Nachwuchs für die Pharmabranche

Für Dr. Holger Bartz, MBA, medizinischer Direktor bei Janssen Österreich, ist Medical Affairs eine Abteilung, die generell stark an der Nachwuchsrekrutierung für das gesamte Unternehmen beteiligt ist. „Wir in der Medical-Abteilung sind sehr nah am Markt, und zwar in Bereichen, in denen potenzielle Mitarbeiter zu finden sind, z.B. Universitätskliniken, Großlaboratorien etc. Diesen Benefit sollten wir nutzen“, erläutert Bartz.

Eine aktuelle „StepStone“-Umfrage zeigt, dass bei heimischen Studierenden der Naturwissenschaften viele Pharmaunternehmen unter den Top 10 der attraktivsten Arbeitgeber zu finden sind. Mehr dazu siehe Österreichs attraktivste Arbeitgeber.

Hohe Fachkompetenz plus „soft skills“

Die Rekrutierung von Positionen gerade im Bereich Medical Affairs stuft man in der Pharmabranche aufgrund des hohen Anforderungsprofils durchaus als Herausforderung ein. So betont beispielsweise Dr. Roman Fleischhackl, Facharzt für Innere Medizin und heute als Business-Coach tätig, dass die Spezialisierung der Pipeline der Pharmaunternehmen ein sehr hohes fachliches Niveau der Mitarbeiter erforderlich mache. Mag. Erika Hintermayr, HR Partner bei Takeda Pharma Ös­terreich/Schweiz, sieht dies ähnlich. Eine sehr gute naturwissenschaftliche Ausbildung ist in ihren Augen schon einmal sehr wichtig. „Dazu kommt dann ein großes Interesse, auch kommunikativ zu arbeiten, denn wer im Medical-Bereich tätig ist, muss mit vielen unterschiedlichen Stakeholdern Gespräche führen“, so Hintermayr.

Auch für Dr. Lydia Sedlmayr, Head People & Organization, Novartis Österreich, ist eine solide medizinische, pharmazeutische bzw. naturwissenschaftliche Ausbildung eine erforderliche Basis für Medical-Mitarbeiter. Mindestens ebenso relevant sind jedoch ihrer Meinung nach auch die persönlichen Eigenschaften, die ein Kandidat mitbringen sollte: „Hier sind vor allem hohe Lernfähigkeit (,Learning Agility‘), Flexibilität, die Fähigkeit, neue Wege zu beschreiten, ,Out-of-the-Box‘-Denken sowie Teamfähigkeit zu nennen. Denn die heutigen Herausforderungen an Medical Affairs sind nur mit Innovationskraft, effizientem Antizipieren und Adaptieren sowie durch abteilungsübergreifende Zusammenarbeit zu lösen. Auch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, ist essenziell. Grundsätzlich ist zu sagen, dass Einsteigerpositionen leichter zu besetzen sind als Senior- und Führungspositionen, denn hier ist der Markt besonders hart umkämpft“, so Sedlmayr.

Träumen alle vom Humanmediziner?

„Viele Pharmaunternehmen wünschen sich als Kandidaten für den Medical-Bereich oftmals einen Humanmediziner mit abgeschlossenem Studium, weil hier die Erwartung besteht, dass diese besonders gut mit anderen Ärzten auf Augenhöhe kommunizieren können bzw. von diesen auf Augenhöhe wahrgenommen werden. Sich bei dieser Zielgruppe als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren, ist bisher aber noch nicht wirklich gelungen“, erklärt Mag. Dominik Flener, Geschäftsführer HealthCareConsulting Group. Den Grund für die Zurückhaltung vieler Ärzte, die Pharmabranche als Jobumfeld in Erwägung zu ziehen, sieht er darin, dass die Pharmaunternehmen noch immer als sehr kommerziell orientiert eingestuft werden, der wissenschaftliche Fokus der Unternehmen und die vielfältigen Tätigkeitsbereiche für Mediziner müssen seiner Meinung nach noch mehr kommuniziert werden.
„In Unternehmensberatungsfirmen sind teilweise Mediziner tätig. Das heißt, es gelingt durchaus, diese Zielgruppe für Tätigkeiten abseits des Arztberufs zu interessieren. Die Pharmaunternehmen müssen hier an ihrem Ruf arbeiten“, rät Flener.

Die Erfahrungen von Sedlmayr gehen in eine ähnliche Richtung: „Für engagierte ­Mediziner eröffnen sich in der Pharma­industrie hervorragende Möglichkeiten und Karrierechancen, sowohl in Österreich als auch international. Dies ist, obgleich hier durchaus Aufklärungsarbeit seitens der ­Industrie geleistet wird, meines Erachtens unter Medizinern noch nicht ausreichend bekannt.“ Dies führe dazu, so Sedlmayr ­weiter, dass die Pharmaunternehmen zwar häufig Bewerber aus dem universitären Bereich sehen würden, jedoch relativ selten Medizinstudenten oder Ärzte. „Dies mag auch mit dem in diesem Bereich nach wie vor sehr traditionellen Rollenbild des ­praktizierenden Arztes in Ordinationen oder Spitälern, das die Berufswahl prägt, ­zusammenhängen“, vermutet sie.

Durchaus interessiert an einem Arbeitsplatz in der Industrie seien Pharmazeuten sowie Absolventen der Veterinärmedizin oder naturwissenschaftlicher Studienrichtungen, erklärt Flener: „Hier sind es die spannenden Arbeitsbereiche, aber auch die fairen Gehälter und die guten Arbeitszeiten, die Bewerber anlocken.“

Neueinsteiger gut einbinden!

Laut Hintermayr sei Nachwuchs für die Pharmabranche derzeit generell nicht schwer zu finden: „Absolventen aus den Bereichen Biotechnologie, Pharmazie, Biologie, Genetik etc. ziehen die pharmazeutische Industrie gerne als Arbeitgeber in Betracht.“ Sie sieht die Herausforderung eher darin, die Betroffenen nach ihrem Eintritt in das Unternehmen einzugliedern, damit diese auch längerfristig bleiben. „Der Arbeitsalltag in Pharmaunternehmen ist für viele Neueinsteiger zunächst fremd und bringt auch Stresssituationen mit sich. Durch Teammeetings und Gespräche können Mitarbeiter aber gut eingearbeitet und integriert werden“, erläutert Hintermayr.

Hohe Bereitschaft für Fortbildung

Für Dr. Sylvia Nanz, Medical Director bei Pfizer Corporation Austria, muss ein Mitarbeiter für die Medical-Abteilung nicht unbedingt ein Medizinstudium absolviert haben. Eine naturwissenschaftliche Ausbildung ­sowie spezielles Interesse für medizinische Aspekte seien wichtig, zudem müsse ein ­Bewerber aber die hohe Bereitschaft mitbringen, sich fortzubilden: „Wer im Medical-Bereich tätig werden will, muss sich Wissen, auch Spezialwissen, erarbeiten können. Methodisches Arbeiten ist Grundvo­raussetzung, genauso wie Neugierde für Bereiche außerhalb der Naturwissenschaften, z.B. Marketingverständnis und Kenntnisse darüber, was beispielsweise Real-World-­Daten sind oder wozu Artificial Intelligence eingesetzt werden kann.“ Nanz weiß aus der Praxis, dass solche Personen auch zu finden sind: „Naturwissenschafter mit Doktorat sind durchaus bereit, sich auf die Pharmabranche einzulassen und dazuzulernen, denn bei dieser Zielgruppe hat sich die Pharmaindustrie als attraktiver Arbeitgeber bereits herumgesprochen.“ Dass dies bei Humanmedizinern weniger der Fall ist, führt sie auch darauf zurück, dass ein Medizinstudium sehr mit dem Berufsbild „Arzt“ verknüpft ist. „Zudem wissen viele Medizinstudenten oder -absolventen meiner Erfahrung nach zu wenig, welche Jobmöglichkeiten es in der Pharmaindustrie gibt. Sie denken hier oftmals nur an Laborarbeit und klinische Studien, die anderen Berufsbilder unserer Branche kennen sie nicht bzw. zu wenig“, so Nanz.

Den großen Benefit, den Mediziner für den Job im Medical-Bereich mitbringen, sehen Nanz wie auch Hintermayr in den Erfahrungen mit Patienten. Doch Nanz merkt an: „Diese praktischen Erfahrungen haben Medizinstudenten bzw. gerade fertig gewordene Mediziner nur in begrenztem Umfang. Für uns in der Medical-Abteilung besonders spannend wäre jemand, der durch Erfahrung mit Patienten auch Einblicke in den klinischen Alltag und in die Patientensicht gewinnen konnte.“ Für Nanz das Wichtigste beim Berufsbild eines Medicals: „Wie kann man wissenschaftliche Erkenntnisse so kommunizieren und diskutieren, dass der klinisch tätige Arzt und seine Patienten einen Nutzen davon haben?“, lautet für sie die Schlüsselfrage.
Dr. Roman Fleischhackl, Facharzt für Innere Medizin und heute als Business-Coach tätig, ist ebenfalls davon überzeugt, dass es die klinischen Erfahrungen sind, die die stärkste Differenzierung darstellen: „Ein Medizinstudium allein macht noch keinen Top-Kandidaten für die Pharmabranche, manchmal passt ein anderes Naturwissenschaftsstudium sogar besser. Klinische Erfahrung sowie das Wissen um den klinischen Alltag und die Entscheidungsprozesse sind jedoch eine große Bereicherung für ein Medical-Team.“

Vielfalt als Bereicherung

Auch für Bartz muss nicht jeder Medical-Mitarbeiter Humanmediziner sein, im Gegenteil: „Gerade die Diversität in jeglicher Hinsicht, auch bei den Ausbildungen, ist im Bereich Medical Affairs von großer Bedeutung. Ich glaube nicht, dass die Abteilung gut funktionieren würde, wenn wir alle dieselbe Art von Background mitbringen würden. Wichtig ist eine gute Mischung: Humanmediziner – mit und ohne Facharzt –, Veterinärmediziner, Apotheker und Naturwissenschafter etc. In der Regel sollten die Mitarbeiter schon promoviert haben, damit bereits wissenschaftlich gearbeitet wurde.“Hintermayr schließt sich dem Ansatz, dass nicht jeder Medical-Mitarbeiter Humanmediziner sein muss, sondern Vielfalt bei den beruflichen Hintergründen wichtig ist, vollständig an. Allerdings: „Für die Position des Medical Directors ist bei Takeda eine humanmedizinische Ausbildung inklusive klinischer Erfahrung Voraussetzung, da dies für das Verständnis der Patienten und die Kommunikation mit den Key-Opinionleadern als wesentliche Basis gesehen wird“, berichtet sie.

Fleischhackl betont ebenfalls die Bedeutung von Medizinern für das Medical-Team: „Heute ist zwischen Pharmaunternehmen und Ärzten eine echte Informationspartnerschaft auf Augenhöhe erforderlich. Das können auch Absolventen anderer Studienrichtungen als der Medizin abdecken, aber die gute Mischung eines Medical-Teams – inklusive Medizinern – macht absolut Sinn.“ Daher hält er es für wichtig, dass die Pharma­branche auch Absolventen der Humanmedizin und Jungärzte davon überzeugt, dass sie interessante Jobangebote für sie zu ­bieten hat. „Denn auch wenn nicht jeder Medical-Mitarbeiter Humanmediziner sein muss, sollten sie dennoch, wie bereits erwähnt, im Team vertreten sein. Aber derzeit haben ­Medizinstudenten die Pharmaindustrie als möglichen Arbeitgeber nicht am Radar“, ­bedauert Fleischhackl. Dies sieht auch Dr. Arastoo Nia, Unfallchirurg und Mitbegründer von nextdoc.at, der Plattform für ­Medizinstudenten und Jungmediziner, so: „Gerade gegen Ende des Medizinstudiums sollte die Pharmabranche bei dieser Zielgruppe deutlich präsenter sein. Derzeit ist ein Job in einem Pharmaunternehmen für Medizinstudenten etwas Abstraktes. Role Models, die zeigen, welche Jobmöglichkeiten es in der Pharmaindustrie gibt, wären beispielsweise sinnvoll. Dies würde dazu beitragen, dass die Pharmabranche beruhend auf Glaubwürdigkeit und Vertrauen ein gutes Image als Arbeitgeber bei Medizinstudierenden aufbauen könnte.“

Sinnvoller Job mit Perspektive

Bartz appelliert an alle (jungen) Menschen, die eine berufliche Tätigkeit mit Sinn suchen, die Pharmawelt als möglichen Arbeitgeber in Erwägung zu ziehen. „Wer einen sinnvollen Beruf sucht, in dem man etwas bewegen kann, ist meiner Ansicht nach in der forschenden pharmazeutischen Industrie sehr gut aufgehoben. Und Medical Affairs ist dann sicher die Abteilung, die dieses Sinnhafte am stärksten repräsentiert, denn hier werden die Patientenansprüche und -bedürfnisse in die Organisation getragen.“

Informationslücke schließen
Dr. Roman Fleischhackl, Facharzt für Innere Medizin und Business-Coach, ist davon überzeugt, dass Medizinstudenten zu wenig über Berufsmöglichkeiten in der Pharmabranche wissen. Um dies zu ändern, empfiehlt er der Industrie folgende Maßnahmen:
• Medizinstudenten und Jungärzte vermehrt über Berufsmöglichkeiten in der Pharmaindustrie informieren
• Aufzeigen, wie man die Qualifikation als Arzt in den Job in einem Pharmaunternehmen einbringen kann
• Berührungspunkte mit Medizinstudenten und Jungärzten suchen, um die Reputation der Pharmabranche zu verbessern. „Denn auch bei diesen Zielgruppen gibt es das Bild einer stark kommerziell getriebenen Branche, das korrigiert werden sollte. Wenn hier durch persönlichen Kontakt Partnerschaften aufgebaut werden, könnte dies verändert und dadurch mehr Offenheit für die Pharmaindustrie als Arbeitgeber bei den Medizinstudenten/Jungärzten erreicht werden“, so Fleischhackl.
• Nach dem initialen Informationsaustausch Hilfestellung bei der Transition anbieten, also Mediziner an die Tätigkeit in der Pharmabranche heranführen. „Dafür braucht es Information über die spezifischen Rahmenbedingungen der Pharmaindustrie wie Zulassung, Pharmakovigilanz, Antikorruptionsbestimmungen etc. Das gelingt nur mit einem konkreten Schulungsplan“, erklärt Fleischhackl.
• Berufliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten, Aufstiegsmöglichkeiten sowie Karriereplan anbieten
Pharmabranche: Bitte mehr Präsenz zeigen!
„Eine Karriere in der Pharmabranche ist für viele Medizinstudierende etwas Abstraktes. Das liegt auch daran, dass die Pharmaunternehmen zu wenig Präsenz bei dieser Zielgruppe zeigen“, betont Dr. Arastoo Nia, Unfallchirurg und Mitbegründer von nextdoc.
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