Gleich mit seinen ersten Interviews als Präsident des heimischen Pharmaverbandes Pharmig sorgte der 51-jährige Philipp von Lattorff für Aufsehen: Schuld an den zunehmenden Lieferengpässen bei Medikamenten seien die Parallelexporte von Apotheken und Großhandel, und das müsse man abstellen. Für Beobachter war das durchaus ein Tabubruch, ging es doch gegen Lieferpartner einerseits und den freien Warenverkehr in der EU andererseits. Doch von Lattorffs Ruf wurde offenbar von der Politik gehört: Schon bald kursierte eine entsprechende Verordnung des zuständigen Ministeriums in der Öffentlichkeit, die Exporte unter bestimmten Voraussetzungen einschränkt.
Von sich selbst sagt von Lattorff, dass es ihn inspiriere, etwas zu erreichen, das scheinbar unmöglich scheint: „außerordentliche Leistungen“. Erreicht hat er das auch mit Boehringer Ingelheim: Der nach wie vor in Familienbesitz befindliche deutsche Pharmakonzern hat Wien in den vergangenen Jahren zum Hauptzentrum für Krebsforschung sowie zum Standort für biopharmazeutische Forschung, Entwicklung und Produktion im Konzern gemacht – nicht zuletzt dank des Engagements des Managers von Lattorff und seines Teams. Mit jährlichen Forschungsaufwendungen von 200 Mio. Euro ist Boehringer Ingelheim nach eigenen Angaben das forschungsintensivste Pharmaunternehmen in Österreich.
2015 – zwei Jahre, nachdem von Lattorff die Geschäftsführung in Wien übernommen hatte – gab der Konzern bekannt, den Standort in Wien massiv auszubauen. Mit einem Gesamtvolumen von über 700 Mio. Euro ist der Standortausbau bis 2021 die größte Einzelinvestition in der Geschichte des Unternehmensverbandes. Im Zuge der Standorterweiterung schafft Boehringer Ingelheim rund 500 zusätzliche Arbeitsplätze in Wien. Wie man hört, war es nicht einfach, dieses Investment nach Österreich zu bringen, gab es doch auch Standort-Konkurrenz aus den USA, China und natürlich Deutschland. Geholfen habe, so sagte Lattorff selbst einmal, dass es gelungen ist, rasch mit vielen Partnern wie der Stadt oder den ÖBB entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Im Fall der ÖBB war das etwa eine eigene Bahnhaltestelle, um Parkplatzprobleme zu lösen.
Von Lattorff, der von Wien aus auch zuständig ist für das Boehringer Ingelheim Regional Center Vienna und dort die Verantwortung trägt für das Geschäft mit verschreibungspflichtigen Medikamenten und Tierarzneimitteln von Boehringer Ingelheim in Österreich sowie in mehr als 30 Ländern der Region Mittel- und Osteuropa, Zentralasien, der Schweiz und Israel, hat sich im deutschen Konzern seit 1993 hochgearbeitet. Länger als drei bis vier Jahre hielt es ihn in keiner Position. Nur einmal – zwischen 2008 und 2011 – sammelte er Erfahrung außerhalb des Konzerns, und zwar als Geschäftsführer von Angelini Pharma CEE mit Sitz in Wien. Sein Umfeld beschreibt ihn als zielstrebig, fair und fordernd. Und das gilt in erster Linie auch für ihn selbst. Ziele will er in einem möglichst optimalen Zeitraum erreichen. Dabei hilft ihm auch eine ausgeprägtes strategisches Denken, wie er selbst sagt.
Den freien Kopf und die Energie dafür holt sich der Manager im Sport. Das begann schon während der Schulzeit, die der in Graz geborene Deutsche in Wien verbrachte – im Gymnasium der Schulbrüder in Wien-Strebersdorf, wo der Schwerpunkt auf Sport lag. Damals spielte er auch bei der Austria Wien – heute sitzt von Lattorff seit 2015 im Verwaltungsrat des Fußballklubs. „Ich habe in der Jugend selber für die Austria gespielt und bin mit dem Klub in Verbindung geblieben. Ich besuche ab und zu die Heimspiele der Austria“, erzählt er. Zur jüngsten Krise merkt er nur an, dass er „sehr glücklich über das Resultat gegen Hartberg“ gewesen sei. Die Austria schoss sich da mit 5:0 aus der Krise und machte das bis dahin in dieser Saison für unmöglich Gehaltene möglich. Er spiele auch selbst gerne Fußball, so der Pharmig-Präsident.
Weiters am Programm stehen Tennis, Skifahren und Golf – „wenn möglich, mit der Familie“. Denn diese steht für ihn an oberster Stelle und er versucht, die Wochenenden möglichst unantastbar zu halten und auch sonst viel Zeit mit seinen Kindern zu verbringen.
Für die Pharmabranche hat von Lattorff einen klaren Plan: Stabile Rahmenbedingungen und ausreichende Förderungen für Forschung und Produktion seien wichtige Kriterien, um Österreich international wettbewerbsfähig zu halten, ist er überzeugt: „Forschende und produzierende Betriebe sollten weniger belastet und stärker gefördert werden, insbesondere durch Steuerentlastungen.“ Je attraktiver die steuerlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für Betriebe, umso eher siedeln sich neue Betriebe an bzw. werden Start-ups gegründet, was wiederum der Gesundheitsversorgung zugutekommen könne.
Um das zu erreichen, hat die Pharmig ein Positionspapier mit fünf Handlungsempfehlungen an die künftige Bundesregierung veröffentlicht. „Die Umsetzung dieser Empfehlungen möchten wir auch mit der ÖGK und dem Dachverband verfolgen. Ein Thema ist uns dabei besonders wichtig: der rasche und uneingeschränkte Zugang zu medikamentösen Therapien für alle Patienten. Diesen Zugang möchten wir gemeinsam mit der ÖGK für die Zukunft sicherstellen“, so von Lattorff. Generell müsse die Orientierung an den Bedürfnissen der Patienten im Mittelpunkt des Handelns stehen.
Neben der stärkeren Patientenorientierung fordert die Pharmig unter von Lattorff „Planungssicherheit für Unternehmen dank stabilem Rechtsrahmen, die Aufwertung des Gesundheitsstandorts Österreich – von der Forschung bis zur Produktion –, die Nutzung der Digitalisierung sowie den Ausbau von Prävention und Gesundheitsförderung“. Aus diesen Punkten lässt sich erkennen: Es geht ihm auch um die Entwicklung des Gesundheitsstandortes Österreich als Ganzes. „Wir sehen die pharmazeutische Industrie als eine wesentliche Säule des Gesundheitsstandortes und sind der Überzeugung, dass eine starke Pharmaindustrie auch ein wichtiges Kriterium für einen gesunden Standort ist“, betont der Manager, der sich seit Jahren auch in der Industriellenvereinigung in Wien und im Bund engagiert und seit Herbst 2019 auch Vizepräsident der Wiener Industriellenvereinigung ist.
Philipp von Lattorff wurde 1968 in Graz als ältester Sohn von Claus-Jürgen und Julia von Lattorff, geb. Gräfin Batthyány, geboren und wuchs ab 1975 in Wien auf. Lattorff ist der Name eines alten deutschen Adelsgeschlechts, das bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht und dessen Stammhaus der Ort Latdorf in der Mitte von Sachsen- Anhalt ist. Nach der Schule in Wien ging von Lattorff für fünf Jahre nach Spanien und absolvierte an der Management School of Barcelona den Master in Business Administration. Er ist verheiratet mit Tatjana von Lattorff, geb. Prinzessin von Liechtenstein, der Tochter des amtierenden Fürsten Hans-Adam II. von Liechtenstein. Das Paar hat sieben Kinder.
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