datensets können ML-Algorithmen viel schneller eine Logik erkennen als Menschen. Darauf basierend können potenzielle Kund:innen in ähnliche Gruppen ­eingeteilt und nach Werbewert sortiert werden. Werden sie mit individuell zugeschnittenen Marketingmaßnahmen gezielt angesprochen, kann die Beziehung zu den Kund:innen gestärkt und ihre Abwanderung reduziert werden.