Arzneimittelengpässe verschärfen das Problem von Fälschungen, sagten Expert:innen am Dienstag. Das Geschäft sei lukrativer als Drogenhandel. Österreich meldet Rekordaufgriffe.
Weltweit machen die skrupellosen Erzeuger und Händler von gefälschten Medikamenten jährlich bereits Umsätze zwischen 200 und 300 Milliarden US-Dollar. Der heimische Zoll stellte im Jahr 2023 gefälschte Waren im Wert von 36 Millionen Euro sicher. Als besonders besorgniserregend wird der Anstieg an gefälschten Medikamenten eingestuft. Zwar sei die Gesamtzahl an Aufgriffen gefälschter Arzneimittel 2023 im Vergleich zum Jahr davor zurückgegangen, doch belegten die 6.734 Sendungen mit illegalen Medikamenten immer noch den dritthöchsten Platz in der entsprechenden Statistik des Zolls. Die Stückzahl illegaler pharmazeutischer Produkte, die häufig über vermeintlich seriöse Online-Portale von Konsument:innen bestellt werden, betrug im Vorjahr den Rekordwert von 801.863. Dies geht aus dem aktuellen Produktpirateriebericht hervor, der am Mittwoch im Finanzausschuss des Nationalrates einstimmig zur Kenntnis genommen wurde.
„Laut Weltgesundheitsorganisation sind je nach Weltregion zwischen zwei und 30 Prozent der verkauften Medikamente Fälschungen“, sagte Stephanie Beer, Mitarbeiterin des Forensic Labs von MSD in Schachen bei Luzern am Dienstag bei einem Hintergrundgespräch vor Journalist:innen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland. Im Grunde genommen gibt es kaum eine kriminell lukrativere Aktivität als das Fälschen von Arzneimitteln. „Da füllt man Kochsalzlösung in Fläschchen ab und verkauft sie um 1.500 US-Dollar, wenn nicht um mehr“, lautete eine der Aussagen in Luzern. Gefälscht werden aber auch moderne und komplexe Krebsmedikamente. Die Fälscher würden immer besser, hieß es. Der Gewinn sei größer als das Risiko entdeckt zu werden – und lukrativer als das Geschäft mit Drogen. „Drogenhandel ist ein Dreck dagegen. Die Margen sind enorm“, sagte Nicolas Florin vom Schweizer Verband für die Verifizierung von Arzneimitteln.
Arzneimittelengpässe würden das Problem zusätzlich verschärfen. Auch der Parallelhandel mache das Problem komplexer, weil mehr Marktteilnehmer kontrolliert werden müssen. Das Risiko für Drogenhändler erwischt zu werden und die Strafen seien wesentlich höher. Arzneimittel-Fälschungen würden oft nur als Betrug klassifiziert oder als Verstoß gegen Patentverletzungen. „Arzneimittelfälschungen sollen in Europa kein Geschäftsmodell sein. Die Sicherheit wurde erhöht. Was man dem Konsumenten aber raten muss: Arzneimittel sind am besten über die Apotheken zu beziehen. Da ist in Europa das Risiko für Fälschungen gering“, sagte Florin.
Vor einigen Jahren reichte es dem US-Pharmakonzern MSD: 2017 wurde in Westpoint (USA) das erste forensische Labor zur Untersuchung von möglichen Arzneimittel-Fakes etabliert. 2018 folgte für Europa, Russland und Zentralasien ein Labor in Schachen bei Luzern, im Jahr darauf wurde in Singapur die dritte derartige Einrichtung für den Fernen Osten in Singapur etabliert. Stephanie Beer: „Im Jahr 2022 hat unser Team 2.102 Fälle im Zusammenhang mit Produktsicherheit in 90 Staaten bearbeitet. Das führte zu 166 Festnahmen und zur Sicherstellung von 11.009 Einheiten gefälschter oder illegaler Versionen unserer Produkte.“ Die Untersuchung von Biotech-Produkten sei noch komplizierter als die von kleinen Molekülen. Im Endeffekt will der Konzern mit den Labors die Trennlinie zwischen Fälschungen und legalen Liefer- und Vertriebswegen für Arzneimittel dichter machen. Ein deutlicher Fortschritt war vor rund fünf Jahren die in der EU etablierte Serialisierung jeder einzelnen Packung verschreibungspflichtiger Arzneimittel, die vom Produzenten per QR-Code, Seriennummer und Versiegelung in das EU-weite System eingebucht und vom Leistungserbringer – vor allem die Apotheken und die Krankenhäuser – am Ende wieder ausgebucht wird. Österreich gilt hier als internationales Vorbild. In der Schweiz soll das Programm ab 2026 verpflichtend werden. (rüm/ag)