Im RELATUS-Interview erklärt Gesundheitsminister Rudolf Anschober den Kampf um ausreichend Grippe-Impfstoffe im Herbst und wie er die niedrige Impfquote erhöhen will. Aufhorchen lässt er im Hinblick auf einen potentiellen Corona-Impfstoff. Damit dieser allen Ländern zur Verfügung stehen kann, hält er eine Patentfreistellung für sinnvoll.
Experten warnen vor einem Zusammentreffen von Grippewelle und Corona-Pandemie im Herbst und Winter und fordern ausreichend Grippe-Impfungen. Die Impfbereitschaft ist aber gering. Wie soll das gehen? Das ist eine der größten Herausforderungen für den Herbst. Vor allem, weil wir in Österreich nach wie vor mit einer für mich rätselhaften Impfskepsis konfrontiert sind. Es muss einen Hintergrund geben, warum wir bei einer Durchimpfungsrate von acht bis neun Prozent herumgrundeln. Das ist schon absurd: Wir warten alle auf einen Corona-Impfstoff und dort wo wir einen Impfstoff haben, benützen wir ihn nicht. Ich bin kein Vertreter der Impfpflicht, aber wir müssen die Eigenverantwortung stärker in den Mittelpunkt rücken. Dazu wollen wir auch den elektronischen Impfpass forcieren. Die erste Stufe wollen wir im Herbst einführen, der Endausbau wird bis Herbst 2021 abgeschlossen sein. Aktuell nehmen wir die Grippeimpfung ins Gratiskinderimpfprogramm auf, auch ein Gratisimpfprogramm für ältere Menschen wird kommen. Durch das Kinderimpfprogramm wird die Influenza-Impfung – neben den bisherigen Impfstoffen wie Masern-Mumps-Röteln, HPV und Pneumokokken – für Kinder und Jugendliche gratis. Außerdem kann die Impfung Kindern als Spray verabreicht werden, also ohne Nadel.
Es gibt Kritik, dass zu wenig Influenza-Impfstoff bestellt wird. Sind Sie zu spät dran? Wir nehmen jetzt 3,2 Millionen Euro in die Hand, um die Grippeimpfung mit zusätzlich 200.000 Dosen ins Kinderimpfprogramm aufzunehmen und nochmals denselben Betrag für das Impfprogramm für Ältere. Im Gegensatz zu Corona sind Kinder bei Influenza wesentliche Überträger. Der Grippeimpfstoff hat in der Produktion aber eine lange Vorlaufzeit. Hinzu kommt, dass die Menge an Grippe-Impfstoff für Europa bereits vor der Corona-Krise festgelegt wurde. Österreich hat die Menge für 2020 im Herbst 2019 eingemeldet und hier auch zusätzliche Mengen bestellt. Corona hat uns gezeigt, dass wir mehr brauchen, weshalb es in allen EU-Ländern zu wenig davon geben wird. Das kann man deshalb jetzt nicht mehr vollends korrigieren. Wir haben aber versucht, kleinweise bei Produzenten noch Erhöhungen durchzubekommen. Ich gehe mit allen Maßnahmen von einer Erhöhung von 20 bis 30 Prozent aus. Damit werden wir aber auf eine Impfquote von 15 bis 20 Prozent kommen, und das ist immer noch deutlich zu wenig.
Kritiker und die Opposition könnten Ihnen im Herbst Versagen vorwerfen, wenn es einen Run auf die Grippe-Impfung gibt. Wir haben in dieser Frage einen guten Diskurs mit den Oppositionsparteien. Die wissen, dass ich nicht im Nachhinein die Dinge vollständig korrigieren kann. Man kann nicht ein halbes Jahr nach dem Reservierungszeitpunkt versuchen, eine Vervielfachung zu erreichen. Dazu ist die Situation in allen Staaten zu angespannt. Wir versuchen mit der EU eine Nachproduktion zu erreichen, ähnlich wie wir auch auf EU-Ebene versuchen, die Produktion von einem allfälligem Corona-Impfstoff zu sichern.
Im Hinblick auf einen Impfstoff gegen das SARS-CoV-2-Virus hat ein weltweiter Wettlauf eingesetzt. Könnte Österreich hier unter die Räder kommen? Hier wird weltweit von öffentlicher Seite die Forschung massiv unterstützt, damit wir rasch einen Impfstoff haben. Das ist ein Wettlauf mit der Zeit. Ich gehe davon aus, dass durch konkrete Verträge auf EU-Ebene ausreichende Mengen gesichert werden. Es geht hier um faire Bedingungen und eine gerechte Verteilung auch unter einzelnen Staaten. Es darf nicht passieren, dass reiche Staaten anderen den Impfstoff wegkaufen.
Es fließen auch viele öffentliche Mittel in die Forschung. Experten schlagen vor, dass man dadurch auch Einfluss auf Mengen und Preise geltend machen sollte. Wie sehen Sie die Debatte? Durch die Pandemie haben wir alle gelernt, dass die Krisenvorsorge auf europäischer Ebene, wie etwa in Bezug auf elementare Versorgungsstrukturen, verbessert werden muss. Was die Arzneimittelstrategie angeht, so soll diese unter der deutschen Präsidentschaft ausgearbeitet und in den nächsten Monaten vorgelegt werden. Gerade bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs ist ein gemeinsames europäisches Vorgehen von großer Bedeutung. Es laufen bereits Gespräche mit der Industrie, damit später der Zugang zu dem Impfstoff, der noch zu entwickeln ist, auch gewährleistet ist. Eine Patentfreistellung eines potenziellen Corona-Impfstoffes wäre aber sicher die beste Lösung.
Sie haben den elektronischen Impfpass angesprochen. Wie sehen die Pläne genau aus? Wir wollen als erste Priorität den elektronischen Impfpass in die Fläche bringen und hier auch die Ärzte in Boot holen. Solange wir nicht erinnert werden, sind wir träge und manches wird auch einfach verschwitzt. Die niedrige Impfquote ist nicht immer ein Verweigern des Impfens, sondern oft vielfach ein Vergessen des Zeitpunktes. Der E-Impfpass ist ein wichtiges Instrument, das wir aufgrund der Coronakrise nun vorziehen und bereits im Herbst mit einem Pilotprojekt starten werden. In einem ersten Schritt soll der E-Impfpass im Zuge des Pilotprojektes den Papierimpfpass mit den damit verbundenen Nachteilen ersetzen. In einem weiteren Schritt soll ein zentrales Impfregister unter strengsten Auflagen des Datenschutzes geschaffen werden, das eine schnellere Verfügbarkeit von Impfinformationen schafft. Somit werden valide Aussagen zu Durchimpfungsraten möglich. Ein zentrales Ziel ist es, eine Erinnerungsfunktion zu schaffen, die vor allem Vorteile für Patienten und Ärzte bringen wird. Im Zuge des Pilotprojektes sollen vor allem Anwendbarkeit, Akzeptanz bei Ärzten und Patienten sowie die Funktionalität evaluiert werden und in die weiteren Ausbauschritte einfließen.
Welche Pläne haben Sie zudem, um eine zweite Welle im Herbst möglichst gering zu halten? Es geht darum, wie wir Risikogruppen bestmöglich mit einer Grippe-Impfung schützen können, damit die Doppelbelastung für das Gesundheitswesen gering ist. Grundsätzlich sind wie schon gesagt Kinder – anders als bei Covid-19 – Hauptüberträger der Influenza. Für den Herbst und Winter setzen wir zudem darauf, dass die Maßnahmen, auf die wir als Allererstes gesetzt haben, nämlich Hygieneregeln wie Desinfektion und Händewaschen sowie Abstand halten, weiter beachtet werden. Der dritte Hebel gegen eine neue Infektionswelle im Schatten der Grippe wird eine Ausweitung der Testprogramme unter anderem auch mit einer deutlichen Aufwertung der praktischen Ärzte sein. Die Differenzierung und Testung wird im Herbst nicht mehr nur über die Hotline 1450 laufen können, hier werden wir stark die Allgemeinmediziner vor Ort brauchen.
Das Interview führte Martin Rümmele