Ende Februar 2020 ging eine Pressekonferenz in der aufkommenden Corona-Panik nahezu komplett unter. Dabei wurde dort eine Idee präsentiert, die helfen sollte, in Wien die damals befürchteten italienischen Verhältnisse zu verhindern. Der Ärztefunkdienst 141 der Ärztekammer für Wien startete ein „Mobile Home Sampling Team“, das die Erstdiagnose und die Erstbetreuung sowie alle weiteren nötigen Hausbesuche von Corona-Verdachtsfällen in Wien durchführt – 24 Stunden täglich, 7 Tage die Woche. Patienten blieben zu Hause, niedergelassene Ärzte wurden geschützt. Präsentiert wurde das Konzept von den Spitzen der Ärztekammer, Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) und dem neuen Chefarzt der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), Dr. Andreas Krauter, MBA. Wirklich medial wahrgenommen wurde auch die Einbeziehung der ÖGK nicht. Dabei war das durchaus überraschend, denn eigentlich hätte man Krauter als Chefarzt andere Aufgaben zugeschrieben.
Als leitender Arzt der ÖGK und Verantwortlicher für die Medizinischen Dienste ist er im Grunde zuständig für Bewilligungen – von bestimmten Medikamenten, Verbandsstoffen, Therapien und Diagnoseverfahren. Ärzte des Medizinischen Dienstes überprüfen zudem, ob ein Krankenstand (noch) gerechtfertigt ist, und kontrollieren, ob finanzielle Mittel auch sorgfältig und effizient eingesetzt werden. „Durch seine Kontrollaufgaben wahrt der Medizinische Dienst die Interessen der Solidargemeinschaft der Versicherten, die mit ihren Beiträgen die Krankenversicherung finanzieren“, heißt es auf der Website der ÖGK.
Doch Krauter denkt weiter – das hat auch die Beteiligung am Wiener Modell zu Beginn der Pandemie gezeigt. Es ist nicht das erste Mal, dass der gelernte Internist und studierte Krankenhausmanager ungewöhnlich in Erscheinung tritt. Von 1999 bis 2010 war er ärztlicher Direktor im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz. In diese Zeit fiel auch die Entstehung der Vinzenz Gruppe, die heute mehrere Ordensspitäler umfasst. Krauter war, wie er erzählt, auch in die Transformation eingebunden. Was er nicht erzählt: In seiner Zeit wurde im Spital in Linz das „Vinzenzstüberl“, eine „niederschwellige soziale Einrichtung“, geschaffen. Für Obdachlose, Haftentlassene, Bedürftige. Es gibt Essen, Kleidung, Platz zum Ausruhen und die Vorteile eines Spitals. Und einmal in der Woche hielt Krauter dort als ärztlicher Direktor selbst Sprechstunden ab.
Den Medizinischen Dienst will er künftig ebenfalls breiter sehen und bei der Frage ansetzen, was die Versicherten wirklich brauchen. Statt Krankenkasse will er den neuen Namen – Gesundheitskasse – leben. „Der Medizinische Dienst sieht sich als beratender und unterstützender Partner und mehr im Servicebereich. Das geht ein Stück weg von der bisher auf Kontrolle reduzierten Rolle. Wenn man eine Therapie nicht bewilligt, muss man auch Alternativen aufzeigen und überlegen, was man stattdessen anwendet“, betont er. Nachsatz: „Die Entwicklung nur aus dem ökonomischen Blick zu steuern, kann es allein nicht sein.“ Man müsse den zukünftigen Herausforderungen bei neuen Medikamenten und im Arbeitsunfähigkeitsmanagement gerecht werden, aber eben auch Angebote für Versicherte machen. Dabei gehe es um die Beratung, welche Hilfe jemand braucht, um gesund zu werden, und wie man die Person am besten unterstützen kann.
„Wir sind dabei kein Konkurrenzunternehmen zum niedergelassenen Arzt. Dieser hat die primären Aufgaben am Patienten. Wir sehen uns aber in vielen komplexen Fragen als Ansprechpartner für die Vertragspartner und unsere Versicherten – auch bei Medikamenten“, erklärt Krauter die Philosophie. Die Vertragspartner seien klar für Diagnose, Therapie und eventuell auch Rehabilitation zuständig. „Wir sehen unseren Ansatz erweitert um Möglichkeiten wie soziale Absicherung und die Frage, wie lange jemand im Krankenstand ist, Krankengeld benötigt und welche Möglichkeiten es gibt, ihn zu unterstützen.“ Das sei auch der Hintergrund dafür gewesen, warum man in der Pandemie Genehmigungen ausgesetzt habe. „Wir sehen auch ein Stück unserer Aufgaben im Public-Health-Gedanken und im Sinne der Prävention.“
Krauter kommt aus der Generation der „Babyboomer“ und hat von 1979 bis 1985 Medizin studiert. Danach arbeitete er als Internist im Spital, war als Notarzt unterwegs und hat, wie er berichtet, als junger, motivierter Arzt in der Phase der Ärzteschwemme und Ausgabensteigerungen im System die ersten Kostendebatten und Einschnitte miterlebt. „1995 habe ich mir gedacht: Wie kann es sein, dass Menschen, die nicht am Krankenbett arbeiten, Entscheidungen treffen, welche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden?“ Daraufhin habe er sich entschieden, den Krankenhausmanagement-Lehrgang an der Wirtschaftsuniversität zu absolvieren, um „besser zu verstehen, was da passiert ist“. 2000 wurde er ärztlicher Direktor im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz – „Ordenshäuser haben schon früh Entwicklungen erkannt“, sagt er. Ab 2010 übernahm Krauter auch koordinierende Aufgaben in der Vinzenz Gruppe. „2013 wurde ich angefragt, in Niederösterreich eine Region mit fünf Kliniken – das Mostviertel – zu übernehmen.“ 2020 folgte dann der Einstieg in die ÖGK.
„Die Herausforderung war, eine Aufgabe zu übernehmen, die sich über ganz Österreich erstreckt. Dazu kommt die sehr spannende Fusionssituation mit all ihren Auswirkungen. Das ist immer eine Herausforderung für die Beschäftigten. Es ist aber auch spannend, wie wir das künftig gestalten werden und wie wir ein gleichwertiges Angebot für die Versicherten zur Verfügung stellen können“, so Krauter. Er wolle helfen, moderne, gute und qualitativ hochwertige Lösungen anzubieten: „Wir müssen auch sehen, wie wir die beste Gesundheitsversorgung sicherstellen.“ Ziel sei, in einigen Jahren dafür auch eine entsprechende Abteilungsstruktur zu haben und gleichzeitig die regionale Versorgung zu organisieren.
„Derzeit sehen wir uns an, was wir in allen Bundesländern sofort gemacht haben und wo wir für die Zukunft bei wichtigen Entwicklungsfeldern Schwerpunkte setzen wollen“, schildert Krauter die Zusammenführung der Länderkassen in der ÖGK. Man habe zwar keine föderale Struktur mehr, müsse aber dennoch zur Versorgung der Bevölkerung föderal bleiben und auf regionaler Ebene Beratung anbieten. „Es gibt zudem Bereiche, die wir als Kernaufgabe identifizieren und wo wir intern und extern auch als Experten beraten.
“Das habe sich nicht nur in der Pandemiebewältigung gezeigt, sondern gelte auch für das Thema Impfen: „Wir sehen, dass es gut ist, wenn das zentral gesteuert wird.“ Die ÖGK sei bereits in Impfaktionen eingebunden. In Wien laufen beispielsweise fünf Impfstraßen der ÖGK. In Kärnten organisiert man überhaupt über 100.000 der Impfungen. Hier sieht man Krauters Ansicht nach auch den ersten Change-Prozess: „Der Medizinische Dienst testet auch selbst alle Beschäftigten in der ÖGK laufend.“ Hier zeige sich die Veränderung hin zu einer aktiven Rolle: „Wir sind Gesundheitsunternehmen und nicht nur Krankenkasse.“
Forciert habe man während der Corona-Zeit elektronische und telefonische Krankschreibungen und Videovisiten. Hier werde man sicherlich überlegen, welche Erfahrungen man davon nutzen könne. Man plane etwa das jährliche Durchimpfen der Bevölkerung gegen das Coronavirus für die Zukunft. „Die Geschichte wird 2021 nicht zu Ende sein. Das Durchimpfen der Bevölkerung wird zur Routine werden. Wir werden uns jährlich ein Mal, vielleicht sogar zwei Mal gegen Corona impfen lassen müssen“, ist der Leiter des Medizinischen Dienstes überzeugt. Um die vielen Impfungen bewältigen zu können, werde es eine Vielzahl von Impfstellen, und zwar als Dauereinrichtungen, geben müssen, wirft er einen Blick in die Impfzukunft. „Ich könnte mir Impfstellen in Städten und Impfbusse am Land vorstellen, die etwa zu Feuerwehrfesten und anderen gut besuchten Events fahren, um der Bevölkerung das Impfen möglichst nahezubringen“, überlegt Krauter. „Wir brauchen einen Schulterschluss von Bund, Ländern und Sozialversicherung, um ein permanentes Netzwerk für die Bevölkerung zu schaffen, das sowohl an den urbanen Bereich als auch an die Peripherie angepasst ist.“