Keine „Modeerscheinung“, sondern ein „ernstes Problem: Psychiater Michael Musalek lässt mit aktuellen Daten zur psychischen Gesundheit aufhorchen und plädiert für mehr Prävention.
Mehr als 40 Prozent der Erwachsenen in Österreich weisen Anzeichen des Burn-Out-Syndroms auf. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle wissenschaftliche Untersuchung. Es handle sich hier um keine „Modeerscheinung“, sondern ein ernst zu nehmendes Problem, kommentierte der Wiener Psychiater Michael Musalek gegenüber der APA kürzlich diesen aktuellen Befund. Anlass war ein Symposium unter dem Titel „Burn-Out – Modeerscheinung oder Volkskrankheit“, des Instituts für Sozialästhetik und Psychische Gesundheit der Sigmund Freud Privatuniversität gemeinsam mit dem Erwin Ringel Stiftungsfonds.
Musalek, nach vielen Jahren an der Spitze des Anton Proksch Instituts und nunmehr Leiter der Einrichtung an der Privatuniversität, weiter: „Burn-Out findet sich nicht unter den psychiatrischen Krankheitsdiagnosen. Der Grund dafür liegt darin, dass Burn-Out im Gesunden beginnt und in einem späteren Stadium zur Krankheit wird.“ Im internationalen Krankheits-Klassifizierungssystem ICD wird das Syndrom als ein Zustand aufgeführt, der schließlich zu einer vermehrten Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen führt.
Der leitende Psychologe am Anton Proksch Institut, Oliver Scheibenbogen, präsentierte bei der Veranstaltung die verlässlichsten Zahlen bezüglich der Verbreitung von Burn-Out in Österreich. Musalek: „Der Sozialpsychiater Johannes Wancata von der MedUni Wien hat eine große wissenschaftliche Studie zu den psychischen Erkrankungen in Österreich durchgeführt. Ein ‚Seitenarm‘, bei dem wir mitgearbeitet haben, war Burn-Out. Betroffene im Stadium 1 und 2 sind etwa gleich häufig. Acht Prozent der Menschen befinden sich im Stadium 3 und sind im Rahmen ihres Burn-Out bereits psychisch krank. Frauen und Männer sind etwa gleich häufig betroffen. Frauen kommen mit schweren Belastungen an sich besser zurecht als die Männer, haben aber häufig Doppelbelastungen.“
Im Stadium 1, noch ohne die Intensität einer psychiatrischen Erkrankung, kommt es vor allem zu einer Leistungsreduktion und zu Entfremdungstendenzen. „Man fühlt sich fremd gegenüber seinen Arbeitskollegen, gegenüber seiner Arbeit und schließlich gegenüber sich selbst. Betroffen sind oft die besonders Leistungswilligen, die besonders Genauen. Sie nehmen sich Arbeit nach Hause mit, die Freizeit wird immer ‚dünner‘“, sagt der Psychiater. Im Stadium 2 geht Burn-Out bereits mit körperlich objektiv nachweisbaren Veränderungen einher. Das sind vor allem erhöhter Blutdruck und Spannungszustände inklusive starker Gereiztheit infolge einer ständigen Überaktivierung des sympathischen Nervensystems. „In diesem Stadium wird oft versucht, mit ‚Alltagsdoping‘ über die Runden zu kommen. Da sind dämpfende Substanzen natürlich ‚optimal‘ – und der bei uns am leichtesten zugängliche ‚Tranquilizer‘ ist der Alkohol“, erklärt Musalek. Stadium 3 hat schließlich Krankheitsbedeutung, weil es zu starken und lang andauernden Erschöpfungszuständen kommt, die in schwere Depressionen übergehen können. „Diese Menschen leiden an allem, was wir mit ‚Losigkeit‘ verbinden – Freudlosigkeit, Schlaflosigkeit, Interesselosigkeit etc. Während in den ersten beiden Stadien vor allem Beratung und Coaching im Mittelpunkt der Betreuung stehen, sind im Stadium 3 oft Antidepressiva und Psychotherapie notwendig“, erklärt der Experte.
Und er hat noch einen entscheidenden Hinweis parat: Simple „Überarbeitung“ bedeutet noch kein Burn-Out. „Viel Arbeit allein führt nicht zum Burn-Out. Es ist das Fehlen von positiven Rückmeldungen, eine schlechte Arbeitsatmosphäre und empfundene unfaire Behandlung, die ursächlich beteiligt sind.“ (ehs/APA)