Österreich liegt im „EFPIA Patients W.A.I.T. Indicator“ (EFPIA = European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations; W.A.I.T. = Waiting to Access Innovative Therapies) im Vergleich zu anderen Ländern immer auf einer der vorderen Positionen. Dieser Report, der jährlich in 37 Ländern, davon 27 EU- und 10 Nicht-EU-Staaten, erhoben wird, bewertet die Verfügbarkeit von Therapien, genauer gesagt, die Dauer bis zum Marktzugang. „Auf den ersten Blick erscheint die derzeitige Market-Access-Situation in Österreich also durchaus positiv zu sein“, erklärt Dr. Wolfgang Tüchler, Geschäftsführer von Axxess Healthcare Consulting (www.axxess.at). Doch: „Wenn man ein bisschen hinter die Kulissen blickt, dann stellt man fest, dass es für Pharmaunternehmen immer schwieriger wird, die Anforderungen für den Marktzugang beziehungsweise für die Rückerstattung zu erfüllen“, so Tüchler weiter.
Auch Mag. Hanns Kratzer, Geschäftsführer in der PERI Gruppe (www.perimarketaccess.com), übt Kritik am Market Access in Österreich: „Einerseits gibt es für gewisse Aspekte ein sehr klares, regulatives Umfeld, andererseits ist vieles wiederum nicht klar geregelt und es fehlt die entsprechende Transparenz zu möglichen Einigungen. Somit haben wir bezüglich Market Access und Preisregelungen ein duales System mit formalen und nicht-formalen Strukturen, das der Kollegenschaft in den internationalen Headquarters oft schwer zu vermitteln ist.“
Julia Guizani, Präsidentin des FOPI, dem Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich, bewertet den Market Access bei innovativen Therapien in Österreich als derzeit sehr unterschiedlich: „Während wir im Spitalssektor noch eine vergleichsweise gute Situation sehen und heimische Patient:innen rasch mit neuen, oft Hoffnung spendenden Medikamenten versorgen können, sind wir im niedergelassenen Bereich mit einer deutlich schlechteren Lage konfrontiert – was auch eine Studie des Economica-Instituts erst vor Kurzem nachgewiesen hat. In der Studie wird im Vergleich zu Deutschland ein markant verzögerter Marktzugang zu innovativen Therapien sichtbar, vor allem bei weit verbreiteten ‚Volkskrankheiten‘. Da können und dürfen wir nicht wegschauen!“
Dieser Kritik schließt sich auch Alexander Herzog, Generalsekretär der PHARMIG, Verband der pharmazeutischen Industrie in Österreich, an und verweist dabei ebenfalls auf die Economica-Studie: „Innovative Therapien waren bzw. sind bislang gerade im Krankenhausbereich durchwegs gut und rasch für die Patient:innen zugänglich, während dies im niedergelassenen Bereich nicht der Fall ist. Hier sehen wir klar einen Verbesserungsbedarf, damit innovative Medikamente genauso auch im niedergelassenen Bereich in der Breite und Schnelligkeit zugänglich gemacht werden. Die Studie des Economica-Instituts zeigt zudem auf, dass der Zugang zu innovativen Therapien abhängig von der therapeutischen Gruppe ist. Krebsmedikamente sind demnach weniger von Zugangshürden betroffen als andere Medikamente.“Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Economica-Studie „Zugang zu medizinischen Innovationen in Österreich“ finden Sie im Kasten, die gesamte Studie unter: www.economica.eu/studien/.
Im niedergelassenen Bereich sieht Tüchler auch die Erstattung durch den Dachverband der Sozialversicherungsträger, vormals Hauptverband, als Herausforderung in Sachen Market Access: „Die überwiegende Anzahl der Produkte, die der Dachverband in den letzten Jahren im niedergelassenen Bereich bewertet hat, hat in der medizinisch-therapeutischen Evaluierung nur einen gleichen oder ähnlichen Nutzen wie die Vergleichstherapie zugesprochen bekommen.“ Ist dies der Fall, kommt folgendes Szenario zum Tragen: „In Fällen, in denen es einen gleichen oder ähnlichen Nutzen wie eine Vergleichstherapie gibt, gilt die sogenannte 10-Prozent-Regel. Das heißt, der Preis des jeweiligen Produktes muss mindestens um 10% unter dem Preis der günstigsten therapeutischen Alternative liegen. Das heißt, wenn es mehrere Bewertungen gibt, weil für ein Produkt neue Indikationen zugelassen wurden und dafür die Rückerstattung beantragt wird, gilt diese 10-Prozent-Regelung jedes Mal, bei jedem Schritt. Dies führt dazu, dass der Preis relativ rasch sehr tief sinkt“, erläutert der Market-Access-Experte. Wenn das günstigste Vergleichsprodukt noch dazu ein kostengünstiges Generikum ist, wird es somit laut Tüchler praktisch unmöglich für den Anbieter des Produktes, diese Preisforderung zu erfüllen. „Diese Regelung ist eine österreichische Besonderheit; in anderen europäischen Ländern gibt es andere Regelungen ohne diese 10-Prozent-Absenkung im Vergleich zur therapeutischen Alternative, bei ähnlichem Nutzen“, betont Tüchler.
Mag. pharm. Gerrit Verena Uhl, Market Access Manager & Pharmaeconomist Corporate Affairs bei GlaxoSmithKline Pharma in Österreich, sieht den Market Access in Österreich ähnlich herausfordernd: „Österreich gehört zwar zu jenen Ländern, in denen es gerade für besonders schwere Erkrankungen frühe Marktverfügbarkeit und Bezahlung gibt – sofern keine andere Therapiemöglichkeit vorhanden ist –, jedoch im Detail sieht es etwas anders aus. Im extramuralen Bereich stellen sich Einzelfallgenehmigungen während der Verhandlungszeit zunehmend schwieriger dar …“
Eine positive „österreichische Besonderheit“ sieht Tüchler im intramuralen Bereich: „Hier gelingt es derzeit in Österreich sehr rasch, Produkte auf den Markt zu bringen und den Patient:innen zur Verfügung zu stellen.“ Wie und ob sich das mit der Implementierung des neu geschaffenen Bewertungsboards ändern wird, kann man seiner Meinung nach noch nicht definitiv sagen. „Aber unser derzeitiger Vorteil – der schnelle Marktzugang – könnte zumindest für einen Teil der neu zugelassenen Produkte im intramuralen Bereich oder an der Nahtstelle zwischen intra- und extramuralem Bereich geringer werden, da es durch die fünfmonatige Bewertungszeit, die für das Bewertungsboard vorgesehen ist, möglicherweise zu einer Verzögerung kommen könnte.“
Uhl kann diese Befürchtung aus Sicht der Pharmaunternehmen bestätigen: „Im intramuralen Bereich sorgt das zukünftige Bewertungsboard für Unsicherheit, wie schnell spezialisierte Therapien in Zukunft bei den Patient:innen angewandt werden können.“ Guizani schließt sich aus Sicht des FOPI dieser Sorge ebenfalls an: „Wir müssen darauf achten, dass die noch gute Versorgung im Spital durch neue Instrumente wie das Bewertungsboard nicht aufs Spiel gesetzt wird. Das Ziel aller Playern im Gesundheitswesen muss sein, Patient:innen bestmöglich zu versorgen sowie neue Therapien rasch und möglichst ohne Hürden zugänglich zu machen.“
Generell sieht Uhl die duale Finanzierung des österreichischen Gesundheitswesens kritisch. Denn: „Diese kann zu Zugangsproblemen führen, wenn ein im Erstattungskodex (EKO) befindliches Präparat in einer Spezialambulanz z.B. intramuskulär zu applizieren ist – denn am Injektionsort müssen auch die Kosten übernommen werden und das Budget ist in manchen Indikationen intramural nicht vorhanden und auch nicht von der Refundierung über die leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung (LKF) abgedeckt.“