Die Apotheken sollen als zentrale Versorgungsstufe im Gesundheitssystem verankert werden, fordert Apothekerkammer-Präsidentin Ulrike Mursch-Edlmayr von der kommenden türkis-grünen Bundesregierung. Im RELATUS-Interview plädiert sie zudem für einen Kampf gegen Liberalisierungsbemühungen.
ÖVP und Grüne stehen kurz vor einer Einigung bei den Regierungsverhandlungen. Welche Erwartungen und welche Forderungen haben Sie an die künftige Regierung? Die Vorschläge der österreichischen Apothekerschaft an die neue Bundesregierung sollen Eingang ins Regierungsprogramm finden. Wir fordern und erwarten das strategische Bekenntnis zur öffentlichen Apotheke als sicherem Arzneimittelversorger in der bestehenden flächendeckenden Verteilung. Die Rolle der heimischen Apotheken als zentrale Versorgungsstufe ist von der kommenden Bundesregierung fix in der Architektur des österreichischen Gesundheitssystems zu verankern. Wir brauchen eine Stärkung der Apotheke vor Ort, um die rasant wachsenden Herausforderungen auch in Zukunft meistern zu können. In Deutschland etwa ist ein Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken in Ausarbeitung. In Großbritannien investiert die Regierung umgerechnet fast 15 Milliarden Euro, um die Rolle der dortigen Apotheken zu stärken und auszubauen. Auch in Österreich würden die Menschen von einem ähnlichen Engagement der kommenden Regierung profitieren.
Stichwort Lieferengpässe: Was braucht es, damit sich die Situation 2020 nicht verschlimmert sondern vielmehr sogar verbessert? Die Bemühungen der ständig tagenden Taskforce werden hoffentlich in konkrete Maßnahmen münden. Wir erwarten mehr Transparenz und die Umsetzung einer Verordnung über Meldeverpflichtungen des Zulassungsinhabers bei Einschränkungen der Vertriebsfähigkeit. Zusätzlich ist die Möglichkeit von Exportverboten bei versorgungsrelevanten Arzneimitteln im Falle von Lieferengpässen geplant. Im Hinblick auch mehr Transparenz braucht es eine tagesaktuelle Datenlage auch in der Ärztesoftware, damit der Arzt schon bei der Verschreibung eines Arzneimittels auf die Daten zur aktuellen Liefersituation zugreifen kann.
Was sind die wichtigsten Punkte, die im kommenden Jahr Ihrer Meinung nach auf jeden Fall gesundheitspolitisch umgesetzt werden müssen? Die Preisstruktur der Medikamente muss mit Fokus auf Anpassung auf den europäischen Durchschnitt und auf Indexierung überdacht werden, vor allem bei niedrigpreisigen Arzneimitteln und im generischen Bereich. Die Rahmenbedingungen für Produktion und Lagerung von Arzneimitteln in Europa müssen verbessert werden. Die Vorschläge der österreichischen Apothekerschaft an die neue Bundesregierung sollen Eingang ins Regierungsprogramm finden. Wir erwarten erfolgreiche Vertragspartner- und Wirtschaftsverhandlungen mit der neuen Sozialversicherung und dem Dachverband. Zudem ist die geplante Apothekengesetznovelle voranzutreiben.
Wie rüstet sich die Kammer auf weitere Liberalisierungsversuche wie zuletzt durch dm oder die Bundeswettbewerbsbehörde? Die Apothekerkammer hat ihre vielen Argumente gegen derartige Versuche schon bisher immer klar kommuniziert und wird dies auch weiterhin tun. Liberalisierung darf niemals auf Kosten der Patienten- und Arzneimittelsicherheit und auch niemals auf dem Rücken der Apothekerschaft gehen. Wir lehnen Forderungen ab, die unter dem angeblichen Motto des fairen Wettbewerbs zu Monopolisierungen führen, Apotheken unfair benachteiligen und damit mittelfristig die Versorgung gefährden.
Was macht Ihnen die größten Sorgen für die Zukunft, wenn Sie die Entwicklungen im Gesundheitswesen betrachten? Die mittel- und langfristige Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems sowie durch Digitalisierungsmaßnahmen und EU-Richtlinien überbordender Aufwand für die Apothekerinnen und Apotheker vor Ort bei gleichzeitig fehlender Honorierung und immer weniger Zeit für die Patienten. Problematisch ist auch der lineare Verfall der Vergütung der Apothekenleistung. Der Preisdruck, besonders jener im Bereich der Niedrigpreisarzneimittel schafft Versorgungsprobleme. Hier ist eine Indexierung dringend notwendig.
Was stimmt Sie optimistisch? Die neue Sozialversicherung, die eine österreichweite Harmonisierung der Leistungen erreichen möchte, für Bürokratieabbau steht und eine Patientenmilliarde in die Verbesserung der Gesundheitsversorgung investiert. Und hoffentlich eine handlungsfähige Regierung, die eine Legislaturperiode überdauert.
Das Interview führte Martin Rümmele