Die öffentliche Hand habe den Großteil der Covid-19 Impfstoff Forschung gezahlt, um die Seren dann teuer zu kaufen und zu warten, bis die Privatfirmen genug davon liefern können, kritisierten Experten am Mittwoch vor Journalisten. Sie forderten, dass der Patentschutz gelockert wird.
„Die Covid-19-Krise führt uns vor Augen, welche gravierenden Systemfehler wir über die vergangenen Jahrzehnte zugelassen haben“, sagte Claudia Wild vom Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA) in einem von „Diskurs – das Wissenschaftsnetz“ veranstaltetem Online-Pressegespräch. Noch nie in der Geschichte habe die öffentliche Hand so viel Geld in so kurzer Zeit in die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten gesteckt. Bei einer internationalen „Geber-Konferenz“ im Mai 2020 kamen von 50 spendablen Ländern 7,6 Milliarden Euro zusammen. Österreich sagte dabei 31 Millionen zu. Das Geld ging an die forschenden Pharmaunternehmen wie AstraZeneca, Pfizer, Biontech, Moderna oder Johnson & Johnson, rechnete Wild vor.
Zusätzlich minimierten Kaufvereinbarungen vorab, als noch niemand wusste, wie gut die Impfstoffe wirken können, die Risiken für die Hersteller, so die Sozialmedizinerin. Außerdem seien in den Jahrzehnten zuvor nicht bestimmbare Summen in die Grundlagenforschung eingeflossen, auf die jene Firmen aufbauen konnten. Insgesamt stammen laut Studien zwei Drittel der Forschungs- und Entwicklungsgelder aus öffentlicher Hand. Der Gewinn sei aber fast ausschließlich privatisiert. Wenn Probleme auftreten, wie die aktuellen Lieferengpässe bei den Herstellern, schade dies vor allem der Öffentlichkeit.
Es gäbe eine Reihe von Forderungen, wie man die Situation für die Bevölkerung verbessern könnte, und sie werden unter anderem von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sowie Nichtregierungsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen und die europäische Konsumentenorganisation BEUC unterstützt, erklärte Wild. Es wäre zum Beispiel möglich, bei Lieferengpässen und in Notfallsituationen wie der Pandemie den Patentschutz zu „flexibilisieren“. Laut dem internationalen „Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums“ (TRIPS-Abkommen) wären „Zwangslizenzierungen“ auch für patentgeschützte Medikamente zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gangbar. Das bedeutet, dass ein anderer Hersteller das Produkt zu festgelegten Lizenzgebühren an den Patenthalter herstellen kann. „Einige Länder wie Deutschland und Kanada haben bereits Maßnahmen gesetzt, um dies zu erleichtern“, so Wild. Werner Raza von der österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) kritisierte aber auch die Regierungen, weil die reichen Industrieländer das Beschaffungskonsortium für Impfstoffe der WHO (COVAX Initiative) ausgebremst hätten und sich einen Großteil der Impfstoffe sicherten, nämlich 70 Prozent der in den Jahren 2020 und 2021 verfügbaren Dosen.
Der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) sprach sich gegen eine Lockerung aus. Der Patentschutz sei Grundlage, dass medizinische Innovationen auf den Markt gebracht werden, merkte Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog in einer Aussendung an. Er ist der Ansicht, dass „keine einzige Dosis an Corona-Impfstoffen zusätzlich produziert werden würde“, wenn der Patentschutz falle. Die Herstellung dieser Arzneimittel sei „hoch komplex“ und nur wenige Unternehmen könnten dies. Der Patentschutz wirke als Treiber bei jedweder Forschung an innovativen Produkten. Öffentliche Gelder, die beispielsweise in Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Arzneimittelbereich fließen, erfüllen laut Herzog ebenfalls eine wichtige Anreiz- und Beschleunigungsfunktion. „Mit diesen Förderungen gehen Unternehmen sehr verantwortungsvoll um und es gibt klare Vereinbarungen, nach denen sich die Unternehmen, die die Förderungen erhalten, auch richten müssen.“ Damit einher geht etwa die Rückzahlung oder Abgeltung solcher Förderungen. (red/APA)