Vielfach wurde in den letzten Jahrzehnten diskutiert, wie es in der Pharmabranche mit dem Außendienst (AD) weitergehen soll. Außendienstteams wurden verkleinert, vergrößert, verändert … Neue Anforderungen an die Außendienstmitarbeiter:innen kamen hinzu, auch aufgrund der technischen Neuerungen. Die COVID-19-Pandemie stellte zudem eine große Zäsur in Bezug auf den Außendienst dar. Wie sieht es heute aus?
„Was sich auf jeden Fall nicht geändert hat, ist die Tatsache, dass es in den Pharmaunternehmen Menschen braucht, die hinausgehen und die Ärzt:innen betreuen. Aber wie hierbei gearbeitet wird, das hat sich verändert“, betont Dominik Flener, Geschäftsführer der HealthCareConsulting Group (www.hccgroup.at). Er weist darauf hin, dass sich die Pharmaunternehmen natürlich bewusst sind, dass der Außendienst eine ihrer teuersten Ressourcen ist: „Daher kommt auch immer wieder die Überlegung, den Außendienst zu verkleinern oder ganz abzuschaffen.
Doch dann stellt man fest: Man kann die AD-Mitarbeiter:innen nicht ersetzen, auch nicht durch die innovativen digitalen Tools, die uns heute zur Verfügung stehen. Aber diese Tools können im Außendienst unterstützend eingesetzt werden. So fließen mittlerweile – und diese Entwicklung wurde durch die Situation während der Pandemie deutlich beschleunigt – Video, Mail und Webinare in die Betreuung der Ärzt:innen durch den Außendienst ein. Die Mitarbeitenden sind multi- bzw. omnichannel unterwegs“, erklärt Flener. Die frühere Informationsexklusivität des Außendienstes über Folder, Veranstaltungen etc. besteht in seinen Augen heute nicht mehr, doch „der Außendienst ist ein fokussierter Kommunikationskanal der Unternehmen“.
Auch Nicole Kraule, MBA, Geschäftsführerin von pharma-education, Training und Consulting GmbH (www.pharma-education.at), berichtet, dass sich der Pharma-Außendienst durch die Pandemie sehr verändert habe. „Man darf zudem nicht vergessen, dass viele AD-Mitarbeiter:innen während der Pandemie freigestellt waren, die Zukunftsperspektiven waren ungewiss, was sich auch in sinkenden Zahlen jener, die zur Pharmareferentenprüfung angetreten sind, gezeigt hat. Doch nun ist ein Gegentrend bemerkbar, wenn auch noch immer nicht so viele die Prüfung absolvieren wollen wie vor der Pandemie.“
Damit die persönliche Ansprache, die sich viele Ärzt:innen wünschen (siehe dazu auch Das wünschen sich Ärzt:innen vom Pharma-Außendienst), bestmöglich gelingt, brauchen die AD-Mitarbeiter:innen vor allem eines: Empathie, unterstreicht Flener: „Der Außendienst muss sich fragen, wie er eine Beziehung zu dem jeweiligen Arzt, der jeweiligen Ärztin aufbauen kann. Dafür benötigt er Empathie, um herauszufinden, was sein Gegenüber braucht. Dies erfordert mehr zuhören, weniger senden. Die entscheidende Frage lautet: Was braucht mein Kunde / meine Kundin?“
Digitale Tools eröffnen dabei neue Möglichkeiten, um mit Ärzt:innen zu kommunizieren. „Natürlich ist die Veränderung des Außendienstes durch die Digitalisierung eine Challenge für die Unternehmen und die einzelnen Mitarbeiter:innen. Doch ich bin sicher, dass die digitalen Kommunikationskanäle auch im Bereich Außendienst in eine Standardnutzung übergehen werden und teilweise auch schon gegangen sind“, ist Flener überzeugt. Und er unterstreicht, dass jeder Kunde bzw. jede Kundin individuell angesprochen werden muss: „Manche Ärzt:innen bevorzugen digitale Kommunikationswege, andere den persönlichen Besuch des Außendienstes. Ich sage den Unternehmen immer, sie sollen aufhören zu glauben, Ärzt:innen seien nicht digital affin. Das kann man so verallgemeinernd nicht sagen. Auch hier gilt: Zuhören! Welchen Kanal bevorzugt der oder die Einzelne? Und über diesen wird er bzw. sie dann kontaktiert.“
Flener hält das Zuhören und das Eingehen auf die individuellen Bedürfnisse für die wesentlichen Aspekte des Beziehungsaufbaus zwischen Außendienst und Ärzt:innen. „Im Ergebnis heißt das für die AD-Mitarbeiter:innen, dass sie 40 Individualgespräche in der Woche führen sollten. Die Unternehmen dürfen hier aber nicht einfach erwarten, dass die Betreuung der Ärzt:innen individuell erfolgt, sondern müssen den Außendienst dabei unterstützen, wie das umgesetzt werden kann. Das bedeutet auch, den Mitarbeiter:innen die Freiheit zu geben, die Digitalisierung individuell zu leben – so, wie es der- bzw. diejenige selbst und seine Kund:innen brauchen“, appelliert er an die Pharmafirmen.
Auch für Wolfgang Schober, Projektleiter und Lehrbeauftragter von Pharm Ref Consulting (www.prc.co.at), hat die digitale Transformation, die nach wie vor in vollem Gange ist, den Pharma-Außendienst verändert. „Der Pharmareferent bzw. die Pharmareferentin wird zunehmend mehr zum Berater / zur Beraterin für Problemlösungen und stellt ein wesentliches Bindeglied zum Unternehmen dar, für das er bzw. sie als Multichannel-Manager:in fungiert“, erläutert Schober. Das bedeutet für die AD-Mitarbeiter:innen, dass sie zunehmend mehr Managementaufgaben erfüllen müssen. „Die heutigen Pharmareferent:innen müssen selbstständige Analysen durchführen und aufbereiten – das bedeutet auch, dass die Unternehmen dem Außendienst mehr Eigenverantwortung zugestehen müssen“, so Schober. Dafür ist es in seinen Augen erforderlich, dass die Unternehmen die AD-Mitarbeiter:innen beim Ausbau ihrer digitalen Expertise unterstützen, denn wie Flener ist auch Schober der Meinung, dass gerade jüngere Ärzt:innen durchaus digital affin sind.
Dennoch erfordert es in seinen Augen weiterhin die klassischen Fähigkeiten im AD-Bereich, die für ihn folgende sind: Vertrauen aufbauen, Bedürfnisse erkennen, Kommunikationsfähigkeit und Empathie. „Auffällig ist, dass die Datenanalyse immer wichtiger wird, um Besuchszeiten zu optimieren, indem die Kommunikation immer zielgerichteter erfolgt“, betont Schober. Seiner Ansicht nach muss daher jede:r Pharmareferent:in mittlerweile auch Key Account Manager:in sein.
Ähnlich wie Flener sieht auch Kraule das Zuhören Können als wichtige Kommunikationskompetenz der AD-Mitarbeiter:innen: „Gespräche leiten und lenken zu können, Organisationstalent und natürlich ein adäquates Auftreten sind weitere wichtige Fähigkeiten, die man im Außendienst braucht. Dazu kommt noch ein hohes Maß an Selbstmotivation, denn im Außendienst ist man viel alleine unterwegs und ist bei Erfolgen und Misserfolgen daher ebenfalls auf sich allein gestellt.“ Zudem weist Kraule darauf hin, dass Pharmareferent:innen nicht nur kaufmännisches Denken mitbringen müssen, sondern – gerade in forschenden Pharmaunternehmen – auch wissenschaftliche Informationen verstehen, aufbereiten und weitergeben können müssen.
Ebenfalls eine Veränderung im Bereich Außendienst ist laut Flener das engere Zusammenspiel von Sales und Medical. Als Beispiel nennt er die Abstimmung mit den Medical-Science-Liaison-Manager:innen, kurz MSL, und weist zudem auf die Verknüpfung von Sales mit Marketing sowie mit der Geschäftsführung etc. hin: „Der Außendienst muss seine Kommunikation nahezu mit allen anderen Abteilungen eines Pharmaunternehmens abstimmen. Der Außendienst hat somit heute viel mehr Mitstreiter:innen in der Ärztekommunikation als früher. Damit müssen die AD-Mitarbeiter:innen umgehen lernen und ihr Mindset entsprechend ändern.“
Die Unternehmen müssen sich laut Flener auch die Frage stellen, wofür sie den Außendienst wirklich brauchen. „Dann werden sie feststellen, dass die Ärzt:innen – und damit auch die Firmen selbst – den Außendienstmitarbeiter bzw. die Außendienstmitarbeiterin als Navigator:in durch die breiter gewordene Kommunikation benötigen, als Guidance für die Ärzt:innen, indem der Außendienst ihnen aufzeigt, wo sie benötigte Informationen finden“, sagt Flener, der davon überzeugt ist, dass diese Entwicklung es erfordert, dass sich AD-Mitarbeiter:innen verstärkt mit gesundheitspolitischen Strukturen beschäftigen.
Dass dem so ist, befürchten durchaus manche AD-Mitarbeitende. Doch so pauschal könne man das nicht sagen, meint Flener: „In wissenschaftlich fokussierten Indikationsbereichen werden in Zukunft vermehrt die MSL-Manager:innen das Spiel machen, also dort, wo fachlicher Austausch etc. im Vordergrund steht. Zu Kongressen reisen daher auch zunehmend eher MSL- statt AD-Mitarbeiter:innen.“ Anders sieht es seiner Ansicht nach in jenen Indikationen aus, in denen es ein starkes Konkurrenzfeld gibt: „Hier punktet sowohl im Spital als auch im niedergelassenen Bereich der Außendienst, wobei die wissenschaftlichen Anforderungen an den Außendienst durchaus steigen.“ Flener ist generell der Auffassung, dass aus Industriesicht aufgrund der rechtlichen Bestimmungen natürlich die Trennung Außendienst – MSL vorhanden sein muss, doch „den Ärzt:innen ist es letztlich egal, aus welcher Abteilung sein:e Ansprechpartner:in kommt. Ihnen ist wichtig, dass sie die Informationen erhalten, die sie brauchen, und dass sie möglichst nur eine:n Ansprechpartner:in haben und nicht fünf …“
Auch Schober betont, dass die beiden Berufsbilder sehr klar definiert sind und „Verdrängungsängste“ daher unbegründet seien: „MSL-Manager:innen sind zuständig für Forschungsergebnisse, z.B. Phase-III-Studien und Off-Label-Indikationen, dürfen aber kein Marketing und keine Werbung betreiben. Pharmareferent:innen sind zuständig für Beratung zu Produkten, Produktpräsentationen etc. und sind daher ein wichtiger Bestandteil der Arzneimittelsicherheit, denn sie sind die Ersten, die von unerwünschten Wirkungen erfahren. Daher sind sie unersetzlich für Pharmaunternehmen“, sagt Schober und hebt hervor, dass 80% der Ärzt:innen mit Pharmareferent:innen kommunizieren wollen, denn „Pharma-Außendienstmitarbeiter:innen sind keine Klinkenputzer, sondern wertvolle Gesprächspartner:innen für die Ärzt:innen!“
Kraule hält die Angst vor Verdrängung durch MSL aufseiten des Außendienstes ebenfalls für unbegründet: „In dem Moment, in dem ein:e MSL-Manager:in über Produkte informieren wollen würde, bräuchte er/sie die Qualifikation eines Pharmareferenten / einer Pharmareferentin. Das heißt, das, was der Außendienst macht, ist rechtlich Personen mit einer Pharmareferentenqualifikation vorbehalten.“
Für Flener sieht die Zukunft des Pharma-Außendienstes so aus, dass es eher Prelaunch- und Postlaunch-Teams geben wird, die mit AD- und MSL- sowie mit Mitarbeiter:innen anderer Abteilungen (Market Access, Marketing etc.) besetzt sein werden: „Dabei müssen die Unternehmen genau herausarbeiten, wie hier die Schnittstellen funktionieren, wie die Übergabe von Pre- zu Postlaunch-Team erfolgt etc.“ Das klare Ziel dabei muss seiner Ansicht nach lauten: „One face to all customers“, also ein:e Ansprechpartner:in für jeden Arzt / jede Ärztin. Zudem betont Flener: „Trotz aller KI- und anderer technischer Innovationen werden Pharmaunternehmen weiterhin den Außendienst brauchen, denn die persönliche Ansprache ist durch nichts zu ersetzen. KI-Tools können AD-Mitarbeiter:innen aber unterstützen! So kann beispielsweise bereits jetzt ChatGPT als Inspiration beim Finden von Gesprächsthemen und Argumentationslinien etc. eingesetzt werden.“ Auch Kraule sieht KI-Tools wie ChatGPT als hilfreiche Unterstützung für den Außendienst und unterstreicht ebenfalls, dass nichts über die persönliche Ansprache geht: „Viele Ärzt:innen freuen sich über kompetente Ansprechpartner:innen. Aber wie viele Ärzt:innen würden sich für einen Chatbot Zeit nehmen?“
Schober sieht dies ähnlich: „Die technischen Entwicklungen werden rasant weitergehen und die KI-Möglichkeiten werden ausgeschöpft werden – aber unterstützend, nicht anstatt. Der Außendienst wird daher in Zukunft verstärkt digitale Tools wie Webinare einsetzen und auch vermehrt selbst Vorträge halten. Auch die Analyse wird ein zunehmend wichtiger Teil seines Aufgabenfeldes werden, da er damit wichtige Informationen für gezieltere und effizientere Marketingstrategien liefern kann.“ Big Data und Analysetools werden laut Schober dazu führen, dass die Kommunikationsstrategien immer individueller entwickelt werden können, bis „der Außendienst wirklich mit jedem Arzt, jeder Ärztin individuelle Gespräche führt. Hierbei müssen die Unternehmen ihre AD-Mitarbeiter:innen unterstützen, um auch jene zu integrieren, die nur noch 10 bis 15 Jahre Berufsleben vor sich haben“, meint Schober und appelliert an die Firmen, dem Außendienst zu vermitteln, dass er weiterhin ein wichtiges Tool jedes Pharmaunternehmens bleiben wird.
Nicht voraussehbar ist laut Schober, wie sich die regulatorischen Rahmenbedingungen in zehn Jahren verändert haben werden, aber: „Auf jeden Fall gilt, dass Unternehmen sich und ihre Teams darauf einstellen müssen, dass es zu Veränderungen kommen wird. Der Datenschutz beispielsweise wird ein extrem wichtiges Thema sein.“
Kraule ist der Meinung, dass gerade die großen Unternehmen in zehn Jahren andere technische Möglichkeiten im Bereich Außendienst einsetzen werden als heute und denkt dabei an Tools, die z.B. Gesprächsleitfäden noch konkreter vorbereiten können. „Doch es führt kein Weg an den Pharmareferent:innen vorbei, KI und andere technische Möglichkeiten können nur unterstützend eingesetzt werden“, betont auch sie noch einmal.
Flener gibt im Hinblick auf die Zukunft zudem zu bedenken, dass die Zeit der Ärzt:innen nicht mehr werden wird: „Das bedeutet, es braucht extrem gut geschulte Mitarbeiter:innen, die den Ärzt:innen durch ihre Kommunikation einen persönlichen Relevanzgewinn bieten.“ Dazu gehört seiner Meinung nach auch, dass sich die AD-Mitarbeiter:innen die Frage nach ihrer eigenen Relevanz stellen: „Der Außendienst sollte sich fragen: Mache ich noch einen Unterschied, schaffe ich einen Mehrwert – für die Ärzt:innen, für das Unternehmen? Diese Frage gilt es in den Außendienstteams zu diskutieren. Daraus kann sich eine Vision für den Außendienst entwickeln – und eine solche brauchen die Pharmaunternehmen unbedingt, um fit für die Zukunft zu sein“, so Flener abschließend.