Seit Juni 2017 ist Dr. Marie-Hélène van de Rijdt Geschäftsführerin von Vertex Pharmaceuticals Österreich. Das 1989 gegründete globale Biotechnologieunternehmen beschäftigt sich mit der Erforschung einer seltenen Erkrankung, der zystischen Fibrose (CF; auch Mukoviszidose genannt).
„In Österreich sind rund 800 Patienten von dieser Stoffwechselerkrankung betroffen. Vertex hat sein Unternehmensziel der Heilung der CF gewidmet“, erläutert Van de Rijdt. Weit mehr als die Hälfte der Mitarbeiter von Vertex ist daher im Bereich Research & Development beschäftigt, die Firma reinvestiert 86% ihres Gewinns in die Forschung.
Vertex hatte in den letzten Jahren durchaus auch gute Forschungsergebnisse in anderen Sparten, z.B. Onkologie, hat diese jedoch an andere Unternehmen weitergegeben, um sich ausschließlich auf die zystische Fibrose zu konzentrieren.
Ursache der zystischen Fibrose ist eine Störung des CFTR (Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator). Dadurch werden unter anderem Chlorid-Ionen nicht richtig aus der Zelle hinaus- bzw. hineintransportiert. Es kommt zu einer multisystemischen Erkrankung, die vor allem die Lunge, aber auch den Magen-Darm-Trakt, die Leber und die Bauchspeicheldrüse betrifft. Der beeinträchtigte Ionentransport führt zu einem reduzierten Wassertransport in den betroffenen Geweben und damit zu einer Verdickung des Schleimes. Der zähe Schleim kann dann beispielsweise in der Lunge und den Atemwegen nicht mehr richtig abtransportiert werden und begünstigt so die Ansiedelung von Bakterien, was wiederum zu Infektionen bzw. chronischen Entzündungen führt – ein Teufelskreis. Letztendlich führt meist ein Lungenversagen zum Tod der Patienten.
Bis die ersten Substanzen entwickelt wurden, die an der tatsächlichen Ursache der Erkrankung ansetzen, konnte nur symptomatisch behandelt werden, das heißt: Antibiotika, Atemübungen, Physiotherapie, Verabreichung schleimlösender Präparate oder auch Medikamente, die den Magen-Darm- Trakt unterstützen, um nur einige zu nennen. „Dadurch nimmt die Therapie der zystischen Fibrose mehrere Stunden täglich in Anspruch! Uns ist es gelungen, die erste – und bisher einzige – kausale Therapie zu entwickeln, die zusätzlich zur begleitenden symptomatischen Therapie eingesetzt wird. Die Substanzen setzten direkt am CFTR-Protein an und verbessern den Chlorid-Ionen-Transport. Bisher wurden zwei unserer Präparate zugelassen und befinden sich in Österreich in der Gelben Box“, so Van de Rijdt.
Die Lebenserwartung liegt nun bei 40 bis 45 Jahren; seit 1999 konnte sie durch verschiedene verbesserte Therapiemöglichkeiten um zehn Jahre verlängert werden.
Für das nächste Jahr erwartet Vertex die EU-Zulassung für eine neue Kombinationstherapie sowie die Erweiterung einiger Produkte für jüngere Patienten. „Zudem befinden sich sogenannte Next-Generation- Moleküle in der Pipeline, die in den nächsten Jahren einen weiteren Meilenstein in der Therapie darstellen werden. Die kontinuierliche positive Entwicklung der Therapieoptionen geht also weiter“, freut sich die Geschäftsführerin.
Da es sich bei der zystischen Fibrose um eine vererbte genetische Erkrankung handelt, die sich bereits bei Neugeborenen manifestieren kann, müssen auch Studien mit Kindern durchgeführt werden. „Die Patienten, die in manche Studien eingeschlossen sind, sind Kleinkinder (Alter 2+). Dass wir die Zulassung für solche Studien erhalten, spricht für die Seriosität, die Qualität und das Know-how von Vertex. Es ist schön, zu sehen, wenn diese Therapien dann auch auf den Markt kommen: Unser Präparat Kalydeco® ist für Kinder ab 2 Jahren zugelassen“, berichtet Van de Rijdt.
Das Thema Medikamentenkosten sieht die Vertex-Geschäftsführerin als „Dauerbrenner“ in Österreich, betont aber, dass beide Produkte des Unternehmens (Kalydeco® und Orkambi®) in den gelben Bereich des Erstattungskodex aufgenommen wurden. „Dies spricht für mich dafür, dass der Zugang für Innovationen gegeben ist. Einfach ist es allerdings nicht, wir haben nur eine befristete Aufnahme erhalten“, so Van de Rijdt weiter.
Generell würde sie eine Leistungsharmonisierung zwischen Spital und Primärversorgung für sinnvoll erachten. „Würden die Spitäler und der Hauptverband gemeinsame Interessen verfolgen, könnte man Spitalskosten und Medikamentenkosten gegenüberstellen. Das wäre für pharmakoökonomische Betrachtungen sehr hilfreich. Durch die Trennung der beiden Bereiche wird die Diskussion über Gesundheitsausgaben deutlich schwieriger“, führt Van de Rijdt aus.
Durch die kausalen Therapieoptionen seien z.B. Patienten mit zystischer Fibrose signifikant weniger im Spital, so die Geschäftsführerin weiter, dieser Kostenvorteil sei aber gegenüber dem Hauptverband nur sehr schwer darzustellen. Darin sieht sie auch eines der größeren Probleme des Gesundheitswesens in Österreich. Als Vorteil bewertet Van de Rijdt den offenen Zugang zu allen Stakeholdern: „Diese Dialogmöglichkeit ist in Österreich etwas ganz Besonderes, das man schätzen und erhalten sollte, um gemeinsam zum Wohle der Patienten weiterzuarbeiten.“
Als große Herausforderung der Zukunft sieht Van de Rijdt die langfristige Finanzierungsmöglichkeit eines Unternehmens, das sich einer seltenen Erkrankung widmet: „Die entscheidenden Fragen sind: Wie schnell können neuartige Therapien in einen Therapiealgorithmus aufgenommen werden? Wie schaffen wir es, eine neue – und teure – Therapie als State of the Art zu etablieren?“ Risk Sharing könnte ihrer Meinung nach ein Modell der Zukunft sein. Auch für diesen Aspekt hält Van de Rijdt eine Betrachtung der Gesamtkosten für sinnvoll – so sollte beispielsweise die Arbeitsfähigkeit eines onkologischen Patienten oder eines CF-Patienten ebenfalls berücksichtigt werden.
Ein großes Anliegen ist der Vertex-Geschäftsführerin eine Veränderung hinsichtlich der mangelnden sozialen Unterstützung der CF-Betroffenen. Diese bekommen nur in seltenen Fällen Pflegegeld, da sie nicht als behindert oder pflegebedürftig eingestuft werden. Auch Arbeitslosenunterstützung erhalten die wenigsten, da viele Patienten nie arbeitsfähig waren. „Es ist für Jugendliche mit zystischer Fibrose bereits sehr schwierig, eine Ausbildung zu absolvieren. Die Patienten wissen nicht, wie lange sie leben werden, sie leben daher von einem Tag auf den anderen und planen nicht weit in die Zukunft. Diese enorme psychische Belastung muss man sich vor Augen halten“, betont Van de Rijdt. Hier würde sie sich mehr Sozialleistungen für die Betroffenen wünschen. „Die Patientenorganisationen bemühen sich sehr um eine Verbesserung der Situation von Patienten und deren Familien. Da aber bei seltenen Erkrankungen die Zahl der Betroffenen gering ist, werden diese Forderungen leider oft überhört“, fasst sie die aktuelle Situation zusammen.
Generell wünscht sich Van de Rijdt, dass weniger über Medikamentenkosten und mehr über die Förderung der Gesundheit geredet wird: „Durch Ernährung und Bewegung könnten wir so vielen Erkrankungen vorbeugen. Die entscheidende Frage ist doch: Wie können wir unsere Kinder und uns selbst so lange wie möglich fit halten? Hierzu haben wir bereits so viel Wissen erworben – wir brauchen aber endlich Modelle, um dieses Wissen verstärkt in die Tat umzusetzen!“