Die EU-Gesundheitsminister haben am Dienstag über die Arzneimittelversorgung in der Corona-Krise und künftige Lösungen beraten. Diskutiert wird nun über eigene Produktionsstätten in Europa, um die Versorgung zu sichern und die Abhängigkeit von anderen Ländern zu mindern.
Die EU-Gesundheitsminister haben am Dienstag in einer Videokonferenz darüber beraten, wie angesichts der Corona-Pandemie die Arzneimittelversorgung in Zukunft sichergestellt werden kann. Die EU will die Abhängigkeit von Produktionen in Drittländern minimieren. Wie das gehen und wer das finanzieren soll, ist aber offen. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) berichtete nach dem Gespräch, dass sich Österreich, gemeinsam mit anderen EU Mitgliedstaaten bemühe, die Produktion wesentlicher Arzneimittel zurück in den EU-Raum zu holen. Österreich sei seit vielen Jahren ein traditioneller Standort für die Produktion hochwertiger und innovativer Arzneimittel, so Anschober.
Die Erfahrungen aus der Pandemie würden zeigen, dass die gemeinsamen politischen Bemühungen für einen Ausbau der Arzneimittelproduktion auf nationaler Ebene verstärkt werden müssen, um so eine unabhängige und krisensichere Versorgung der österreichischen Bevölkerung zu gewährleisten, widerholte Anschober eine bekannte Position. Gründe für Lieferengpässe sind für Anschober die Abhängigkeit der Hersteller von einem oder wenigen Vorlieferanten, die häufig außerhalb der EU sitzen. Lieferschwierigkeiten bei Ausgangsmaterialien und Rohstoffen führten in vielen Fällen in weiterer Folge zu Lieferengpässen auf dem europäischen Markt. Die Mehrheit der EU-Staaten und die EU-Kommission würden die Notwendigkeit für ein koordiniertes Vorgehen auf europäischer Ebene zur Bewältigung dieses Problems als dringlich erachten. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) setzt auf finanzielle Anreize, um die Produktion wichtiger Arzneimittel zurück nach Europa zu holen. „Europa muss bei Arzneimitteln wieder unabhängiger von Asien werden“, erklärte er am Dienstag. Spahn will das Thema zu einem Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr machen. „Wir wollen neue Lieferketten aufbauen, wir brauchen mehr Transparenz über Lieferengpässe und mehr Qualitätskontrollen“, erklärte er. EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides kündigte eine Pharmazie-Strategie an. Es werde um Verfügbarkeit, Bezahlbarkeit, Nachhaltigkeit und die Sicherung des Nachschubs gehen.
Zustimmung kommt in Österreich von der Industrie und den Apotheken. Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog begrüßt die Aussagen von Spahn und Kyriakides. Grund für die bestehende Situation sei der zunehmende Kostendruck, der es für pharmazeutische Unternehmen immer schwieriger mache, in Österreich oder Europa Produktionsstätten aufrecht zu erhalten, geschweige denn eine Produktion neu aufzubauen, sagt Herzog: „Die Preisspirale bei Arzneimittel dreht sich seit langem konsequent nach unten. Gleichzeitig steigen sämtliche Kosten, wie etwa Lohn- und Materialkosten. Wenn es gelingt hier neue, finanzielle Anreize zu schaffen, dann können wir durchaus zuversichtlich sein, dass Europa und Österreich als Produktionsstandort wieder attraktiver werden.“
„Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind in Österreich kein neues Phänomen. Während der Corona-Krise hat sich die Lage aber verschärft, weil die wichtigsten Hersteller von China und Indien aus agieren. Die Pandemie führt uns die Abhängigkeit von diesen asiatischen Produktionsländern schonungslos vor Augen und offenbart unsere Verwundbarkeit“, kommentierte auch Apothekerkammer-Präsidentin Ulrike Mursch-Edlmayr. Das herrschende Verständnis von Globalisierung, das der immer häufiger werdenden Auslagerung von Produktionen nach Übersee zugrunde liege, sei ernsthaft zu hinterfragen: „Globalisierung ist prinzipiell wünschenswert, sie muss aber von der Politik gelenkt werden.“ Schon jetzt würden Apotheker durchschnittlich zwei Stunden ihrer täglichen Arbeitszeit damit verbringen, vor Ort nicht erhältliche Arzneimittel für Patienten zu beschaffen oder das Problem anderwärtig, etwa durch Ausweichen auf ein wirkstoffähnliches Produkt, zu lösen. „In mindestens 95 Prozent der Fälle gelingt uns dies, aber Corona wird das Problem vergrößern.“ (red/APA)