Die Johnson & Johnson Medical Products GmbH Österreich vertreibt Medizinprodukte und Technologien für medizinische Verfahren in den Bereichen Kardiologie, Orthopädie, Neurologie, Traumatologie, Chirurgie, Gynäkologie, Urologie, Wundverschluss und Diabetes. Dr. med. vet. Roman Gamerith war 17 Jahre lang im Pharmasegment in Österreich und im europäischen Ausland tätig, ehe er vor drei Jahren General Manager von Medical Devices, Johnson & Johnson Österreich, wurde. Er sieht viele Gemeinsamkeiten zwischen Pharma und Medizintechnik: „Sowohl die pharmazeutische als auch die Medizintechnikindustrie ist auf die Qualität der Produkte und besonders auf die Verbesserung der Behandlungsergebnisse für den Patienten sowie auf die Patientensicherheit fokussiert. Beide streben nach ständiger Innovation und bewegen sich im Spannungsfeld zwischen zunehmender Komplexität der Produkte und steigendem Kostendruck.“ In Bezug auf den letzten Punkt schlägt Gamerith mutige weitere Schritte im Gesundheitswesen in Österreich vor: „Wie sollen echte Innovation und Personalisierung der Medizin mit immer aufwendigeren Pharma- und Medizinprodukten möglich sein, wenn diese nicht mehr kosten dürfen? Diese Schere kann sich letztendlich nicht ausgehen! ,Value-based Payment‘ könnte hier rasch gute Lösungsansätze liefern.“
Spezifisch für den Bereich Medizintechnik ist laut Gamerith, dass die Produkte durch Rückmeldungen von Anwendern weiterentwickelt werden und natürlich andere Herstellungsverfahren zum Einsatz kommen, bei denen u.a. Werkstofftechnik und Elektrotechnik eine große Rolle spielen. „Zudem sind im Pharmabereich weniger Schulungen von Ärzten erforderlich und es fallen keine Wartungskosten an. Das ist in der Medizintechnik anders, hier bestehen sehr hohe Aus- und Weiterbildungskosten, sowohl für unser eigenes Personal, aber auch für die Anwender.“ Auch in Bezug auf die Zusammensetzung der Branchen sieht Gamerith Unterschiede: „Die Pharmabranche ist eine sehr homogene und klar strukturierte Branche. Die Medizintechnikbranche ist heterogener, mit jüngeren und mehr kleineren und mittleren Unternehmen.“
Darüber hinaus sind auch Marktzugang und Verkehrsfähigkeit von Arzneimitteln und Medizinprodukten sehr unterschiedlich geregelt. Eine Arzneimittelzulassung ist eine behördlich erteilte Genehmigung, Medizinprodukte hingegen dürfen nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie mit der CE-Kennzeichnung versehen sind. Dazu muss ein Konformitätsbewertungsverfahren unter Beteiligung einer benannten Stelle durchgeführt werden. Hersteller können sich dazu an eine europäische Stelle ihrer Wahl wenden, die für das entsprechende Verfahren und die betreffende Produktkategorie benannt ist. Die rechtliche Grundlage für das Konformitätsbewertungsverfahren hat sich kürzlich grundlegend geändert: Seit 26. Mai 2021 ist die neue Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation – MDR) verbindlich anzuwenden. „Mit der MDR sind die Anforderungen signifikant erhöht, beispielsweise werden deutlich höhere Anforderungen an die klinische Bewertung bzw. die Durchführung von klinischen Prüfungen gestellt. Es ist aber auch technischer und wissenschaftlicher Fortschritt in der neuen Regulierung verankert, so hat z.B. eine Anpassung der Sicherheits- und Leistungsanforderungen an neue Gesundheitstechnologien stattgefunden, wie Software in der Gesundheitsversorgung. Johnson & Johnson bereitet sich seit Jahren auf die erhöhten Anforderungen und deren Erfüllung vor, um sowohl ‚klassische‘ Medizinprodukte als auch neue digitale Medizinprodukte rechtzeitig nach MDR CE-kennzeichnen zu können. Für kleinere und mittelständische Unternehmen könnte die Umstellung teilweise durchaus schwieriger sein“, so Gamerith.
Gamerith sieht Johnson & Johnson Medical Devices als einen wichtigen Vorreiter für das Vorantreiben der Digitalisierung in Österreich und nennt dafür einige Beispiele: „Wir haben gemeinsam mit Krankenanstalten z.B. optimierte ,Workflows‘ im OP etabliert, indem jeder einzelne Arbeitsschritt bestimmter Operationen digital dargestellt wird. Dies optimiert Abläufe, unterstützt Pflegekräfte bei der Ausbildung und im OP und wirkt so dem Fachkräftemangel im OP entgegen. Ebenso will Johnson & Johnson durch interaktive Patientenkommunikation via App oder aber auch in Bezug auf Prozessoptimierung als Partner erster Wahl für Spitäler agieren (z.B. Reduktion von Umlagerungszeiten und Patientenpfadoptimierung). Zudem werden Automaten angeboten werden, welche mithilfe künstlicher Intelligenz Nahtmaterial automatisch nachbestellen und nachsortieren. Auch hinsichtlich der virtuellen Ausbildung können wir Fortschritte verzeichnen: So werden beispielsweise in Zusammenarbeit mit einer belgischen Firma Brillen angeboten, über die Studierende exakt das sehen können, was der operierende Chirurg als Lehrender gerade vor sich hat.“ Virtuelle Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten sowie Unterstützung durch Apps werden laut Gamerith in Zukunft weiter zunehmen. „Das wichtige Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wird als wesentliche Stütze erhalten bleiben, aber der technische Support dieser Beziehung wird steigen“, sagt Gamerith, der generell davon überzeugt ist, dass die Themen Digitalisierung und Robotik weiter voranschreiten werden.
Auch im Bereich Nachhaltigkeit bemüht sich das Unternehmen, Projekte voranzutreiben, da dies ein brennender Wunsch vieler Kunden sei, so Gamerith: „So läuft derzeit ein Pilotprojekt, bei dem Operationsmaterial bei der Entsorgung in Plastik und Metallteile getrennt und recycelt wird. Hier wollen wir in Zukunft noch weitere wichtige Impulse setzen.“
Der General Manager ist stolz darauf, dass Johnson & Johnson bereits zweimal (2020 und 2021) als Top Employer ausgezeichnet wurde: „Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber, weil uns Diversität und Mitarbeiterzufriedenheit besonders am Herzen liegen. Kunden, Mitarbeiter und Umwelt sind für uns wichtige Aspekte, die auch in unserem Firmencredo an oberster Stelle stehen.“
Selbstverständlich sei der freie Zugang zur medizinischen Versorgung die große Stärke des österreichischen Gesundheitswesens, betont Gamerith. „Dass dieser Zugang jedoch für die meisten Versicherten hierzulande selbstverständlich ist, führt dazu, dass vielen Patienten wenig Eigenverantwortung zugestanden wird. Zudem besteht eine generell geringe Health Literacy, also Gesundheitskompetenz. Dies begünstigt ein oftmals ungesundes Verhalten der Menschen, z.B. Rauchen, zu viel Alkohol, zu wenig Bewegung etc.“, erklärt er.
Die große Schwäche des Gesundheitswesens sieht Gamerith in der primär rein monetären Bewertung medizinischer Leistungen, die er auch als die größte Herausforderung der Zukunft herausstreicht. Er ist der Meinung, dass das Finanzierungssystem des österreichischen Gesundheitssystems noch immer die Kosten von 1995 abbildet, während man gleichzeitig Innovation und Digitalisierung erwarte und den Wirtschaftsstandort stärken wolle. „Aber sowohl Innovation als auch die Rückholung bzw. Etablierung von Produktion nach/in Europa bzw. Österreich ist mit einer Änderung der Finanzierung hin zur Reallokation notwendiger Investitionen sowie zur Etablierung von Value-based Payment und damit zur Betrachtung von Patientennutzen in Relation zu aufgewandten Mitteln verbunden“, sagt Gamerith. Er ist überzeugt, dass man sich hinsichtlich Qualitätswettbewerb ehrlich entscheiden müsse, ob man sich überzeugt mit internationalen Qualitätsstandards vergleichen und Patienten weiterhin die bestmögliche Versorgung bieten möchte.
Gamerith wünscht sich daher, dass über ein modernes Finanzierungsmodell in Österreich nachgedacht wird, welches echte Innovation und Digitalisierung ermöglicht. „Zudem könnte man meiner Ansicht nach durchaus eine gewisse Eigenleistung der Versicherten in Betracht ziehen, um so mehr Bewusstsein zu schaffen und die Eigenverantwortung zu steigern“, erklärt er.
Alle Beteiligten – Ärzte, Hersteller, Zahler, Politiker etc. – sind sich laut Gamerith darin einig, dass die höchste Qualität sowie der Outcome für Patienten im Fokus der Bemühungen stehen müssen. Und er fügt hinzu: „Wenn wir aber diesen Qualitätsanspruch konstant nach oben schrauben – was innovative Produkte auch ermöglichen werden –, muss das finanziert werden.“ Hierfür wünscht er sich einen stärkeren Schulterschluss sowie einen offeneren und ehrlicheren Dialog ohne Schuldzuweisungen von Anbietern, Ärzten, Patienten und Zahlern. „Das bedeutet auch mehr Risikoteilung basierend auf Outcome und Qualität der Produkte“, so Gamerith. Grundsätzlich gehe es doch allen Beteiligten um ein gemeinsames Ziel und das gemeinsame Arbeiten, damit dieses erreicht wird. „Daher lauten die entscheidenden Fragen für uns alle: Wollen wir eines der besten Gesundheitssysteme der Welt bewahren bzw. weiter ausbauen, und wenn ja, wie schaffen wir das?“, unterstreicht er.
Den drohenden Mangel an qualifiziertem Personal im Gesundheitsbereich – speziell auch im Medizintechnikbereich – sieht Gamerith als eine weitere Herausforderung der Zukunft. Seiner Ansicht nach steigen u.a. in Bezug auf Medizinprodukte die Anforderungen an qualifiziertes Personal, er sieht hier Bedarf an einem neuen Berufsbild, welches speziell durch Digitalisierung und Robotics geprägt sein wird. Aber auch bei den Behörden, die Medizinprodukte prüfen müssen, benötigen die Mitarbeiter seiner Meinung nach in Zukunft mehr und spezifischeres Wissen. „Ich sehe da sowohl in den Medizintechnikunternehmen als auch bei den zuständigen Behörden ein Ausbildungsdilemma auf uns zukommen“, so Gamerith – und hofft auf zeitgerechte Maßnahmen, um dem vorzubeugen.