Zu wenig Geld, zu wenige Studien, zu wenige Daten – laut Expert:innen für Kindergesundheit gibt es in Österreich Aufholbedarf.
Wer sich in Österreich mit der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen beschäftigt, wird mit einer hohen medizinischen Komplexität und schwierigen Rahmenbedingungen konfrontiert. Das hat sich auch durch die Pandemie nicht geändert. Kinder- und Jugendgesundheit seien erst in den vergangenen Monaten langsam wieder in den Vordergrund gerückt. Da waren sich die Expert:innen beim Innovation Hub der Pharmig zum Thema einig. Es seien zwar seit der Arzneimittelnovelle 2017 über 300 Medikamente in der Zulassung, laut Paul Plener, Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Medizinischen Universität Wien, hätte sich in seinem Fachgebiet aber seit ungefähr vier Jahren nichts mehr getan. „Es gibt so gut wie gar keine Innovation. Die großen Pharmafirmen haben sich aus der Nervenheilkunde und der Psychiatrie zurückgezogen. Da passiert auch bei den Erwachsenen wenig“, sagt Plener. Beispielsweise gäbe es in Österreich derzeit nur ein einziges für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren zugelassenes Antidepressivum. Und auch bei anderen Symptomen und Indikationen sei die Lage „unbefriedigend“. Wie auch sein Kollege Kaan Boztug, Wissenschaftlicher Direktor des St. Anna Children’s Cancer Research Institutes, betont Plener die Wichtigkeit des Verständnisses von Mechanismen auf der molekularen Ebene von Erkrankungen an. Off-Label-Use sei in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nichts Ungewöhnliches, denn wenn man weiß, was auf molekularer Ebene passiert, kann man eine Substanz, die für etwas anderes zugelassen ist, auch im eigenen Fach und/oder für andere Symptome anwenden.
Für Karl-Heinz Huemer, Regulator bei der Austrian Medicines & Medical Devices Agency (AGES), sind die Zahl der Zulassungen nur ein Teil des Gesamtbildes. Das Generieren von Daten sei ebenfalls wichtig. Aber auch hier gibt es laut Expert:innen Verbesserungsbedarf, denn klinische Studien zu Arzneimitteln für Kinder und Jugendliche gäbe es zu wenige. Das läge laut Caroline Culen, Geschäftsführerin der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, auch an einer mangelhaften Gesundheitskompetenz der Österreicher:innen. Huemer spricht in diesem Zusammenhang die Wissenschaftsfeindlichkeit hierzulande an, welche das Recruiting für klinische Studien erschwere. Man sei hier aber auch einfach „schlecht organisiert“. Laut Culen braucht es mehr Zeit und mehr Personal, um in Zukunft besser aufgestellt zu sein. Es fehle außerdem an einer überzeugenden Datenlage, was auf eine nur langsam voranschreitende Digitalisierung zurückzuführen ist. Und gerade die sei wichtig, um junge Menschen zu erreichen.
Damit sich die Lage in Österreich für Kinder und Jugendliche verbessere und das Land auch für Investitionen und als Forschungsstandort attraktiver werde, gäbe es ein paar Maßnahmen, die „schon morgen“ angegangen werden könnten. Plener setzt sich hier besonders für die Erhöhung des Etats für Forschungsgesellschaften ein, außerdem wäre es sinnvoll, den aktuellen Gesundheitszustand der Österreicher:innen in einer Studie einzufangen. Einig sind sich die Expert:innen auch, wenn es darum geht, Dialog zu führen und sich besser zu vernetzen – Boztug lädt hier die Pharmaindustrie ein, auf ihn und seine Kolleg:innen aktiv zuzugehen. Damit man in Zukunft besser zusammenarbeiten und aufholen kann, brauche es aber auch Eingeständnisse der Politik. (kagr)