Wenn sich die Ereignisse überschlagen
Das Interview haben wir bereits vor Beginn der Corona-Situation in Österreich mit Gesundheitsminister Anschober geführt. Obwohl natürlich die aktuellen Ereignisse das derzeit beherrschende Thema sind, wollten wir Ihnen diesen Beitrag aus „Vor-Corona-Zeiten“ nicht vorenthalten.
Die Bewältigung der Krise erfordert höchsten Einsatz des Gesundheitsministers und gilt auch als große politische Bewährungsprobe. Für das bisherige Management der Situation kam Lob von höchster Stelle, wenn auch von einem Parteifreund: Im Zusammenhang mit dem Coronavirus lobte Bundespräsident Alexander Van der Bellen das Krisenmanagement der Regierung – explizit jenes von Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Innenminister Karl Nehammer – als „höchst professionell“. Tatsächlich ist das Coronavirus eine gesundheitspolitische Herausforderung, deren Ausgang ungewiss ist.
Der Mann sitzt in einer gewöhnlichen Ordination, die Hemdsärmel bis zur Schulter hochgerollt. Der Arzt verabreicht ihm eine Injektion. Das Bild wirkt nicht gestellt, sondern eher wie ein beiläufiger Schnappschuss. Und doch hat es Gewicht. Der Mann ist immerhin der neue Gesundheitsminister – Rudolf Anschober. Und er postet das Bild auf seiner Facebook-Seite mit dem Hinweis, dass die Grippewelle in Österreich angekommen ist und man sich auch jetzt noch impfen lassen kann – und soll. Dass ausgerechnet ein Grün-Politiker zur Impfung aufruft, mag ein wenig überraschen, gilt doch diese Wählerschaft gemeinhin als eher impfskeptisch. Anschober weiß aber, was er tut. Dafür ist er bekannt: Kein Medienauftritt ist ungeplant.
Eine Woche davor ist es ausgerechnet Anschober, der mit Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Werner Kogler das erste Projekt der neuen Regierung vorstellt: die Pflegereform. Diesmal findet die Inszenierung in einem Pflegeheim statt. „Anschober kommt – wie aus oberösterreichischen Landesregierungszeiten gewohnt – unprätentiös als Erster, ohne Entourage, mehr als eine halbe Stunde vor dem Termin. Tritt ein, grüßt, verschwindet mit den Verantwortlichen in einem Nebenraum“, berichtet die „Krone“. Anschober überlässt nichts dem Zufall, sagen Vertraute.
Rudi Anschober hat mit „Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz“ ein Megaressort im neuen Regierungsteam inne. Er hat aber auch die längste Erfahrung – nicht nur bei den Grünen, sondern auch in der gesamten Regierung: 16 Jahre war er Landesrat in Oberösterreich – der erste grüne Landesrat überhaupt und nicht nur deshalb eine Überraschung. Nur wenige Monate, nachdem die schwarz-grünen Verhandlungen auf Bundesebene nach dem Platzen der ÖVP-FPÖ-Regierung unter Wolfgang Schüssel gescheitert waren, machte Anschober im Herbst 2003 eine Koalition von ÖVP und Grünen in Oberösterreich klar. Zwölf Jahre lang währte die weitgehend friktionsfreie Partnerschaft.
2015 verlor die ÖVP, die Grünen legten zu, dennoch ging sich eine Fortsetzung der Koalition nicht mehr aus. Die ÖVP zog es zu den Freiheitlichen, Anschober erhielt in der Konzentrationsregierung, in der alle Parteien vertreten sind, ein Ressort für Integration mit abgespeckten Umweltagenden. Um diese Aufgabe hatte er sich weder gerissen noch damit gerechnet, sie zu erhalten. Als Grüner in einer schwarz-blauen Landesregierung werde man bei dieser Thematik wohl keinen leichten Stand haben, meinte damals so mancher – vermutlich auch Anschober selbst. Aber nach der ersten Schockstarre beschloss er, „den Stier bei den Hörnern zu packen“, wie er selbst sagte. Und er brachte es damit nicht nur bundesweit zu Popularität, sondern legte sich auch mit der Bundes-ÖVP unter Sebastian Kurz an und trieb sie vor sich her: Als die Grünen gerade aus dem Nationalrat geflogen waren und in der Bundespolitik kaum mehr vorkamen, brachte es Anschober mit seiner Initiative „Ausbildung statt Abschiebung“ für Asylwerber in der Lehre zu österreichweiter Beachtung und versammelte auch zahlreiche ÖVPler hinter sich.
Jetzt wechselt der passionierte Umweltpolitiker schon wieder das Metier: Die Sozialpolitik fällt in die Hände des 59-Jährigen, plus der Gesundheit – Letztere angesichts der zersplitterten Kompetenzen ein undankbares Ressort. Und dort soll er gleich zu Beginn eine Pflegereform umsetzen. Keine leichte Aufgabe, schätzt doch das Wirtschaftsforschungsinstitut, dass bis 2030 rund 75.000 Pflegekräfte fehlen werden.
Für Anschober, so scheint es, ist das eine gefundene Bühne. Er appelliert medienwirksam, dass man pflegende Angehörige mehr wertschätzen müsse, und kündigt einen „Österreich-Dialog“ mit dem Titel „Pflege für die Zukunft“ an, bei dem er durch die Bundesländer touren, mit Experten und Verantwortlichen und NGOs reden will. Es wäre nicht Anschober, würde er dorthin nicht auch seinen Hund – einen Golden Retriever – mitnehmen. Der Vierbeiner hat seinen Halter in den vergangenen Wochen auch oft zu den Koalitionsverhandlungen nach Wien begleitet. Immer auch in Verbindung mit wirksamen Social-Media-Auftritten. Fast könnte man meinen, Anschober interpretiere die alte Theaterweisheit „Kinder und Tiere beleben die Bühne“ um in „Omas, Opas und Tiere beleben die Bühne“. Es bestätigt aber auch, was ihm selbst politische Gegner bescheinigen: Engagement, Transparenz, Authentizität und leidenschaftlichen Einsatz für die Dinge, die ihm wichtig sind.
Rudi Anschober wurde von seinem Anti-Atom-Engagement in die Politik getrieben. Seit den 1980ern ist der gelernte Volksschullehrer politisch aktiv, 1990 zog er in den Nationalrat ein. In Oberösterreich war er unter anderem Landtags-Klubobmann und Landessprecher. Er gilt als arbeitswütig und kann in Oberösterreich auf höhere Bekanntheitswerte verweisen als so mancher Landesregierungskollege anderer Couleur. Nach einer Burn-out-bedingten Auszeit 2012 trat der dem Realo-Flügel zugerechnete Anschober kürzer, gab die Parteispitze ab und war in erster Linie Landesrat.
Der Italien-Fan ist leidenschaftlicher Hobbygärtner, liest und kocht gerne – am liebsten bio und „flexitarisch“, also fleischarm. Auch das setzte er politisch in Szene: 2014 veröffentlichte Anschober ein Kochbuch mit dem Titel „BESSER ESSEN: Mit Genuss die Welt verändern“. Die Botschaft des damaligen Umweltlandesrates: Einmal wöchentlich auf Fleisch verzichten und damit das Klima schützen. Dazu gab es als Kampagne den „FleischFreiTag“, die mit großem Erfolg umgesetzt wurde: Über 100 fleischlose Speisen und die besten Rezepteinsendungen der „FleischFreiTag“-Gewinnspiele sowie fundierte Informationen zum Klimaschutz, praktische Tipps zur richtigen Lagerung von Lebensmitteln, ein Obst- und Gemüse-Saisonkalender, Informationen zu Bio-Direktvermarktern und zahlreiche Kontaktadressen wurden da präsentiert. Einmal in Fahrt, legte Anschober als Umweltlandesrat auch gleich nach und erfand die Kochshow-Tour „Kochtopf statt Mistkübel“, die auf vermeidbare Lebensmittelabfälle aufmerksam machte. Pro Portion wurde eine freie Spende eingehoben, die dann an soziale Vereine ging. – Man darf also gespannt sein, welche Initiativen Anschober als Sozial- und Gesundheitsminister auf den Weg bringen wird.
Reaktionen zum Regierungsprogramm aus dem Gesundheitswesen
„Wir freuen uns, dass der Regierungsbildungsprozess nach der Nationalratswahl im Herbst 2019 so schnell abgeschlossen werden konnte. Das zeigt den Willen der neuen Regierung und ist ein positives Signal.“
Philipp von Lattorff, Präsident der Pharmig
„Es ist wichtig, den Standort Österreich weiterhin zu stärken. Wirtschaft, Wohlstand und Gesundheit lassen sich nicht getrennt voneinander betrachten und wirken wechselseitig aufeinander ein. Eine Stärkung des einen Bereiches wirkt sich positiv auf die anderen aus.“
Alexander Herzog, Generalsekretär der Pharmig
„Die Gesundheit ist das wichtigste Gut im Leben des Menschen. Mit Rudi Anschober hat die neue Bundesregierung ein überaus engagiertes, pragmatisch agierendes Mitglied mit langjähriger politischer Erfahrung und großer sozialer Kompetenz.“
Ulrike Mursch-Edlmayr, Präsidentin der Österreichischen Apothekerkammer
„Herr Anschober hat sich in seiner jahrzehntelangen politischen Laufbahn stets als besonnener und sachorientierter Politiker ausgezeichnet. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit und werden unseren Teil dazu beitragen, dass die Arzneimittelversorgung Österreichs auch in Zukunft sichergestellt ist.“
Andreas Windischbauer, PHAGO-Präsident
„Rudolf Anschober hat sich den Ruf erarbeitet, konsequent und hartnäckig für den sozialen Gedanken in der Gesundheitspolitik einzutreten. Sein soziales Engagement und seine unbestreitbare Kompetenz zeichnen ihn aus.“
Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer