Wie verändert KI den Bereich Medical Affairs?

Medical Affairs hat sich neben Forschung & Entwicklung und Marketing/Verkauf als „dritte Säule“ der Pharmabranche etabliert. Ihr Aufgabengebiet konzentriert sich nicht mehr nur auf die Unterstützung von Marketing und Vertrieb aus medizinischer Sicht, sondern spielt eine ­entscheidende Rolle bei der strategisch-wissenschaftlichen Kommunikation mit der medizinischen Gemeinschaft. Durch die ­Koordinierung von firmeninternen Teams mit den Anforderungen externer Interessengruppen kann Medical Affairs der kommerziellen Abteilung eines Pharmaunternehmens dabei helfen, wissensbasierte Entscheidungen schneller und präziser zu treffen. Medical Affairs hat sich also von der reinen Informationsvermittlung zu einem marktorientierten strategischen Input für die Arzneimittelentwicklung und das Portfoliomanagement entwickelt.1

KI und Medical Affairs

Angesichts des breit gefächerten Aufga­benbereichs von Medical Affairs sind ­technologische Hilfsmittel gefragt, um den Informationsstrom aus Quellen wie wissenschaftlicher Literatur, medizinischen Aufzeichnungen, Onlineforen, sozialen Medien und Unternehmensdaten zu bewältigen. Künstliche Intelligenz (KI) und natürliche Sprachverarbeitung (Natural Language Processing – NLP) können strukturierte und verwertbare Daten aus diesen komplexen Quellen extrahieren, wichtige Fakten und Zusammenhänge erkennen und Zusammenfassungen des Inhalts erstellen, damit Medical-Affairs-Mitarbeiter:innen das finden, was sie wirklich brauchen.2

Real-World-Daten: Mit dem Aufkommen elektronischer Gesundheitsakten, Wearables und anderer vernetzter Geräte stehen riesige Mengen an Patientendaten für die Analyse zur Verfügung. Allerdings sind diese Daten oft fragmentiert und schwer zugänglich, was es schwierig macht, aussagekräftige Erkenntnisse zu gewinnen. KI-Algorithmen können diese Daten ordnen und analysieren, um Muster und Trends zu erkennen, die für Menschen nicht sofort ersichtlich sind. KI hat zudem das Potenzial, Medical-Affairs-Teams in der Zusammenarbeit mit Pharmakovigilanz-Abteilungen zu unterstützen. Algorithmen können helfen, potenzielle Sicherheitsprobleme zu erkennen, unerwünschte Ereignisse zu überwachen und die Einhaltung von Vorschriften zu gewährleisten. Dabei kann KI nicht nur bereits vorhandene Unterlagen analysieren, sondern auch jeweils neu erscheinende Literatur in Echtzeit überprüfen, um immer auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Dies kann zudem bei der Planung klinischer Studien helfen, geeignete Patientenpopulationen identifizieren und die Produktentwicklung und -vermarktung unterstützen.2

Literaturrecherche und Evidenz­generierung
Eine der Aufgaben von Medical Affairs ist es, eine Vielzahl an Publikationen unterschiedlicher Qualität, Quellen, Methodik, Ergebnisse und Schlussfolgerungen zu bewerten, um wichtige Referenzen für medizinische Aussagen zu identifizieren. Dabei können NLP-Techniken eingesetzt werden, um spezifische Informationen aus unstrukturierten medizinischen Texten wie klinischen Studien, Patientenakten oder wissenschaftlichen Artikeln zu extrahieren. Die gewonnenen Datensätze können automatisch in vorher festgelegte Kategorien – z.B. Studientyp, Ergebnisvariablen, geografische Lage etc. – eingeordnet werden, während doppelte Referenzen gelöscht werden. Wenn Daten in verschiedenen Literaturrecherchen wiederverwendet werden, wird die Zeit für die Datenextraktion insbesondere im Vergleich zur manuellen Extraktion verkürzt, da doppelter Aufwand vermieden wird.3

Überwachung der medizinischen Fachliteratur in Echtzeit
KI-gestützte Software zur Literaturüberprüfung kann aber auch neu veröffentlichte Fachliteratur automatisch finden, importieren und kategorisieren.3 Wenn beispielsweise neue Erkenntnisse über die Wirksamkeit eines Produkts auftauchen, können diese zu einem sprunghaften Anstieg von Anfragen medizinischer Fachkräfte über Medical Science Liaisons führen. Dann ist es nötig, sich schnell einen Überblick über die neuesten Forschungsergebnisse für den Therapiebereich des jeweiligen Produkts zu verschaffen und jene herausfiltern, die sich beispielsweise auf die Wirksamkeit konzentrieren. Dazu können Large Language Models (LLM) wie ChatGPT genutzt werden, um rasch Tausende Dokumente zu prüfen und relevante Inhalte zu extrahieren.4 Durch die kontinuierliche Überwachung von Fachliteratur, Zulassungsupdates und anderen öffentlichen Nachrichtenquellen kann KI Echtzeitwarnungen zu neuen Trends, Sicherheitssignalen oder Aktivitäten von Mitbewerbern liefern. Patientenforen und soziale Medien wiederum können von NLP-Algorithmen im Hinblick auf unerwünschte Ereignisse und Sicherheitssignale durchforstet werden. So können Medical-Affairs-Teams in der ­Pharmakovigilanz unterstützt werden, über ­Entwicklungen in ihrem Bereich informiert bleiben und gegebenenfalls proaktive Maßnahmen etwa zur Gewährleistung der Patientensicherheit ergreifen.3

Chatbots: Ein weiterer Bereich, in dem Medical-Affairs-Teams auf KI zurückgreifen können, ist die Einbindung und Führung der Patient:innen durch die Gesundheitsversorgung. KI-gesteuerte Chatbots und virtuelle Assistenten können Fragen in Echtzeit beantworten, personalisierte Unterstützung bieten und die Fernüberwachung/Telemedizin erleichtern.2 Auch in der Kommunikation mit medizinischen Fachkräften oder anderen externen Stakeholdern können diese Tools Routineanfragen bearbeiten und bei entsprechender Einhaltung der Vorschriften und Validierung Zeit sparen, damit sich Medical-Affairs-Mitarbeiter:innen auf komplexere Bedürfnisse konzentrieren können.3

Vorhersagemodelle
Im Bereich Health Economics and Outcomes Research (HEOR) als Überlappungsbereich von Medical Affairs kann KI anhand von ­Simulationen Kostenwirksamkeits- und ­vergleichende Wirksamkeitsanalysen unterstützen, um die Preis- und Erstattungsentwicklung auf der Grundlage verschiedener Produktprofile zu untersuchen. So können Medical-Affairs-Teams gezielte Strategien und Maßnahmen priorisieren und den Wert ihrer Produkte für Kostenträger und Gesundheitssysteme aufzeigen. Schließlich kann KI historische Patientendaten, Ergebnisse klinischer Studien und andere Erkenntnisse auch nutzen, um Behandlungsreaktionen und -resultate vorherzusagen. Durch die Berücksichtigung einer Vielzahl von Faktoren wie Patientencharakteristika, Krankheitsverläufe und Behandlungsschemata können KI-Modelle somit Forscher:innen helfen, fundierte Entscheidungen über Therapie- und Pflegeoptionen zu treffen.3

Zulassungserweiterung: Darauf basierend können KI-Algorithmen auch Patient:innen finden, die am ehesten auf eine Behandlung ansprechen, und so die Patientenrekrutierung für klinische Studien und das Ermitteln von Studienstandorten erleichtern. Damit können Studien effektiver werden und das Risiko für die Patient:innen kann minimiert werden. Ähnlich dazu kann KI auch genutzt werden, um festzustellen, ob ein bestimmtes Medikament bei weiteren Patientengruppen neben der ursprünglichen Zulassung wirksam sein könnte. So können Möglichkeiten für erweiterte Indikationen aufgedeckt werden, für die ein Wirkstoff noch geeignet sein und zugelassen werden könnte.5

Resümee

Medical Affairs kann besonders von den Vorteilen von KI profitieren. Das Sammeln und Auswerten riesiger Datenmengen aus beliebigen Quellen kann genutzt werden, um einen Katalog aus medizinischer Literatur aufzubauen, zu ordnen und auf dem neuesten Stand zu halten. Damit können Routineanfragen von Ärzt:innen und Patient:innen bearbeitet, Prognosen zu neuen Studien und Behandlungsergebnissen erstellt und sogar neue Zulassungsmöglichkeiten gefunden werden.