Wie wichtig ist Marktforschung (MAFO) heute noch, wenn viele Zahlen, Daten, Fakten doch auch ohne eigene Marktforschung zugänglich sind? Herbert Rohrmair-Lewis, Managing Partner bei der Werbeagentur „Zum Goldenen Hirschen“, meint, dass es für Pharmaunternehmen natürlich darum gehe, interne Zahlen sowie Zahlen aus anderen Informationsquellen abzugleichen und daraus Schlüsse zu ziehen. „Um externe Daten zu erhalten, gibt es aber mittlerweile viel mehr Quellen als vor 20 Jahren, auf die man auch ohne Marktforschung zugreifen kann“, so Rohrmair-Lewis. Daher kommt der Marktforschung in seinen Augen heute ein deutlich geringerer Stellenwert zu als noch vor einigen Jahren: „Man kann heute auf Kanäle wie Statista, Google Trends etc. zugreifen. Zusätzlich werden Umsatzzahlen und noch einige weitere Quellen ausgewertet. Für Kampagnen eignet sich auch ein einfaches AB-Testing zur Entscheidungsfindung. Generell sind Kampagnen heute auch wesentlich fluider. Dies sind in meinen Augen die wesentlichen Instrumente, mit deren Hilfe im Pharmamarketing Entscheidungen getroffen werden sollten. Dafür braucht es keine Marktforschungsumfragen wie früher, zumindest nicht mehr im selben Umfang.“
Ganz so extrem sieht Dr. Markus Rachinger, MSc, Geschäftsführer der Agentur swot, die Entwicklung nicht. Er beobachtet, dass man auf Agenturseite immer wieder mit Ergebnissen von Marktforschung konfrontiert ist, allerdings nicht mehr so häufig wie früher. Dies liege an der veränderten Pharma- und Produktlandschaft, ist Rachinger überzeugt: „Pharmaunternehmen fokussieren sich heute in vielen Fällen mit einzelnen Kampagnen auf sehr spezifische Bereiche. Die Möglichkeit der Verschreibung ist hier oftmals sehr eingeschränkt. Breit angelegte Marktforschung macht in solchen Fällen keinen Sinn mehr.“ Marktforschung sei aber nach wie vor wichtig, allerdings kämen heute eher Fokusgruppen zum Einsatz, so Rachinger weiter: „Dies ist auch den spezialisierteren Verschreiber:innen geschuldet. Es geht bei Pharmamarketing zunehmend um sehr kleine Zielgruppen, deren Meinung man durch Round Tables und Fokusgruppen sehr gut erheben kann. Große Samples sind hier gar nicht erforderlich.“
Für Dr. Gudrun Auinger, Senior Research Director bei Spectra Marktforschung, ist Marktforschung nach wie vor ein sehr wichtiges Tool im Marketing. Doch auch sie empfiehlt Unternehmen durchaus, zusätzlich bereits vorhandene Daten zu analysieren: „Nicht immer muss es eine breit angelegte Marktforschungsstudie sein, manchmal kann man auch mit einer ,Do-it-yourself-Marktforschung‘ bereits vorhandene Daten erheben, indem man beispielsweise selbst im Internet recherchiert. Zudem kann man natürlich bei MAFO-Anbietern anfragen, welche Daten bereits vorhanden sind. Zusätzliche Informationen, die man benötigt, kann man dann in einer eigenen Marktforschung erheben. Denn manchmal braucht man sehr spezifische Daten, die noch nicht vorliegen, bzw. sind bereits vorhandene Daten eben doch nicht immer frei zugänglich.“
Ein sehr klassischer Bereich, in dem Marktforschung grundsätzlich noch immer zum Einsatz kommt, ist laut Rachinger das Testen von Kampagnen bzw. von bestehenden Layouts, kreativen Ansätzen, Bildern etc. „Dies ist aber in Österreich zunehmend weniger relevant, da hier die internationalen Kampagnen zumeist übernommen werden und keine lokalen Adaptionen möglich sind“, erläutert er.
Rachinger würde sich manchmal wünschen, dass die bei einem Agentur-Pitch vorgestellten Kampagnen weniger aufgrund persönlicher Meinungen, sondern mehr mit professionelleren Methoden bewertet würden. „Das wäre sicher auch ein schönes Marktforschungsbetätigungsfeld und man käme zu fundierteren Entscheidungen bei der Wahl der Kampagne. Doch für so etwas will/kann kein Pharmaunternehmen Geld ausgeben“, ist ihm allerdings durchaus bewusst.
Was denkt man nun in den Pharmaunternehmen über den Stellenwert der Marktforschung? Für Dr. Michael Kreppel-Friedbichler, Geschäftsführer von Biogen Österreich, ist Marktforschung ein sehr wichtiger Baustein des Pharmamarketings. „Sowohl qualitative als auch quantitative Marktforschung ist eine wichtige Grundlage für strategische und operative Entscheidungen. Die von der Marktforschung gelieferten Daten helfen uns dabei, Entscheidungen und Trends für die Zukunft abzuleiten“, sagt Kreppel-Friedbichler.
Dr. Roman Fleischhackl, Medical Director bei Takeda Pharma Österreich, ist ebenfalls nach wie vor von der Bedeutung der Marktforschung überzeugt: „Die Interaktionen der Pharmafirmen mit den verschiedenen Gruppen an Stakeholdern haben sich über die letzten Jahre stark diversifiziert. Aus den alleinstehenden Interaktionen verschiedener Funktionen sind heute perfekt abgestimmte, cross-funktionale Pläne geworden, die vor allem auf eines abzielen: Nachrichten mit Mehrwert zur Verfügung zu stellen.“ Dies impliziert in seinen Augen, dass der Kundennutzen verstärkt im Mittelpunkt steht. „Daher ist die Evaluierung der Bedürfnisse aller Stakeholder wichtiger denn je. Die Marktforschung spielt dabei eine entscheidende Rolle“, so Fleischhackl.
Kreppel-Friedbichler sieht dies genauso: „In meinen Augen hat sich die Marktforschung in den letzten Jahren gewandelt: Früher war sie ein operatives Tool, heute wird sie eher eingesetzt, um damit Strategien zu erarbeiten. Dadurch ist neben der quantitativen auch die qualitative Marktforschung verstärkt in den Fokus gerückt. Zudem sind auch die Zielgruppen breiter geworden. Dies bringt mich zu einem Wunsch, den ich an die Marktforschung habe: Market Access wird zu einem immer wesentlicheren Thema für uns Pharmaunternehmen, daher wäre es für uns interessant, wenn Marktforschungsuntersuchungen andere Stakeholder mehr einbinden würden, damit wir auch über deren Bedürfnisse mehr erfahren.“ – Ein Wunsch, den Mag. Eva Brosch, MBA, Managing Director bei medupha, gut nachvollziehen kann, denn „wer alle seine Stakeholder gut kennt, kann auch innerhalb dieser strengen Richtlinien, denen die Pharmaunternehmen unterliegen, seine Produkte erfolgreich positionieren“, ist sie überzeugt.
Dass der Trend bei den Pharmaunternehmen in die Richtung geht, Marktforschung strategisch nutzbar zu machen, beobachtet auch Brosch – und findet dies sehr erfreulich: „Das hätte eigentlich schon längst Standard sein sollen, aber früher wurden MAFO-Projekte hauptsächlich so aufgesetzt, dass sie von der Konzernzentrale geforderte Reportings beliefern, unabhängig davon, ob diese Daten für die lokale Niederlassung in dieser Form Sinn machten. Jetzt werden Marktforschungsprojekte jedoch so designt, dass sie einen echten Mehrwert für die Strategiearbeit liefern, indem sie beispielsweise Knowledge-Gaps identifizieren.“ Als Beispiel nennt Brosch den Immunologie-Indikationstracker, den medupha gemeinsam mit Insight Health entwickelt hat und der ein nahezu vollständiges Bild vom Immunologiemarkt inklusive Neueinstellungen, Switches und dynamischer Marktsegmente liefert.
Generell haben die Pharmafirmen sehr konkrete Vorstellungen, wie sie Marktforschungsdaten benötigen. Unter anderem ein wesentlicher Aspekt: „Wer schnell hilft, der hilft doppelt – dies gilt auch hier“, meint Fleischhackl. Doch ihm ist bewusst, dass schnelle Ergebnisse in der Marktforschung nicht immer möglich sind, u.a. aufgrund der oftmals schwierigen Erreichbarkeit der Healthcare Professionals. Und er fügt hinzu: „Die Anforderungen haben sich deutlich erhöht und die forschenden Unternehmen nehmen ihre Verantwortung, dafür zu sorgen, dass wir uns streng innerhalb geltender Richtlinien und Empfehlungen bewegen, sehr stark wahr. Vertrauensbildung und nachhaltige Geschäftstätigkeit haben an Wichtigkeit enorm gewonnen.“
Auch Kreppel-Friedbichler betont, dass rasche Antworten durch Marktforschung sehr gewünscht seien, denn die Unternehmen wollen aus den Ergebnissen aktuelle Trends und Impulse ableiten. Doch auch er weiß um die Grenzen des Machbaren beim Geschwindigkeitsfaktor.
Wenn Marktforschung also durchaus nach wie vor ein wesentliches Tool im Marketingmix ist, was sind dann aktuell die typischen Themen der Healthcare-Marktforschung? Laut Dominik Gabauer, Business Unit Head Gastroenterology, und Katharina Graninger, Business Unit Head Oncology/Haematology, beide Takeda Pharma Österreich, werden aktuell am häufigsten bzw. regelmäßigsten klassische quantitative MAFOs durchgeführt, und zwar zu vielfältigen Themen, z.B. Epidemiologie, Verschreibungsverhalten, Brand-Wiedererkennung, Channel-Mix, Servicezufriedenheit etc. „Dazu kommen ergänzend qualitative Fokusgruppen. Von besonderem Interesse war in den letzten beiden Jahren sicherlich der bevorzugte Channel-Mix (das ,How‘), aber auch die Frage, welcher Content welchen Channel aus Kundensicht aktiviert (also das ,What‘)“, berichtet Gabauer. Und Graninger ergänzt: „Die neuen Themen sind Customer Journey und Customer Experience. Dies führt zu einer entscheidenden Frage: Wie können wir eine wertvolle, positive, Nutzen stiftende Erfahrung für die unterschiedlichen Stakeholder schaffen und diese kontinuierlich weiterentwickeln?“
DI Doris Steinberger, Commercial Head bei Biogen Österreich, sieht dies ähnlich, weist aber darauf hin, dass man zwischen Marktforschung für bestehende Produkte und jener bei Produktneueinführungen unterscheiden müsse: „Bei einer Produktneueinführung, insbesondere, wenn man damit ein neues Therapiegebiet betritt, geht es vor allem darum, die Patientenströme zu verstehen, die zuständigen Healthcare Professionals zu ermitteln und die Marktsituation zu analysieren, d.h. welche Therapien gibt es, was wird erstattet etc. Hierbei kann Marktforschung helfen.“ Bei bestehenden Produkten wird Marktforschung ihrer Erfahrung nach vor allem bei Switch-Bewegungen, hinsichtlich Therapierückmeldungen/-treue etc. eingesetzt.
Ein weiterer wesentlicher Punkt ist für Steinberger folgender: „Die Entscheidungen im Gesundheitsbereich sind sehr komplex und es ist wichtig, den richtigen Kontaktpunkt und die richtige Botschaft für die jeweilige Zielgruppe herauszufiltern. Auch hierbei kann Marktforschung unterstützen.“
Welche weiteren Anforderungen Pharmaunternehmen an Marktforschungsanbieter stellen, lesen Sie ab Seite 20.
Ein Schwerpunktthema der Marktforschung, das noch immer sehr konstant untersucht wird, ist laut Auinger das Marken-Tracking, also die Einschätzung des Marktpotenzials und der Markenperformance.
Auch Brosch betont, dass es für die Pharmaunternehmen natürlich unabdingbar sei, den Markt in quantitativen Zahlen zu kennen und ihre Marktposition messbar zu machen: „Das heißt, diese Abfragen von Patient:innen und Prozentzahlen werden Teil der Pharmamarktforschung bleiben, solange es in Österreich keine zentralen Daten zu den jeweiligen Indikations- und Produktgruppen gibt. Aber die Health Care Professionals mögen diese Befragungen nicht, weil sie es leid sind, immer nur Prozent- und Patientenzahlen zu beantworten. Daher müssen die Fragebögen so aufgesetzt werden, dass die Teilnahme für die Zielgruppe interessant ist. Man muss einen gewissen Nutzen mitliefern, damit die Teilnehmenden einen Grund haben, mitzumachen.“