Multi-Channel-Marketing, also Marketing auf unterschiedlichen Kanälen, ist längst vertrauter Arbeitsalltag im digitalen Zeitalter. „Doch es geht um mehr, nämlich um inhaltliche Verknüpfungen. Die Zielgruppe muss die Kernbotschaften auf verschiedenen Kanälen einheitlich wahrnehmen“, erklärt Dr. Claudia Klausegger, Institut für Marketing-Management an der Wirtschaftsuniversität Wien. Bei dieser „inhaltlichen Verschmelzung“ sei es von großer Bedeutung, dass keine Widersprüche zwischen den Kanälen auftreten. „Es braucht einen Verantwortlichen, der alle Kanäle überprüft, damit einheitlich kommuniziert wird“, so Klausegger. Dieses Cross-Channel-Marketing (siehe Kasten) ist in ihren Augen heutzutage unverzichtbar, da verschiedene Zielgruppen auf unterschiedlichen Kanälen unterwegs sind.
Auch Mag. (FH) Michael Webora, Head of Marketing GX & OTC bei ratiopharm Österreich, betont, dass Pharmamarketing eine 360-Grad-Kommunikation benötige, und dies bedeute unterschiedliche Werbeformen auf verschiedenen Kanälen – klassische ebenso wie digitale Medien. Seine generelle Empfehlung: „Nie stehen bleiben, immer die aktuellen Trends beobachten und den Mitbewerb analysieren!“
Mag. (FH) Ilse Schöll, Brand Manager Oncology, Daiichi Sankyo Austria GmbH, rät zudem, jeden Kanal individuell zu befüllen, auch wenn die Inhalte natürlich miteinander verknüpft sein müssen.
Für Dr. Thomas Klotz, General Manager OTC bei Sanofi Österreich, ist die Frage nach der richtigen Mischung von klassischen und digitalen Medien die „Gretchenfrage, auf die es keine eindeutige Antwort gibt, aber ‚one size fits all‘ galt im Marketing sowieso noch nie“. Seiner Ansicht nach muss die Auswahl der Kanäle aufgrund eines tiefen Verständnisses für die Zielgruppe, für deren Bedürfnisse, Glaubenssätze und Verhaltensweisen erfolgen. „Diese Aspekte unserer Ansprechpartner kennen wir heute besser, unter anderem durch die digitalen Medien“, sagt Klotz.
Ähnlich sieht dies Mag. Wolfgang Nirschl, Product Manager Oncology, Janssen: „Auch im digitalen Zeitalter richtet sich der Marketing- und Mediamix nach den speziellen Kundenbedürfnissen und -gewohnheiten. Die Mischung der Medien sollte zudem den Anforderungen der jeweiligen Therapie(gebiete) entsprechen.“ Weiters betont er, dass die Wahl des Kanals selbstverständlich auch vom jeweiligen Inhalt, den es zu transportieren gilt, abhänge: „Im klassischen RX-Pharmamarketing lassen sich über etablierte Fachmagazine beispielsweise Produktneuigkeiten und Studieninformationen gut transportieren. Digitale Medien haben den enormen Vorteil, eine direkte, gezieltere Interaktion mit den Kunden zu ermöglichen.“
Im Pharmamarketing beobachtet Klausegger die Tendenz, den Außendienst zu verkleinern bzw. dessen Rolle neu zu definieren. „Gleichzeitig gewinnen digitale Medien an Bedeutung, diese werden aber zusätzlich zum traditionellen Marketingmix und zum Außendienst eingesetzt. Es geht nicht um ein ‚Entweder-oder‘, sondern um ein zusätzliches Kommunizieren auf weiteren Kanälen“, erläutert sie. Letztendlich müsse sich das Marketing immer darum bemühen, die jeweilige Zielgruppe dort anzusprechen und abzuholen, wo diese es will. „Es geht um den größtmöglichen Komfort für die Kunden – daher muss man die kundenseitig bevorzugten Kanäle wählen. Getreu dem Leitsatz: Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Fischer“, so Klausegger.
DI Martin Verdino, Geschäftsführer der Kreativagentur VERDINO, die auf Pharmakommunikation im RX-Bereich spezialisiert ist und einen starken Digitalschwerpunkt setzt, plädiert ebenfalls für individuelle Lösungen bei der Zusammenstellung der Kanäle: „Die Entscheidung ist jeweils abhängig von den Dialoggruppen zu treffen!“
Dem Ruf nach individuellen Marketingkonzepten schließt sich auch Dr. Fritz Gamerith, Geschäftsführer Schwabe Austria GmbH und Projektleiter am Zentrum für Management im Gesundheits- und Pharmawesen der Donau-Universität Krems, an: „Kochrezepte funktionieren im Marketing nicht. Zudem hängt die Wahl der Kanäle stark vom Alter der jeweiligen Zielgruppe ab – 20-Jährige schauen beispielsweise kein TV mehr!“ Dies sieht auch Klotz so. Dennoch ist er überzeugt, dass klassische TV-Werbung bestehen bleiben wird: „Dort kann man schnell Reichweite aufbauen, allerdings keine Hintergrundinformationen mitliefern – für beratungsintensive Produkte brauchen wir daher andere Formate.“
Schöll empfiehlt, mit Fachmedien zusammenzuarbeiten und deren innovative Tools – wie z.B. digitale Kongress-Newsletter etc. – im Marketingmix einzubinden bzw. gemeinsam mit Fachmedien neue Tools zu kreieren.
Wie groß der Anteil der digitalen Medien im Marketingmix sein sollte, kann laut Klausegger nicht pauschal beantwortet werden. „Dies hängt von der Zielgruppe und den Kommunikationszielen ab – und Letztere ändern sich während des Produktzyklus‘“, so die Expertin.
So braucht es beim Launch eines neuen Produkts eine hohe Präsenz in der Kommunikation, da zu diesem Zeitpunkt die Bekanntmachung des Produkts im Vordergrund steht. „Hier gilt es, sehr breit und intensiv über die verschiedenen Kanäle zu kommunizieren“, erläutert Klausegger. Während der Wachstumsphase sollten dann die Produktunterschiede zur Konkurrenz in den Mittelpunkt gestellt werden. Klausegger: „Die Kommunikationsintensität ist in der Wachstumsphase am höchsten, daher braucht man in dieser Zeit eine hohe Reichweite. Diese erreicht man durch Präsenz auf unterschiedlichen Touchpoints.“ Zudem sei es wichtig, über unterschiedliche Kanäle an die Zielgruppe heranzutreten, um in das Mindset der Zielgruppe zu kommen. In der Sättigungsphase gilt es, „Erinnerungswerbung“ zu betreiben, um sich gegen neue Produkte zu behaupten. „Diese sollte verstärkt dort, wo die Zielgruppe viel unterwegs ist, erfolgen. In Bezug auf die Zielgruppe Ärzte bedeutet das beispielsweise, Langzeitstudien ins Feld zu führen, um die Loyalität der Verschreiber zu erhalten“, so Klausegger.
Auch Verdino betont, dass man die Kanäle nach strategischen Gesichtspunkten auswählen müsse: „Mein Leitsatz lautet: ‚Digital first‘ – aber Digital allein funktioniert nicht, denn es gilt, möglichst viele Touchpoints zwischen meinen Zielgruppen und dem Produkt/Thema während der Customer Journey zu bespielen. Dabei wird man immer feststellen: Es gibt auch Touchpoints außerhalb der digitalen Welt, die man berücksichtigen muss.“ Verdino ist davon überzeugt, dass man die digitale mit der realen Welt kombinieren müsse: „Wichtig ist immer ein klarer User-Fokus, je nach Zielgruppe. Patient Centricity ist aber viel zu oft nur ein Schlagwort, dabei sollte sie gelebt werden!“
Daher empfiehlt er eindringlich, den User, wenn möglich, bereits im Vorfeld in das Projekt, die Kampagne etc. einzubinden: „Wir führen in allen Projektphasen Interviews mit unseren Zielgruppen, um in die Bedürfnisse hineinzuhören und Lösungen abzutesten. So können wir uns an denen orientieren, für die wir die Projekte machen“, berichtet Verdino aus der Praxis. Dabei lautet in seinen Augen eine entscheidende Frage: Wie erzähle ich das, was ich kommunizieren will, so, dass die User die Geschichte weitertragen? „Es geht um Storytelling: Auch wenn wir viele Faktoren transportieren müssen, sollten wir versuchen, uns weg vom rein wissenschaftlichen Zugang hin zu einer Geschichte zu bewegen – diese muss natürlich immer noch korrekt, rechtlich zulässig und valide sein“, so Verdino.
Die Wahl der Kanäle hängt neben dem Produktzyklus auch vom Zielgruppen-Involvement ab. „Ist das Involvement mit der Marke/dem Produkt niedrig, muss man stärker auftreten. Ist meine Zielgruppe bereits hoch involviert – wie dies z.B. in der Onkologie der Fall ist –, stellt man Informationen anders zur Verfügung, da man davon ausgehen kann, dass die Zielgruppe Informationen aktiv einholt“, erläutert Klausegger.
Dass internationale Pharmakonzerne oftmals ein fixes Budget für den Digital-Anteil im Marketingmix vorschreiben, ist in Klauseggers Augen der falsche Weg: „Denn wie bereits gesagt: Die Wahl der Kanäle hängt von der Zielgruppe, den Kommunikationszielen und dem Produktzyklus ab.“ Die Expertin warnt in diesem Zusammenhang davor, zwanghaft auf den digitalen Zug aufspringen zu wollen: „Das beste Beispiel hierfür sind Apps. Diese funktionieren nur bei bestimmten Zielgruppen und z.B. nicht bei älteren Personen.“ Apps umzusetzen, weil es gerade „in“ sei, bringe daher nichts, erklärt sie. Auch Schöll steht Apps ein wenig skeptisch gegenüber: „Es gibt einfach schon zu viele, hören wir von Ärzten – auch von den jungen. Auf jeden Fall sollte man Apps nur im Rahmen eines Marketingpakets und nie alleine anbieten“, lautet ihre Empfehlung.
Trotz aller digitaler Trends haben Fachzeitschriften weiterhin einen sehr hohen Stellenwert im Marketingmix. Das ergaben auch die aktuellen Umfragen LA-MED und LA-PHARM aus Deutschland (siehe auch ab Seite 22). „Die Ergebnisse zeigen sehr deutlich, wann die Zielgruppen die jeweiligen Medien nutzen – und das ist für den Marketingmix die entscheidende Frage“, unterstreicht Andrea Biebl, Vorstandsmitglied der ARGE LA-MED und Geschäftsführerin von MW Office, einer deutschen Agentur für Healthcare-Kommunikation. So haben LA-MED und LA-PHARM 2020 gezeigt, dass Fachzeitschriften für Fachärzte, Apotheker und pharmazeutisch-technische Assistenten immer noch die Informationsquelle Nr. 1 sind. „Bei Themen, mit denen diese Zielgruppen dort in Berührung kommen, greifen sie anschließend häufig zu digitalen Angeboten; diese können von der jeweiligen Fachzeitschrift oder von Unternehmen stammen. Das heißt, digitale Kanäle spielen oftmals dort eine Rolle, wo Ärzte/Apotheker tiefer in Themen einsteigen wollen“, so Biebl weiter. Dies belegt in ihren Augen ganz klar, dass im modernen Pharmamarketing ein Customer-Journey-Ansatz zu wählen ist, der die unterschiedlichen Touchpoints der Zielgruppe bedient.
Nirschl ist generell davon überzeugt, dass sich Pharmaunternehmen die digitalen Möglichkeiten vermehrt zunutze machen sollten: „Digitale Medien erlauben die Verbreitung von Inhalten und Botschaften viel schneller und sind mehrfach skalierbar. Eine große Zielgruppe kann dadurch verstärkt erreicht werden. Digitale Medien ermöglichen es zudem, orts- und zeitunabhängig in Dialog zu treten und an Fortbildungen teilzunehmen. Die Bereitschaft, dies anzunehmen und sich mit digitalen Formaten auseinanderzusetzen, muss gegeben sein.“
Gerade im Hinblick auf diese Bereitschaft meint Schöll, dass Ärzte die Vorteile von Digital durchaus erkennen würden und bereit wären, diese zu nutzen. Hierzu habe auch die Corona-Situation beigetragen.
Nirschl und Webora sind überzeugt, dass gerade in Zeiten von Corona elektronische Mailings und Newsletter aufgewertet wurden, indem sie Zielgruppen auch bei physischen Zugangsbeschränkungen erreichbar machen. „Gleichzeitig sind sie damit aber auch inflationärer denn je. Mailings und Newsletter eignen sich am besten für die Auslobung neuer Produkte, die Stärkung von (Produkt-)Awareness und Einladungen zu Veranstaltungen. Bedenken muss man, dass die Erreichbarkeit der Zielgruppe eine Zustimmung zu digitalen Services bedingt. Daher arbeiten wir kontinuierlich daran, den Mehrwert digitaler Interaktionen zu verbessern“, berichtet Nirschl.
Für Gamerith ist der RELATUS-MED-Newsletter (MedMedia Verlag) ein spannendes Tool in der Kommunikation mit den Ärzten, da hier auch eine „Meinungskolumne“ des Chefredakteurs eingebaut ist – genau solche Aspekte wie Meinungen, Kommentare etc. fehlen Gamerith oftmals in der Kommunikation im Bereich Pharmamarketing.
Bei elektronisch übermittelten Informationen müsse man allerdings immer berücksichtigen, die Inhalte digital aufzubereiten; es genüge nicht, die Printfolder einfach zu übernehmen, unterstreicht Schöll. Zudem ist ihre Erfahrung, dass Newsletter teilweise schlechte Klickraten erzielen: „Die Ärzte bekommen mittlerweile so viele Newsletter, dass selbst jene mit relevantem Inhalt manchmal nicht wahrgenommen werden. Daher muss man sehr selektiv die Zielgruppe auswählen und die Newsletter nach Möglichkeit personalisiert verschicken. Was sehr gut bei Ärzten ankommt, sind Kongress-Highlights, die bereits während eines stattfindenden Kongresses digital verschickt werden.“
Für Klotz sind Newsletter in Bezug auf Stakeholder wie Ärzte und Apotheker ein interessantes Tool, um diese über neue Produkte zu informieren und auf dem Laufenden zu halten. Im OTC-Bereich ist er in Bezug auf Endverbraucher allerdings etwas skeptisch: „Ob in dem Fall Newsletter Sinn machen, kommt sehr auf das Produktportfolio an, über das man kommuniziert. Denn bei vielen OTC-Produkten gibt es nicht regelmäßig Neues zu berichten bzw. sind Konsumenten auch nicht permanent an Informationen über beispielsweise Schnupfenmittel interessiert – damit beschäftigen sie sich eher im Bedarfsfall. Anders sieht die Situation beispielsweise bei Vitaminpräparaten oder Produkten gegen das Reizdarmsyndrom aus. Hier kann man rund um das Produkt nützliche Informationen übermitteln, z.B. Ernährungstipps, Kochrezepte etc. Solche Aspekte sind dann für Newsletter oder auch für Social Media interessant.“
Generell sind die Befragten davon überzeugt, dass der Außendienst nie ersetzt werden wird, da er für die Ansprüche der Ärzte und Apotheker unverzichtbar ist. „Der Außendienst ist ja nicht nur die persönliche Ansprechperson für meine Zielgruppen, sondern er holt auch Informationen aus der Branche ein, die für das Unternehmen nützlich sind“, weiß Klausegger aus der Praxis. Allerdings glaubt sie, dass ein Umdenken in Bezug auf den Außendienst erforderlich ist, denn digitale Tools werden in der Kommunikation an Bedeutung gewinnen: „Die Pharmabranche hinkt in Bezug auf die Digitalisierung anderen Branchen hinterher und unterschätzt die Digital-Affinität der jüngeren Zielgruppe.“
Nirschl betont, dass gerade die COVID-19-Pandemie gezeigt habe, dass ein engagierter Außendienst essenziell ist, um den Kontakt zu den Kunden aufrechtzuerhalten. „Erfolgreiche Produkteinführungen wären ohne die wichtige Unterstützung des Außendienstes undenkbar“, so Nirschl. Diese Bedeutung werde bleiben, aktuell verlagere sich nun der Schwerpunkt der Interaktion: „Prä-Corona war der Austausch meist auf persönliche Face-to-Face-Gespräche fokussiert. Aufgrund der aktuellen Lage treten zurzeit digitale Kanäle oder Telefonate mehr in den Vordergrund“, so Nirschl – dies werde seiner Ansicht nach auch nach Corona tendenziell so bleiben. Die Mischung aus persönlicher und digitaler Kommunikation in Bezug auf den Außendienstkontakt sehen auch Gamerith und Schöll als zukünftige Lösung.
Der Einsatz von Social Media ist im Pharmabereich aufgrund der strengen regulatorischen Vorgaben problematisch. So ist beispielsweise ein kontinuierliches Monitoring, u.a. hinsichtlich Pharmakovigilanz, ein absolutes Muss. „Es gibt also gute Gründe, warum Pharmaunternehmen hier so zurückhaltend sind, denn die Kontrollierbarkeit von Social Media ist deutlich geringer als bei anderen Medien“, berichtet Klausegger. Doch für Corporate-Identity-Themen, Storytelling, Awareness-Kampagnen etc. können auch Pharmaunternehmen die sozialen Netzwerke nutzen. Klausegger dazu: „Um zu zeigen, dass man als Pharmaunternehmen gesellschaftspolitische Verantwortung trägt, sind Social Media sicher ein nützlicher Kanal. Aber auch hier muss man aufpassen, wohin die Kommunikation der User geht – denn die Reputation der Pharmaindustrie ist in der Allgemeinbevölkerung nicht die beste. Man muss daher in den Social Media immer mit Gegenwind rechnen. Und kommt es zu einem Shitstorm, kann man die losgetretene Welle nur schwer stoppen …“
Gamerith ist ebenfalls der Meinung, dass sich die Pharmaindustrie „imagetechnisch mehr in den Social Media bewegen sollte“. Er fordert, dass das strikte Korsett, mit dem die Pharmaindustrie behaftet ist, gelockert werden müsse: „Diese starken Einschränkungen entsprechen nicht mehr unserer Zeit – es muss auch für Pharmafirmen möglich sein, Diskussionen in den Social Media bis zu einem gewissen Grad zuzulassen.“ Derzeit sei dieser Grad in seinen Augen zu eng gefasst.
Webora ist davon überzeugt, dass Social Media in der Kommunikation zu den Endverbrauchern zunehmend wichtig wird: „Man kann über diese Kanäle Einblick in die Firma geben, aber gerade auch im OTC-Bereich Kampagnen für die jüngere Zielgruppe durchführen.“ Und Nirschl ergänzt: „Bei Produkten, die Laienwerbung zulassen, wie z.B. bei OTC-Produkten oder bei für Patienten bestimmten Medizinprodukten (z.B. Apps), bieten Social Media enorme Möglichkeiten, mit großen Zielgruppen in Kontakt zu treten und sie optimal und relativ kostengünstig anzusprechen.“ Klotz sieht dies ähnlich, betont aber: „Für Produkte, die man nur bei Bedarf braucht – z.B. einen Hustensaft –, machen Social-Media-Seiten eher weniger Sinn.“ Generell empfiehlt er für Social-Media-Aktivitäten den Folder von IGEPHA und Pharmig „Ratgeber zum Umgang mit digitalen Medien“.
Für Schöll sind Social Media eine geeignete Plattform, um Awareness-Kampagnen umzusetzen. „Gerade im Bereich Onkologie, in dem ich tätig bin, kann man hier spannende und sinnvolle Projekte umsetzen. Beispielsweise einen Aufruf, trotz COVID-19 zur Brustkrebsvorsorge zu gehen – wenn man dazu z.B. eine Kampagne mit Ärzten umsetzt, mit Kurzvideos etc., kann man hier viel erreichen. Neben der Awareness der Patienten kann man durch solche Projekte auch die Zusammenarbeit mit Ärzten pflegen und zudem durch eine Logoplatzierung die Corporate Identity des Unternehmens stärken.“
Ein weiterer Kanal, der laut Schöll gerade in der Kommunikation mit Experten eine zunehmend wichtige Rolle spielen werde, sind Online-Plattformen wie beispielsweise das Tool „Im Fokus“ des MedMedia Verlages. „Über diese Plattform werden Ärzte mit relevanten Informationen versorgt, Expertenstatements können als Videostatements eingebaut werden. Solche Tools können wir als Industrie sehr gut unterstützen“, sagt Schöll, die hier im letzten Jahr ein Projekt gemeinsam mit MedMedia umgesetzt hat (www.medmedia.at/im-fokus/multiples-myelom): „Dieses ist sehr gut angekommen und hat hohe Klickraten erzielt.“
Klotz bewertet neutrale Online-Plattformen in der Kommunikation mit den Endverbrauchern als sehr sinnvoll: „Jede fünfte Google-Anfrage ist gesundheitsbezogen! Das heißt, das Interesse der Konsumenten an diesem Thema ist groß. Mit nicht produktbezogenen Plattformen bedient man somit ein starkes Kundenbedürfnis. Und für die Industrie gibt es dort Werbemöglichkeiten für ihre Produkte.“
Auf Social-Media-Kanälen und diversen Online-Plattformen stehen Videos aktuell hoch im Kurs und genießen laut Nirschl mittlerweile auch in der Pharmabranche eine immer stärkere Verbreitung: „Gut gemacht, können sie komplexe medizinische Inhalte veranschaulichen und auf den Punkt gebracht vermitteln. Als das am leichtesten zu ,verdauende‘ Medium erlauben sie in der Kommunikation eine niedrige Hemmschwelle, sich neue Inhalte anzusehen.“ Einsatz im Bereich Pharma finden sie nach Nirschls Erfahrung vor allem, um Wirkungsmechanismen, Studien und Expertenmeinungen zu vermitteln. Besonders Videos mit Statements von Key Opinion Leadern haben seiner Meinung nach eine große Überzeugungskraft. „In der Medizintechnik sind OP-Videos zum erfolgreichen Produkteinsatz oft überzeugender als Studien. Darüber hinaus eignen sie sich am besten zur Beschreibung von Set-ups von Produkten und Geräten. Für OTC-Produkte mit Emotionen bieten Videos die wohl beste – wenn nicht überhaupt die einzige – Möglichkeit, diese Emotionen zu transportieren“, fasst Nirschl zusammen.
Klotz hat ein eher zwiegespaltenes Verhältnis zu Videos: „Meiner Meinung nach sind Videos definitiv für Ärzte und Apotheker sehr interessant, z.B. im Bereich Fortbildung. Für Endverbraucher hingegen sind Videos in meinen Augen nicht unbedingt das erste Mittel der Wahl, denn man muss dabei Aufwand der Herstellung und Interesse der Zielgruppe in Relation setzen. Natürlich kann man ein Video produzieren, in dem ein Arzt Tipps zu einem Gesundheitsthema gibt. Wenn sich das dann aber nur 300 User anschauen, steht sich das oftmals nicht dafür.“ Videos sind für ihn daher eher auf den bereits erwähnten neutralen Gesundheitsplattformen, auf denen sie eine höhere Reichweite erzielen können, sinnvoll, weniger auf Social Media.
Webora sieht in Videos einen Zukunftstrend für Imagetransfer: „Hier können Pharmafirmen auf emotionale Weise Inhalte über das Unternehmen, die Mitarbeiter, Awareness-Kampagnen etc. kommunizieren.“ Zudem würden Videos den Zusatznutzen mitbringen, dass man durch sie auf Social Media auffallen würde.
„Webinare haben sich in der Pandemie-Zeit als eine gute Alternative zu Face-to-Face-Veranstaltungen herauskristallisiert. Zwar bleibt bei Webinaren tendenziell weniger ‚hängen‘, dafür erfreuen sie sich meist einer höheren Teilnehmerzahl als Präsenzveranstaltungen“, meint Nirschl. Webora ist ebenfalls davon überzeugt, dass Webinare auch nach der Pandemie eine wichtige Rolle spielen werden: „Vermutlich geht der Trend zu einem Mix aus Online- und Präsenzveranstaltung.“ Schöll sieht Hybridveranstaltungen auch als mögliches Setting für zukünftige nationale und internationale Kongresse.