Die Stimmen von Intensivmedizinern und Epidemiologen werden lauter, dass die zweite Coronawelle heftiger ausfallen wird, als die erste. Die Ampel-Kommission hat am Donnerstag beschlossen, dass fast ganz Österreich auf Rot geschaltet wird. Kapazitätsgrenzen könnten rascher erreicht sein, als erwartet.
Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) rechnet mit bis zu 5.800 Neuinfektionen pro Tag in der kommenden Woche. Bei Neuinfektionszahlen über 6.000 könnte aber die die Intensivmedizin an ihre Grenze gebracht werden, „dann wären wir nicht mehr in der Lage, bestmögliche Medizin bereitzustellen“, warnte Klaus Markstaller, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), am Donnerstag. Setze sich der aktuelle Trend fort, könne „eine Überschreitung der Kapazitätsgrenzen Mitte, Ende November eintreten“, sagte Anschober. Problematisch sei, dass derzeit der Altersschnitt steigt und vermehrt wieder Infektionen in Alters- und Pflegeheimen auftreten. GÖG-Geschäftsführer Herwig Ostermann betonte: die Patienten werden „rasant mehr“. Ebenso rasant mehren sich die Warnungen von Experten.
Die Tatsache, dass bereits aus mehreren Bundesländern Meldungen kommen, ihre intensivmedizinischen Kapazitätsgrenzen seien bald erreicht, vermittelt ein Bild der realen Situation in den Spitälern, heißt es seitens der ÖGARI. Auch die Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl von der Meduni Wien sieht den starken Zuwachs an Corona-Patienten, die im Spital aufgenommen werden müssen, mit Sorge. „Die Zunahme ist schon besorgniserregend“, vor allem müsse man den Zeitablauf bedenken, sagte sie. Denn: „Die Intensivbetten und die Belegung der Spitalbetten entspricht ja der Infektion, die vor zwei bis drei Wochen stattgefunden hat und reflektiert noch gar nicht die Zahlen die wir heute haben.“ Zudem werde die Nachverfolgung der Infektionen immer schwieriger. Wenn das Contact Tracing nicht mehr funktionieren sollte, dann müsse man in weiterer Folge „ganz stark in den Schutz der vulnerable Gruppen gehen“. Das Problem bei COVID-19 sei ja nicht nur die Erkrankung selbst, sondern die Gleichzeitigkeit. „Wenn nur eine Million das gleichzeitig hat, kann man sich ausrechnen, was das für die Intensivstationen bedeutet.“ Dann würden nämlich auch für andere Fälle keine Intensiv-Betten mehr zur Verfügung stehen.
Die Lage in Österreichs Spitälern spitzt sich jedenfalls zu. Nachdem Oberösterreich am Dienstag als erstes Bundesland bekannt gab, geplante Eingriffe zu verschieben, gibt es ähnliche Pläne in Wien. „In den nächsten Tagen“ soll damit begonnen werden, elektive Eingriffe zu verschieben, sagte Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) am Mittwoch. Die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) hält wenig von der Verschiebung nicht lebensnotwendiger Operationen. Manche Eingriffe verbesserten die Lebensqualität und würden Arbeitskräfte erhalten, argumentierte ÖÄK-Vizepräsident Harald Mayer in einer Pressekonferenz. Er warnte aber davor, dass „wir zuerst ein Personalproblem bekommen, bevor wir ein Maschinenproblem bekommen.“ So könnten hoch spezialisierte Intensivmediziner früher fehlen, als etwa Beatmungsgeräte. (red)