Status quo Bewertungsboard

Mit dem neuen Bewertungsboard soll ­sichergestellt werden, dass Patient:innen in ganz Österreich einen gleich­berechtigten Zugang zu spezialisierten Therapien im Krankenhausbereich haben. Doch es gibt von verschiedenen Seiten Befürchtungen, die festgelegten Verfahrensregeln könnten dazu führen, dass die Therapien, die von diesem Gremium begutachtet werden, erst mit großer zeitlicher Verzögerung oder mitunter gar nicht für die Behandlung zur Verfügung stehen könnten. Beim 16. Rare Diseases Dialog der PHARMIG ACADEMY wurde daher intensiv diskutiert.

Von links: Ronald Pichler (PHARMIG), Elisabeth Weigand (Pro Rare Austria), Joerg R. Weber (Klinikum Klagenfurt am ­Wörthersee), Sylvia Nanz (PHARMIG Standing Committee Rare Diseases), Robert Sauermann (Dachverband der österreichischen Sozialversicherungen), Claudia Fuchs (WU Wien), Christian Woergetter (PHARMIG Standing Committee Rare Diseases), Barbara Plecko (LKH – Univ.-Klinikum Graz), Michael Freissmuth (MedUni Wien); © Katharina Schiffl

Ziel des Bewertungsboards

Univ.-Prof. Dr. Michael Freissmuth, Vorstand des Instituts für Pharmakologie und Leiter des Zentrums für Physiologie und Pharmakologie an der Medizinischen Universität Wien, ist Mitglied und Vorsitzender des Bewertungsboards. Er gehört zu den Expert:innen, die Empfehlungen darüber abgeben, in welchen Fällen in Österreich welche innovativen Therapien eingesetzt werden sollen. „Bisher existierte ein fragmentiertes System von Prozessen, in dem Arzneimittel im intramuralen Bereich bewertet wurden. Im Rahmen der Gesundheitsreform 2023 wurde das Bewertungsboard mit dem Ziel eingerichtet, einen österreichweit einheitlichen Einsatz spezialisierter Arzneimittel am ‚best point of service‘ zu gewährleisten. Das Bewertungsboard hat daher die Aufgabe, transparente und nachvollziehbare Empfehlungen auf Grundlage wissenschaftlicher Kriterien abzugeben“, schildert Freissmuth den Anspruch an dieses Gremium.

Verzögerungen befürchtet

„Diese Empfehlungen sollen einerseits durch die regionalen Arzneimittelkommissionen zur Anwendung gebracht werden, stellen aber andererseits auch Sachverständigengutachten dar, die bei der Auswahl von Arzneimitteln zur Sicherung des Behandlungsniveaus berücksichtigt werden sollen, denen aber nicht unbedingt gefolgt werden muss“, erklärt Univ.-Prof.in Dr.in Claudia Fuchs, Professorin am Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht an der Wirtschaftsuniversität Wien. Zudem gebe es weder einen Anspruch auf zeitnahe Erlassung einer Empfehlung noch eine Möglichkeit, vor allem gegen negative Empfehlungen Einspruch zu erheben. „Das alles lässt Verzögerungen beim Zugang zu Therapien befürchten und geht auf Kosten der Rechtssicherheit für Patientinnen und Patienten, aber auch auf jene der Unternehmen, die diese Produkte entwickeln und bereitstellen“, hält Fuchs fest.

Pro Rare Austria, die österreichische Allianz für seltene Erkrankungen, fordert seit Jahren den österreichweit einheitlichen Zugang zu innovativen Therapien und erhofft sich mit dem Bewertungsboard entsprechende Verbesserungen. Mag.a Elisabeth Weigand, Geschäftsführerin von Pro Rare Austria, betont, dass die Sichtweise der Patient:innen mit spezifischen Indikationen in den Bewertungsprozess einbezogen werden müsse.

Einheitliche Finanzierung gewünscht

„Darüber hinaus sind natürlich die Finan­zierung und Erstattung der Therapien sicherzustellen, zum Beispiel durch einen ausreichend dotierten Topf, der bei Bedarf entsprechend aufgestockt wird“, so Weigand weiter. Gerade eine bundesweit einheitliche Finanzierung dieser Therapien hält auch Univ.-Prof.in Dr.in Barbara Plecko, Leiterin der Klinischen Abteilung für Allgemeine Pädia­trie, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde und stellvertretende ärztliche Direktorin am Landeskrankenhaus Universitätsklinikum Graz, für wesentlich. Sie sieht die föderalen Strukturen sowie die Unterschiede in der intra- und extramuralen Finanzierung aktuell als Hürden beim Zugang zu neu entwickelten oder verbesserten Therapiemöglichkeiten beispielsweise bei seltenen Erkrankungen. Für Plecko bietet das neu geschaffenen Bewertungsboard die Möglichkeit, den Einsatz neuer, wirksamer Medikamente unter Einbezug der jeweiligen Expert:innen bundesweit rasch und einheitlich zu ermöglichen.

Definition rationaler Einsatzkriterien

Um den Zugang zu innovativen Medikamenten im intramuralen Bereich und an der Nahtstelle zu fördern, weist Priv.-Doz. Dr. Robert Sauermann, stellvertretender Leiter der Abteilung „Vertragspartner Medikamente“ im Dachverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, auf die Notwendigkeit weiterer Schritte hin: „Eine besondere Herausforderung für das Board ist die möglichst frühzeitige und zügige Bearbeitung neuer Medikamente. Dabei wird es wichtig sein, rationale Einsatzkriterien zu definieren, die eine hohe Behandlungsqualität für die Patientinnen und Patienten sicherstellen.“ Wie diese Kriterien eines bestimmten Medikaments konkret aussehen, müsse im Rahmen jedes einzelnen Bewertungsprozesses sorgfältig geklärt werden.

Planungssicherheit für alle Beteiligten

Für mehr Klarheit plädiert auch Prim. Univ.-Prof. Dr. Joerg R. Weber, Abteilungsvorstand und stellvertretender medizinischer Direktor der Kärntner Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft, Klinikum Klagenfurt am Wörthersee, und ein Ländervertreter des Bewertungsboards: „Das Ergebnis des Bewertungsboards ist als Sachverständigengutachten qualifiziert, als unverbindliche Empfehlung. Was wir daher brauchen, ist Verbindlichkeit – und zwar für alle, auch für die pharmazeutische Industrie.“

Warum die Entscheidungen dieses Gremiums aus Sicht der Unternehmen, deren Produkte bewertet werden, von höchster Relevanz sind, erläutert Univ.-Prof. MMag. Dr. Gabriel Felbermayr, PhD, Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung: „Diese Produkte erfordern erhebliche Anfangsinvestitionen während des Entwicklungsprozesses, ohne Gewissheit, ob diese Investitionen jemals Erträge liefern werden.“ Die wirtschaftlichen Bewertungen solcher Produkte sind laut Felbermayr besonders komplex und risikobehaftet. „Das erschwert es, durch Forschung hergestellte Produkte, die einen so wichtigen Nutzen für die Behandlung von seltenen Erkrankungen bringen, adäquat zu bewerten, da der immense Aufwand und die Risiken oft nicht vollständig in den wirtschaftlichen Bewertungen abgebildet werden können“, so Felbermayr weiter.

„Nach wie vor gibt es keine einschlägige indikationsspezifische fachmedizinische Besetzung im Board. Das birgt die Gefahr, dass unsachgemäße Maßstäbe für die Bewertung von Therapien herangezogen werden“, hält Dr. Ronald Pichler, Head of Public Affairs & Market Access bei der PHARMIG, fest. Auch er sieht die mangelnde Planbarkeit für Unternehmen, insbesondere, wann welches Produkt ins Board aufgenommen wird, als problematisch. „Darüber hinaus führt die Uneinheitlichkeit in der Behandlung aufgrund des Fehlens einer zentralen, einheitlichen Finanzierung zu weiteren Problemen. Das geht am Ziel vorbei, Patientinnen und Patienten die bestmögliche Versorgung zu bieten und ihnen auch zeitnah die am besten geeignete Therapie zu ermöglichen“, so Pichler.