Volkswirtschaftsexperten erwarten durch die Corona-Krise ein Umdenken auch im Gesundheitswesen. Die Verlagerung von Produktionen zurück nach Europa und die Sicherung von Notkapazitäten werde aber mehr Geld kosten, sind sie überzeugt.
Politiker aber auch Pharmavertreter haben zuletzt gefordert, dass man Schritte setzen muss, um die Produktion aus Asien zurück nach Europa zu holen. Je größer der Schock sei, den die Krise auslöse, umso eher sei man tatsächlich geneigt, derartige Schritte zu setzen, sagt der aus Österreich stammende Wirtschaftsforscher Matthias Sutter im RELATUS-Gespräch. Sutter ist Direktor des Max Planck Instituts zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn und Professor für Experimentelle Wirtschaftsforschung an der Universität Köln und Universität Innsbruck. „Die Länge der Krise wird bestimmen, ob der Schock so groß ist, dass man darüber nachdenkt, in Europa die Produktion wieder großflächig aufzubauen. Das wird aber Geld kosten. Mit unseren Lebens- und Lohnstandards werden wir nicht so billig produzieren können, wie China.“ Soll heißen: der Preis für die wichtigen Güter wird steigen.
Stephan Schulmeister, Ökonom und Professor an der Universität Wien, sieht in der aktuellen Krise eine Chance für die Stärkung des Sozialstaats und die Umsetzung von Maßnahmen, die nach der Finanzkrise von 2008 verschlafen wurden. Besonders deutlich werde nun die Wichtigkeit eines guten Gesundheitssystems und der sozialen Absicherung durch den Staat. Für Länder wie die USA befürchtet Schulmeister diesbezüglich „das Schlimmste“, wie er im Gespräch mit der APA sagte. Populisten gewännen momentan nicht an Stärke, die Grundstimmung sei eher Zusammenhalt und Solidarität. Eine Mischung aus Hoffnung und Prognose sei die Erkenntnis, dass gemeinschaftliche europäische Lösungen mehr bringen als nationale Alleingänge und es zu einer „Renaissance des europäischen Sozialmodells“ kommt. Schulmeister ist überzeugt, dass es nach der Krise massive und langfristige Investitionen brauche. Aktuell müsse man versuchen, die Angst und Unsicherheit der Menschen sowie einen Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Unternehmenspleiten so gut wie möglich einzudämmen. Langfristig könne es eine Abkehr vom Neoliberalismus nur geben, wenn auch die Unternehmer erkennen, dass er ihnen zum Großteil nichts nütze. „Neoliberalismus nützt vordergründig den Finanzmärkten, nicht den kleinen Unternehmern“, ist Schulmeister überzeugt.
Der österreichische Verhaltensökonom Ernst Fehr von der Uni Zürich warnt in der „Neuen Zürcher Zeitung“ vor einer Krise, die noch größer als die Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren sein könnte. Das größte Problem der politischen Entscheidungsträger sei es, in diesem Zielkonflikt zwischen Gesundheitskosten und wirtschaftlichen Kosten die richtigen Entscheidungen zu treffen. Es sei auch eine „Frage der vernünftigen Politik, dass wir langfristig an Maßnahmen denken, wie wir wieder rauskommen aus der Krise“. Er verweist auf die „enormen wirtschaftlichen Kosten“ einer ein bis zwei Monate still stehenden Wirtschaft, die immer stärker zu Buche schlagen. „Die Einschränkungen werden ja akzeptiert, die meisten Menschen folgen diesen, aber ich weiß nicht, wie das ist, wenn wir eine Situation haben, wo das noch drei Monate andauert und die Leute auch bereits die ökonomischen Folgen zu spüren bekommen“, so Fehr. (rüm/APA)