Das Gesundheitsministerium und der Pharmagroßhandel haben sich auf die Beschaffung wichtiger Wirkstoffe geeinigt. Die Apotheken sollen damit Lücken schließen, die Industrie fordert langfristigere Maßnahmen.
Wie schon im vergangenen Winter könnten auch heuer Arzneimittelengpässen zu Problemen bei der Versorgung führen. Laut dem Fachverband der chemischen Industrie Österreichs (FCIO) sind derzeit 582 Arzneispezialitäten nur eingeschränkt verfügbar. Um Versorgungsproblemen vorzubeugen hat sich das Gesundheitsministerium mit dem Verband der österreichischen Arzneimittelvollgroßhändler (PHAGO) nun deshalb auf die Beschaffung und Lagerung wichtiger Wirkstoffe geeinigt. Das Lager soll die nötigen Zutaten für gängige Antibiotika und für Medikamente gegen Erkältungssymptome umfassen. Durch die Lagerung von Rohstoffen können Apotheken dann bei Bedarf selbst Medikamente herstellen (magistrale Zubereitung). Die Entscheidung wird von der Apothekerkammer begrüßt: „Damit haben Apotheker:innen ein nützliches Werkzeug, um bestimmten Lieferengpässen bei Medikamenten effizient entgegenwirken zu können. Wir freuen uns, dass unsere Forderung umgesetzt wird“, erklärt Apothekerkammer-Präsidentin Ulrike Mursch-Edlmayr, die nun die Sozialversicherung am Zug sieht, die der Apotheker:innenschaft „zugesicherte inflationskonforme Anpassung der Herstellungskosten umzusetzen“.
Verantwortlich für die Beschaffung und Lagerung der Wirkstoffe, Hilfsstoffe und Packmittel ist der Pharmagroßhandel, der die Produkte bei Bedarf sofort an die Apotheken zur Weiterverarbeitung ausliefert. Zusätzlich stellt der Großhandel dem Gesundheitsministerium und dem Dachverband der Sozialversicherungsträger kontinuierlich vertiefte Informationen zu den aktuellen Lagerbeständen und möglichen Engpässen bereit. Neben der Einrichtung eines Lagers wurde außerdem ein sogenannter Infrastruktursicherungsbeitrag für Medikamente mit einem Preis unter 3,93 Euro vereinbart. Der Bund wird dem Pharmagroßhandel damit einen Teil jener Mehrkosten abgelten, die in den vergangenen Jahren entstanden sind. Ein entsprechendes Gesetz soll dem Parlament vorgelegt werden und rückwirkend ab 1. September 2023 gelten. Die Kostenschätzungen liegen bei 23 Millionen Euro.
Weniger begeistert von der Maßnahme der Wirkstofflagerung zeigen sich der Fachverband der Chemischen Industrie Österreich (FCIO) und die Pharmig, die freiwillige Interessenvertretung der österreichischen Pharmaindustrie. „Die Einigung von Gesundheitsministerium und Pharmagroßhandel ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Eine umfassende Strategie gegen anhaltende Arzneimittelengpässe sieht anders aus“, kommentiert Sylvia Hofinger, Geschäftsführerin des FCIO. Wer eine sichere Versorgung ohne Abhängigkeit von Lieferungen aus Niedriglohnländern wolle, müsse die höheren Herstellungskosten in Österreich bezahlen. Bei der Pharmig sieht man das ähnlich: „Das heute angekündigte Lager für bestimmte Arzneimittelwirkstoffe ist eine gute Maßnahme, um einzelne Spitzen bei der Nachfrage von Medikamenten abzufedern. Um die Problematik in der Medikamentenversorgung aber langfristig und nachhaltig zu lösen, müssen seitens des Gesundheitsministeriums unbedingt weitere Maßnahmen getroffen werden. Dazu zählt die Inflationsanpassung bei jenen Medikamenten, deren Preise unter der Rezeptgebühr liegen. Ebenso sollten weitere regulatorische Anpassungen erfolgen und vor allem auch eine Standortstrategie entwickelt werden, um die Abhängigkeit von Asien bei der Medikamentenproduktion zu verringern“, kommentiert Alexander Herzog, Generalsekretär der Pharmig.
Als „für diesen Winter nicht zweckmäßig“ hat sich laut Rauch die ursprünglich geplante Aufstockung der Vorräte von Medikamenten herausgestellt: „Die Bestellung von Medikamenten hat teils lange Vorlaufzeiten. Zudem hätten nationale Lager die europaweite Knappheit noch verschärft“, betont der Gesundheitsminister. Stattdessen werde der europäische Solidaritätsmechanismus „bei Bedarf helfen, die Medikamentenversorgung zu sichern“. Der angesprochene Solidaritätsmechanismus wurde kürzlich von der EU-Kommission vorgeschlagen. Dabei geht es darum, dass Mitgliedstaaten Medikamente bei Engpässen untereinander austauschen. Auch im vergangenen Winter waren Medikamente in den Mitgliedsstaaten teilweise sehr unterschiedlich verfügbar. (kagr)