EU-Kommission lässt ersten Alzheimer-Wirkstoff zu

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Die Europäische Kommission hat erstmals eine Alzheimer-Therapie zugelassen, die auf zugrunde liegende Krankheitsprozesse abzielt. Fachleute sehen allerdings noch viele Hürden.

Zuerst erteilte die EU-Behörde EMA kein grünes Licht für den Antikörper Lecanemab, dann ließ sich die EU-Kommission mit der Zulassung Zeit. Jetzt ist es doch so weit. Der Wirkstoff sei für eine Behandlung im frühen Stadium und das erste Medikament dieser Art, das in der EU zugelassen werde, teilte die Kommission mit. Fachleuten zufolge kommt aber nur ein sehr kleiner Teil der Alzheimer-Patient:innen für diese Therapie infrage. Dazu stellt der Einsatz enorme Herausforderungen an das Gesundheitssystem, sagte bereits im Sommer Bernhard Iglseder, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie ÖGGG im RELATUS-Interview. Das Medikament sei lediglich für möglichst nicht multimorbide Patient:innen in einem frühen Stadium der Erkrankung getestet worden. Der Großteil der Alzheimer-Patient:innen sei aber älter und multimorbid. In Österreich gebe es zudem nicht genügend Personal, um Diagnostik und die neue Therapie für alle schnell zugänglich zu machen, sagte er.

Expert:innen zufolge wird es überhaupt noch einige Monate dauern, bis das Mittel wirklich eingesetzt werden kann – unter anderem, weil der Hersteller verpflichtet wurde, ausführliche Handreichungen und Schulungen für Ärzt:innen auszuarbeiten und ein Beobachtungsregister anzulegen. Das Medikament wird alle zwei Wochen intravenös verabreicht. Es soll die Krankheit ein wenig verlangsamen, teilt die EU-Kommission mit. Man sei zu dem Schluss gekommen, dass der Nutzen des Arzneimittels bei einer bestimmten Gruppe von Patient:innen und unter bestimmten Voraussetzung die Risiken überwiege. Die Brüsseler Behörde folgte mit der Zulassung der Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA). Bisherige Alzheimer-Therapien behandeln nur Symptome der Krankheit, nicht ursächliche Prozesse im Gehirn. Das ist bei Lecanemab anders: Der Antikörper richtet sich gegen Amyloid-Ablagerungen im Gehirn und soll dadurch den Verlauf der Krankheit in einem frühen Stadium verlangsamen. Um Heilung oder Verbesserung geht es allerdings auch bei diesem Wirkstoff nicht – ein solches Mittel ist weiterhin nicht in Sicht.

Zugelassen ist Lecanemab nur zur Behandlung von leichter kognitiver Beeinträchtigung oder einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit. Der Grund ist, dass eine Entfernung der Amyloid-Plaques nichts mehr nützt, wenn diese schon irreversible Schäden im Gehirn angerichtet haben. Hinzu kommt eine weitere Einschränkung: Das Mittel soll nur für diejenigen Alzheimer-Patient:innen verwendet werden, die eine oder keine Kopie von ApoE4, einer bestimmten Form des Gens für das Protein Apolipoprotein E, haben. Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit für bestimmte schwerwiegende Nebenwirkungen – Schwellungen und Blutungen im Gehirn – geringer als bei Menschen mit zwei ApoE4-Kopien.

Unklar sind auch die Medikamentenkosten für Lecanemab in Europa. In den USA seien es etwa 26.500 US-Dollar jährlich pro Patient:in, berichten Agenturen. Hinzu kommen im Vorfeld einmalige Kosten für die Diagnostik in Höhe von geschätzt 1.400 bis 5.000 Euro. Die Kosten für die Verabreichung des Medikaments lägen groben Schätzungen zufolge bei etwa 6.000 bis 8.000 Euro jährlich. (rüm/APA)