Marktforschung im Wandel

Harald Blaha ist stellvertretender Vorsitzender des VMÖ, des Verbands der Marktforschung Österreich. Er ist seit 30 Jahren in der Marktforschung tätig, derzeit als Commercial Enablement Director bei Nielsen IQ. Er ortet aktuell zahlreiche Trends im Bereich Marktforschung, die sich in sehr viele verschiedene Richtungen entwickeln. Dies hat seiner Meinung nach auch damit zu tun, dass Veränderungen zunehmend schneller stattfinden. „Mein Schwerpunkt liegt in der Konsumgüterforschung, und hier haben wir in der jüngeren Vergangenheit disruptive Veränderungen bemerkt, die durch Corona, die Inflation, die Energiekrise etc. bedingt waren bzw. sind. Dies hat sich auch auf den Marktforschungsbereich ausgewirkt: Die Konzerne haben einen enormen Informationsbedarf, denn sie möchten die Konsument:innen und deren verändertes Konsumentenverhalten verstehen“, erläutert Blaha. Eine weitere Veränderung der letzten Jahre besteht seiner Ansicht nach darin, dass es mehr Absatzkanäle gibt: „Früher gab es die großen Handelsketten, vor zehn Jahren kam dann der Online-Handel dazu. Auch das hat den Markt und damit die Marktforschung verändert.“

MAFO als Entscheidungsgrundlage

Eine große aktuelle Herausforderung für Marktforschungsinstitute sieht er darin, dass diese nicht nur Daten durch verschiedene Tools erheben, sondern die auf diese Weise gewonnenen Informationen auch so aufbereiten müssen, dass der Auftraggeber sie als Entscheidungsgrundlage verwenden kann. „Um diese Beratungsleistung erfüllen zu können, müssen wir auch mit unseren MAFO-Methoden nachziehen“, betont Blaha. Und erinnert sich bezüglich der Methoden zurück: „Früher waren Straßeninterviews der Goldstandard, später wurden sehr häufig Online-Interviews eingesetzt. Das hat auch eine Zeit lang sehr gut funktioniert, doch international gesehen werden Online-Access-Panels als Quelle für Respondenten mit mehr Bedacht eingesetzt, da die Betrugsgefahr durch Bots doch erheblich ist.“ In Österreich sei dies ein geringeres Problem als in anderen Ländern, denn „unser Markt ist so klein, dass wir für Bot-Farmen, die die Incentives ‚abgreifen‘ wollen, nicht sehr interessant sind“, erklärt Blaha. Grundsätzlich komme die Wahl der Methode immer auch auf die Fragestellung an: Welche Informationen braucht der Auftraggeber, um damit entsprechende Entscheidungen über zukünftige Schritte treffen zu können?

Omni-Channel-Research

Weiters haben sich in den letzten Jahren auch die Kommunikationskanäle verändert. „Print und lineares Fernsehen sind schwächer geworden, Social Media hingegen haben deutlich an Bedeutung gewonnen. Dabei ist es oftmals schwierig vorherzusagen, wie gut etwas auf den diversen Social-Media-Plattformen funktioniert – also auch hier gibt es ein großes Interesse nach mehr Information aufseiten der Unternehmen“, so Blaha weiter.

Mit den neuen Medien mussten sich auch die MAFO-Methoden weiterentwickeln. Blaha: „Bei sehr komplexen Medienkanälen muss man aufpassen, dass die Marktforschung nicht ungenau wird. Auch das Re­krutieren der Panels ist eine Herausforderung – je genauer die Panels ausgewählt werden, desto konkretere Informationen kann die Marktforschung liefern. Generell beobachten wir natürlich einen Trend Richtung Omni-Channel-Research, da auch Marketing und Verkauf auf einen Omni-Channel-Ansatz setzen.“

Auch Dr.in Gudrun Auinger, Sales Professional bei Insight Health GmbH, ist davon überzeugt, dass der „Datenschatz“ Social Media von den Unternehmen zunehmend stärker erkannt und geschätzt wird: „Auf den Social-Media-Kanälen tauschen sich die Menschen aus, dadurch können hier sehr viele Daten erhoben werden – selbstverständlich unter Berücksichtigung des Datenschutzes. Für die Unternehmen sind diese Daten von großem Interesse, z.B. im Hinblick darauf, wie stark ihre neue Marke auf Social Media vertreten ist.“

Persönlich ➜ online, Desktop ➜ mobile

Auch die Digitalisierung hat die Methoden der Marktforschung verändert. „Hier hat es durch die Coronapandemie einen Schub gegeben, der geblieben ist. Persönliche Gespräche beispielsweise mit Ärzt:innen sind seltener geworden, das hat sich deutlich in den Online-Bereich verlagert“, berichtet Auinger. Dem stimmt auch Mag. Eva Brosch, MBA, Managing Director bei medupha, zu: „Es gab einen Wandel von persönlich zu online, einhergehend mit einer Veränderung der Teilnahme von Desktop zu mobile.“

KI verändert MAFO

Ein Megatrend im Bereich Marktforschung ist derzeit die künstliche Intelligenz (KI). Dazu Blaha: „Unsere Workflows finden heute voll digital statt, so findet beispielsweise die Erfassung der Fragebögen digital statt. Auch künstliche Intelligenz kommt an verschiedenen Stellen zum Einsatz, z.B. beim Kodieren von Fragen oder bei der Zusammenfassung von qualitativen, offenen Fragen, bei denen die KI eine erste Gliederung vornimmt.“ Häufigen Einsatz findet KI in der Marktforschung zudem bei Simulationsmodellen. „Solche Modelle gibt es allerdings schon länger, das ‚Neue‘ dabei ist, dass sie jetzt mit KI durchgeführt werden“, so Blaha.

Auch Dr. Walter Wintersberger, Senior Research Director bei Spectra Marktforschung, sieht KI als großen Trend in der Marktforschung. Seine Erfahrungen sind ähnlich wie jene von Blaha: „KI wird bereits eingesetzt, um Arbeitsschritte effektiver zu machen, Transkripte zu erstellen sowie für die ­Auswertung von qualitativen Interviews – „dafür gibt es Analyse-Software, in die KI-Tools integriert sind“, erläutert er und ergänzt: „In anderen Bereichen wird KI eher noch experimentell eingesetzt, um erst noch mehr Erfahrungen zu sammeln.“ Blaha stimmt dem zu: „Auch beim Einpflegen von Daten in eine Datenbank können bereits KI-Tools eingesetzt werden. Das Auswerten mittels KI steckt hingegen noch in den Kinderschuhen.“

Brosch sieht ebenfalls die KI als großen aktuellen Trend in der Marktforschung. Sie fasst die möglichen Einsatzgebiete nochmals konkret zusammen: „Die aktuelle Entwicklung geht ganz eindeutig dahin, KI zur Analyse von z.B. Big Data einzusetzen, um die relevanten Informationen aus großen Datenmengen herauszufiltern. Daraus lassen sich dann durch Marktforscher:innen Trends ableiten und Vorhersagen treffen. KI erkennt Zusammenhänge in großen Datensätzen deutlich schneller als die menschlichen Analyst:innen. Gerade in Zeiten, in denen die Datenmengen immer größer werden und die Auswertung dadurch immer unüberschaubarer wird, ist dies von besonderer Bedeutung. Allerdings ist der Einsatz von KI auch hier als Hilfsmittel und nicht als Ersatz für menschliche Marktforscher:innen zu sehen.“ Ein weiterer Trend betrifft laut Brosch das Erstellen sogenannter „synthetischer Panels“ mithilfe von KI, bei denen mit künstlichen Personen gearbeitet wird – „die Verlässlichkeit solcher Panels muss sich jedoch erst beweisen“, so Brosch. Im Healthcare-Bereich sieht sie den Einsatz solcher künstlicher Panels jedoch nicht: „Dazu sind unsere Zielgruppen viel zu klein und zu spezifisch.“

KI braucht den Menschen

Generell unterstreicht Blaha, dass KI immer die menschlichen Expert:innen braucht, denn „die KI muss zuerst angelernt werden und für diese Schulung braucht es den Menschen. KI kann nichts von selbst!“ Vollautomatisch durch KI erstellte MAFO-Berichte sind daher in Blahas Augen (noch) reine Zukunftsmusik, denn „derzeit ist es noch nicht soweit, dass KI das alleine kann“. Auch Wintersberger betont, dass die menschliche Kontrolle der KI-Ergebnisse – seien es Transkripte oder Analysen – unerlässlich ist: „Der menschliche Faktor wird nicht überflüssig werden. Es wird immer den Forscher und die Forscherin brauchen, der bzw. die das Hintergrundwissen mitbringt, die Zielsetzung festlegt und diese im Auge behält.“ Auinger sieht das genauso: „Die KI kann große Datenmengen analysieren und clustern – der Mensch setzt das dann in den relevanten Kontext.“

Real Time & Multi-Mode

Ein weiterer aktueller Trend ist laut Wintersberger die Real-Time-Marktforschung: „Ergebnisse sollen so schnell wie möglich zur Verfügung stehen. Auch hier wird die KI neue Möglichkeiten eröffnen, denn diese kann z.B. große Datensätze viel schneller analysieren als ein Mensch.“ Zudem kommt auch die Multi-Mode- bzw. Mixed-Mode-Methode zunehmend mehr zum Einsatz. Dabei lässt man den Befragten die Wahl der Methode: Beispielsweise kann bei einer Ärztebefragung jeder Arzt und jede Ärztin individuell entscheiden, ob er/sie telefonisch, face-to-face oder online antworten möchte. „Damit machen wir sehr gute Erfahrungen. Auch in der Wahlforschung ist eine solche Koppelung der Befragungskanäle ein Muss, um für eine Umfrage mit annähernd vergleichbarer Wahrscheinlichkeit alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen – das ist eine entscheidende Voraussetzung, ein für alle Wähler:innen repräsentatives Ergebnis zu erhalten“, so Wintersberger.

MAFO wird „Insight Business“

„Derzeit beobachten wir, dass alle paar Monate neue MAFO-Tools auf den Markt kommen, die zum Abfragen oder als Werkzeug für Arbeitsabläufe eingesetzt werden können. Auch das Training von KI schreitet immer weiter fort und wird diese innovativen Tools noch weiter vorantreiben“, berichtet Blaha. Daraus wird sich seiner Ansicht nach ergeben, dass MAFO fragmentierter werden wird, denn es gilt, die Relevanz von Medien/Kanälen herauszufiltern etc. Dies wird auch eine zunehmende Spezialisierung mit sich bringen, ist er überzeugt: „Die Unternehmen investieren viel Geld und Ressourcen, um ihre Kommunikation über die verschiedenen Kanäle zu streuen – diesem Ansatz muss auch die Marktforschung folgen, um relevante Daten erheben zu können.“

Transformation der MAFO-Branche

Auch Wintersberger geht davon aus, dass – u.a. aufgrund von KI – ein Transformationsprozess der Marktforschungsbranche stattfinden wird. „Die Anforderungen an die Marktforschung werden immer höher, die Daten sollen zunehmend schneller zur Verfügung stehen und es gibt laufend neue Tools, die eingesetzt werden können. Das wird auch die Institutslandschaft verändern. Diese wird immer spezialisierter werden – je nach Problemstellung wird man sich einen entsprechenden Partner für Kooperationen suchen.“