Sie ist kein Sprung ins kalte Wasser für Mag. Ingo Raimon: die Wahl an die Spitze des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI). Raimon war bereits mehrere Jahre FOPI-Präsident und kennt das System und die Pharmabranche bis ins Detail. Doch selbst wenn es ein Sprung ins kalte Wasser geworden wäre – auch damit kennt sich Raimon aus. Der General Manager des Biopharma-Unternehmens AbbVie ist privat begeisterter Wakeboarder – eine Art Surfboard für Wasserskifahrer – und auch im Herbst noch damit unterwegs. „Ich habe keine Scheu vor kaltem Wasser, und das gilt auch im übertragenen Sinn. Wenn ich Zeit finde, mache ich das gerne. Und wenn ich nicht rauskomme aus der Stadt, dann zumindest auf der Donau beim Wakeboard-Lift“, erzählt er.
Die nötige Zeit findet er auch wieder für das FOPI, das ihm ebenso wie die forschende Industrie stets ein Anliegen war. Raimon knüpft nun an frühere Erfahrungen an, nachdem er seine internationale Zusatzverpflichtung innerhalb des AbbVie-Konzerns erfolgreich abschließen konnte, wie er sagt. Der studierte Jurist war in den vergangenen rund 30 Jahren für Abbott in unterschiedlichen Funktionen und Ländern tätig, davon 18 Jahre als General Manager in Österreich. Mit Jänner 2013 übernahm er die Geschäftsführung des biopharmazeutischen Unternehmens AbbVie, das nach der Trennung von Abbott die forschungsbasierten pharmazeutischen Leistungen bündelt. Neben der Arbeit im FOPI ist Raimon auch Vorstandsmitglied der Pharmig für die Funktionsperiode 2016 bis 2019.
In der politisch brisanten wie auch standespolitisch herausfordernden aktuellen Situation präsentiert sich das FOPI mit neuer Führung, die auf langjährige Erfahrung zurückgreifen kann. Raimon will nicht nur den eingeschlagenen Kurs des FOPI beibehalten, sondern auch als starke Stimme der forschenden Pharmaindustrie in Richtung der Stakeholder im Gesundheitssystem auftreten. „Wir fordern Taten statt Worte und erwarten uns von der künftigen Bundesregierung, dass die zahlreichen Bekenntnisse zu innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen in konkreten Maßnahmen münden“, unterstreicht er die Haltung des FOPI. „Es gilt zusätzlich, den Zugang zu qualitativ hochwertiger Medizin für alle Patientinnen und Patienten abzusichern und jedem die jeweils beste Therapie zu ermöglichen. Dementsprechend treten wir auch für die Absicherung der ärztlichen Therapiefreiheit und die Stärkung der Patientenmitbestimmung ein.“
Das Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie ist die österreichische Interessenvertretung von 27 internationalen Pharmaunternehmen mit Fokus auf Forschung und Entwicklung. Als Partner im Gesundheitswesen setzt sich das FOPI für den Zugang zu innovativen Arzneimitteln und damit für die bestmögliche medizinische Versorgung in Österreich ein.
Um wettbewerbsfähig zu bleiben und die EU-2020-Ziele von 3% des BIP in Forschung und Entwicklung zu erreichen, brauchen Österreich und auch Europa absolute Exzellenz in der akademischen Forschung, ist Raimon überzeugt: „Es muss das gemeinsame Ziel aller Akteure sein, Österreich als attraktiven Standort für Innovation erneut in eine Top-Position zu bringen. Der Standort Österreich hat nämlich in den vergangenen Jahren an Attraktivität verloren. Nur durch die gemeinsame Arbeit können wir es schaffen, dass wir im Ranking des Global Innovation Index wieder den Eintritt in die Top-20-Länder schaffen.“
Ein wesentliches Kernelement, um den Aufstieg in die Top-Platzierung zu erreichen, sieht Raimon darin, optimale Rahmenbedingungen für Innovation zu schaffen. Denn die Lebensbedingungen, die gesundheitlichen Belastungen und Ansprüche haben sich in den letzten Jahrzehnten geändert. Innovationen in der Medizin und Pharmazie sind notwendig, um diese geänderten medizinischen Herausforderungen bewältigen zu können. „Medizin von gestern kann keine Antworten auf die Herausforderungen von heute und morgen liefern. Daraus ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, neue Behandlungsformen und Arzneimittel zu entwickeln. Die forschende pharmazeutische Industrie sieht dies klar als ihren Auftrag und entwickelt kontinuierlich Arzneimittel mit Nutzen für Patienten und Gesellschaft. In den vergangenen Jahren ist man dadurch in der Behandlung von vielen ehemals tödlichen Erkrankungen einen großen Schritt weitergekommen“, erklärt Raimon.
Doch die Stimmung in der Branche ist schlecht: Zuletzt präsentierte das FOPI den „FOPI Innovationsklima Index“ mit Einschätzungen der Industrie. Das jüngste Ergebnis ist alarmierend: Der Index liegt deutlich im negativen Bereich. Vor allem die Akzeptanz der Pharmaindustrie innerhalb des Gesundheitssystems hat sich seit dem Frühjahr laufend verschlechtert und wird besonders negativ bewertet.
Schlechte Noten gibt es von den Entscheidungsträgern auch für den Marktzugang in Österreich sowie das politische Umfeld. „Wir haben mit dem FOPI Innovationsklima Index bereits zum dritten Mal die Stimmung in der Branche abgefragt und leider zum dritten Mal in Folge klar negative Aussagen erhalten. Es handelt sich also nicht um eine Momentaufnahme, wenn wir von alarmierend schlechten Rahmenbedingungen für die forschende Pharmaindustrie sprechen, sondern um eine nachhaltige Verschlechterung, gegen die etwas getan werden muss“, betont Raimon. „Denn die Pharmawirtschaft generiert in Österreich eine Wertschöpfung von 4,8 Milliarden Euro und beschäftigt über 18.000 Menschen.“
Zu den sieben Forderungen an die künftige Bundesregierung zählt deshalb etwa die Errichtung einer umfassenden und nachhaltigen Nutzenbewertung von Arzneimitteln, die sowohl den individuellen Patientennutzen als auch den volkswirtschaftlichen Nutzen umfassen soll, unabhängig davon, welcher Budgetträger den Nutzen generiert. Weiteres fordert Raimon eine „faktenbasierte“ Arzneimittelkostenbetrachtung auf Basis echter Nettobeiträge sowie die Entkoppelung der Ausgaben für die Gesundheitskosten von der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Eingesparte Mittel müssten zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens und für die Finanzierung von Innovationen verwendet werden. Um Österreich als Standort für Spitzenmedizin abzusichern, sollte zudem eine Koordinierungsstelle für klinische Studien eingerichtet werden, bei der es um mehr als nur um Grundlagenforschung geht.