Den jüngsten Gehaltskonflikt im Bereich der Sozialberufe und das Ergebnis der Kollektivverhandlungen kommentiert Ursula Frohner nicht. Der österreichische Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV), dem sie als Präsidentin vorsteht, hat keine Kollektivvertragsfähigkeit. Inhaltlich ist die Linie aber klar: „Pflege muss auch etwas kosten. Vor allem gut ausgebildetes Personal kostet“, sagt Frohner. Sie weiß wohl wie kaum jemand anderer um die Herausforderungen und Belange der größten Berufsgruppe im Gesundheitswesen.
Die ÖGKV-Präsidentin engagiert sich seit 1996 in der Berufspolitik, seit zwölf Jahren ist sie Präsidentin der größten nationalen berufspolitischen Vertretung für Pflegeberufe. Und das ist immerhin die größte Berufsgruppe innerhalb des Gesundheitswesens. Schätzungen gehen davon aus, dass rund 65% aller Beschäftigten im Gesundheitswesen in der Pflege arbeiten. Genaue Zahlen kennt niemand. Allein in Krankenanstalten arbeiten 60.224* Pflegekräfte. Zum Vergleich: 2017 gab es etwa 44.000 Ärztinnen und Ärzte in Österreich – im stationären und niedergelassenen Bereich zusammen.
Bereits vor 42 Jahren startete Frohner ihre Berufslaufbahn – damals im stationären Bereich in den Segmenten Kardiologie, Unfallchirurgie und Allgemeine Chirurgie. Es folgte die Pflege im Operationsbereich.
Doch Frohner kennt nicht nur die Gesundheitsministerinnen und -minister der vergangenen 20 Jahre genau, ebenso wie alle Verhandlungen und Diskussionen über Aufwertung und Rolle der Pflege – sie kennt den Beruf auch von der anderen Seite: der zu Pflegenden bzw. deren Angehörigen. Im Gespräch mit PHARMAustria erzählt die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, dass sie privat mit ihren vier Geschwistern die hochbetagten Eltern betreut und pflegt. Man teilt sich die Arbeit untereinander auf, die Eltern erhalten aber auch Unterstützung von Betreuungskräften.
„Alle Studien weisen drauf hin, dass das Gesundheits- und Pflegesystem eine Kombination von qualifiziertem Personal mit anderen Betreuungsberufen und in der weiteren Folge mit Angehörigen sein muss, und das vor allem in der Langzeitpflege“, betont Frohner. Nicht zuletzt deshalb bedürfe es auch einer professionellen Einschätzung des tatsächlichen Pflegebedarfes: „Derzeit beginnt die Einschätzung aber von der Laienseite her.“ Auch wenn es beispielsweise um die Entlassung eines älteren Menschen nach einem stationären Aufenthalt geht, würden meist die Angehörigen nach den Möglichkeiten der Betreuung und Pflege gefragt, obwohl diese damit eigentlich überfordert und auch nicht dazu ausgebildet seien. Letztendlich müsse allen bewusst sein: „Jeder von uns wird mit Pflegebedarf konfrontiert sein, direkt oder indirekt über den Partner, die Eltern oder ein zu pflegendes Kind“, weiß Frohner aus eigener Erfahrung.
Unabhängig von bekannten Definitionen oder gesetzlichen Formulierungen leisten die Gesundheits- und Krankenpflegeberufe einen unverzichtbaren Beitrag im Gesundheitswesen. Und sie rücken zunehmend ins Zentrum der Reformdiskussionen. Dabei geht es nicht allein um die Reform der Altenpflege, sondern auch um die Frage, ob und welche Aufgaben diplomiertes Personal im niedergelassenen Bereiche etwa von Ärzten und Apothekern übernehmen kann. Für Frohner ist die Antwort auf diese Frage klar: Das bloße Weiterreichen von Tätigkeiten könne es nicht sein, sagt sie, darüber hinaus hätten auch die Pflege wie andere Berufe mit Nachwuchsthemen zu kämpfen. Aber: „Es geht in erster Linie um die medizinischen Routinetätigkeiten, die im § 15 des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes beschrieben sind. Dazu gehören schon jetzt Blutabnehmen, Blutdruckmessen, Verabreichen von Infusionen und Arzneimitteln, Assistenztätigkeiten bei der chirurgischen Wundversorgung, das Legen und Entfernen von transnasalen und transoralen Magensonden, die Durchführung standardisierter diagnostischer Programme oder die Durchführung medizinisch-therapeutischer Interventionen. Die Anpassung von Insulin-, Schmerz- und Antikoagulanzientherapien ist in der Versorgungsrealität noch nicht angekommen. Für den niedergelassenen Bereich brauchen wir kein eigenes Gesetz, sondern einen Setting-unabhängigen Versorgungsauftrag, insbesondere für die Versorgung der Menschen im extramuralen Bereich. All das geht auch insbesondere im Zusammenhang mit der Primärversorgung“, ist Frohner überzeugt. Es gehe einfach darum, dass die legitimierte Kompetenz, die der gehobene Dienst hat, dem System zur Verfügung gestellt werden müsse. „Das ist ein wichtiger Punkt zur bedarfsorientierten Versorgung. Es braucht Personalschlüssel für die Settings und eine Verrechnungsmöglichkeit mit den Kassen.“
Derzeit gebe es allerdings noch keinen Gesamtvertrag für die Übernahme der medizinischen Routinetätigkeiten im niedergelassenen Bereich. „Wir haben uns schon zu Beginn der Entwicklung der Primärversorgungsreform dafür eingesetzt, dass Leistungen entsprechend bewertet werden. Das ist ja die Kalkulationsgrundlage für die Gründung von Primärversorgungseinheiten. Wir schlagen hier Leistungspakete vor – etwa für die Grundversorgung und erweitert, wenn ein Patient einen höheren Versorgungsbedarf hat. Das würde auch Disease-Management-Programme wesentlich unterstützen.“
Allerdings sei die Pflege nicht in die Reformgespräche eingebunden. „Das verhandeln derzeit die Ärzte für uns mit.“ Für die Primärversorgungseinheiten würden Ärzte eine Pauschale erhalten, so Frohner: „Wie sie diese verteilen, ist ihre Sache. Hier gibt es keine Vorgaben. Das wird letztlich nirgendwo geregelt.“ Auch am Land gebe es keine Lösungen und Vereinbarungen darüber, wie Gesundheitsberufe zusammenarbeiten könnten: „Überall gibt es genaue Regelungen, aber hier wird das alles sehr informell gelöst.“ Der gehobene Dienst könne laut Gesetz freiberuflich tätig sein, habe aber keine legitimierte Verrechnungsgrundlage.
Die ÖGKV-Präsidentin bedauert, dass es in der Primärversorgung gar keine oder keine bessere Verschränkung mit mobilen Diensten gibt, die selbstverständlich auch Visitentätigkeiten übernehmen könnten. „Man kann zwar Medikamente nicht anpassen, aber die Rückkoppelungsoptionen mit den behandelnden Ärzten sind dringend auszubauen. Eine Verschränkung könnte sehr viel bringen und würde auch den Drehtüreffekt im Krankenhaus reduzieren.“
Als Beispiel für konkret offene Punkte nennt Frohner die jüngste Novelle des Pflegegesetzes. Dort habe die Berufsgruppe die Kompetenz übertragen bekommen, Medizinprodukte weiterverordnen zu können. „Das Problem ist nur, dass der Verordnungsschein nicht gilt, weil ihn die Kassen nicht anerkennen. Diese zieren sich, das umzusetzen. Viele Kolleginnen und Kollegen pilgern deshalb in die Ordinationen, um die Unterschrift eines Arztes zu bekommen, damit die Krankenkasse die Kosten übernimmt.“