Sehr zur Überraschung der Nationalratsabgeordneten hat Gesundheitsminister Rudolf Anschober am Donnerstag im Sozialausschuss das Thema Wirkstoffverschreibung in Diskussion gebracht und verwies auf Debatten in anderen Ländern. RELATUS-Recherchen zeigen, dass hinter den Kulissen ernsthaft über das Thema diskutiert wird.
Es müsse mit aller Kraft verhindert werden, dass aus der größten Gesundheitskrise seit Jahrzehnten eine soziale Krise hervorgehe, erklärte am Donnerstag Sozial- und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) im Sozialausschuss des Nationalrates. Im Gesundheitssektor sei es elementar, dass sich Europa im Hinblick auf die Entwicklung eines Impfstoffs gegen COVID-19 rechtzeitig Ressourcen sichere. Was die Arzneimittelstrategie angeht, so soll diese unter der deutschen Präsidentschaft ausgearbeitet und in den nächsten Monaten vorgelegt werden.
Und dann teilt der Minister dem NEOS-Abgeordnetem Gerald Loacker mit, dass es in einigen EU-Ländern Überlegungen gebe, mehr in Richtung Wirkstoffverschreibung zu gehen. Das Überraschende dabei: Loacker hatte gar nicht danach gefragt, bestätigt er im RELATUS-Interview und zeigt sich über die Antwort des Ministers überrascht. Er habe den Eindruck, dass Anschober das Thema von sich aus in Diskussion bringen wollte. Es sei jedenfalls wichtig, dass die Arzneimittelproduktion nicht gänzlich in andere Länder verlagert, die europäischen Standorte abgesichert und ein Frühwarnsystem in Bezug auf die Vorratshaltung eingerichtet und Lieferengpässe möglichst vermieden werden, sagte der Minister. Tatsächlich hört man sei einigen Tagen, dass das Thema im Gesundheitsministerium und auch der ÖGK diskutiert wird. In jedem Fall wolle Anschober ausloten, ob das umstrittene Thema eine Lösung für Probleme in der Arzneimittelversorgung sein kann.
Die Wirkstoffverschreibung ist vor einem Jahr vom Sprecher der Patientenanwälte in Diskussion und von der Apothekerkammer aufgenommen worden. In der Folge entwickelte sich ein wochenlanger Disput zwischen Ärzte- und Apothekerkammer. Anfang Juli 2019 hatte RELATUS über den Vorstoß der Apothekerkammer berichtet, das Apothekengesetz dahingehend ändern zu lassen, dass Apotheken bei Lieferproblemen eines Produktes auch ein wirkstoffidentes Produkt abgeben können. Der Widerstand von Ärzten und Pharmaindustrie kam umgehend.
Auch diesmal reagiert man in der Ärztekammer auf das Thema gereitzt. Der Wirkstoff von Originalpräparat und Generika sei zwar völlig ident, Unterschiede gibt es aber in der Füllstärke und den Zusätzen, sagt Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres. Er vermutet hinter dem Vorstoß vielmehr pekuniäre Interessen: Lagerhaltungen seien mit Kosten verbunden, und Apotheker ersparen sich viel Geld, wenn sie nicht mehr alle Arzneimittel lagernd haben, sondern eben nur noch einzelne Generika. „Wir sollten hier mehr die Patienten im Fokus haben.“ Er sehe jedenfalls keinen Vorteil für die Patienten und pocht darauf, dass die Verschreibung von Medikamenten Aufgabe des Arztes sein. Doch auch in der Apothekerschaft gibt man sich abwartend. „Die Apothekerschaft hat die Wirkstoffverschreibung nur zur Lösung von Lieferengpässen gefordert“, Apothekerverbandspräsident Jürgen Rehak zu RELATUS. Nachsatz: „Wenn die Gesundheitspolitik das jetzt umsetzen möchte, werden die Apotheken das natürlich mit all ihrer Expertise umsetzen.“ (rüm)