Lieferengpässe, Patentschutz, Antibiotikaresistenzen: Das Europa-Parlament hat sich am Mittwoch mit der Reform des EU-Arzneimittelrechts beschäftigt. Dabei kam es zu Überraschungen.
Die Überarbeitung des EU-Arzneimittelrechts soll die Versorgung mit Arzneimitteln verbessern und sie leichter zugänglich und erschwinglicher machen, sowie Innovation – etwa im Bereich von Antibiotika – unterstützen. Das Gesetzespaket, das Humanarzneimittel betrifft, besteht aus einer neuen Richtlinie und einer Verordnung, die zuletzt für heftige Debatten gesorgt haben. Die EU-Kommission will den Patentschutz verkürzen und Firmen dann Verlängerungen als Bonus anbieten, wenn Medikamente rasch überall in der EU angeboten, Liefergarantien gegeben und neue Medikamente in wirtschaftlich unattraktiven Bereichen erforscht werden. Doch soweit dürfte es jetzt nicht kommen.
Die Abgeordneten wollen nun einen Unterlagenschutz von mindestens siebeneinhalb Jahren für neue Arzneimittel einführen (statt wie geplant 6 Jahre, derzeit sind es acht Jahre), zusätzlich zu dem Zeitraum des Marktschutzes von zwei Jahren nach der Marktzulassung (in dem Generika oder Biosimilars nicht verkauft werden dürfen), was bisher schon der Fall war. Pharmaunternehmen hätten Anspruch auf zusätzliche Datenschutzfristen, wenn sie medizinische Versorgungslücken schließen (+12 Monate), wenn sie vergleichende klinische Prüfungen durchführen (+6 Monate) und wenn ein erheblicher Teil der Forschung und Entwicklung des Arzneimittels in der EU und zumindest teilweise in Zusammenarbeit mit EU-Forschungseinrichtungen stattfindet (+6 Monate). Die Abgeordneten fordern außerdem eine Obergrenze für die kombinierte Datenschutzfrist von achteinhalb Jahren.
Eine einmalige Verlängerung (+12 Monate) der zweijährigen Marktschutzfrist könnte gewährt werden, wenn das Unternehmen eine Zulassung für eine zusätzliche therapeutische Indikation erhält, die im Vergleich zu bestehenden Therapien einen signifikanten klinischen Nutzen bietet. Für Arzneimittel, die zur Behandlung seltener Krankheiten entwickelt wurden („Orphan Drugs“), soll eine Marktexklusivität von bis zu elf Jahren gelten, wenn mit ihnen „große Lücken in der medizinischen Versorgung geschossen werden“. Um die Forschung und die Entwicklung neuartiger antimikrobieller Mittel zu fördern, wollen die Abgeordneten Markteintrittsprämien und Zahlungen für die Erreichung von Etappenzielen einführen (z. B. finanzielle Belohnung in der Frühphase, wenn bestimmte F&E-Ziele vor der Marktzulassung erreicht werden). Sie befürworten die Einführung eines „übertragbaren Gutscheins für die Unterlagenexklusivität“ für prioritäre antimikrobielle Mittel, der einen zusätzlichen Datenschutz von maximal 12 Monaten für ein zugelassenes Produkt vorsieht. Der Gutschein könnte nicht für ein Erzeugnis verwendet werden, für das bereits der maximale Zeitraum für den Unterlagenschutz gilt, und wäre nur einmal auf einen anderen Zulassungsinhaber übertragbar – könnte also auch gehandelt werden. Das Dossier wird vom neuen Parlament nach den Europawahlen vom 6. bis 9. Juni weiterverfolgt werden. Beobachter rechnen sogar erst mit Herbst 2025.
„In Summe ist es ein Gesetzespaket, das in einzelnen Teilen in die richtige Richtung geht, das aber gleichzeitig auch die Gefahr birgt, die Wettbewerbsfähigkeit Europas als Forschungsstandort zu gefährden“, kommentierte Alexander Herzog, Generalsekretär des Österreichischen Branchenverbandes Pharmig die Pläne. Die Verringerung des gesetzlichen Datenschutzes um sechs Monate sei, „zwar eine Verbesserung im Vergleich zum Vorschlag der Europäischen Kommission, lässt aber trotzdem befürchten, dass Investitionen in Forschungsprojekte in Europa dadurch zurückgehen werden.“ Denn wie lange neu entwickelte Produkte, ob Medikamente oder andere Innovationen, vor der Konkurrenz geschützt sind, ist ein wichtiges Kriterium dafür, ob man in risikoreiche Projekte investiert oder nicht, betont Herzog. „Zudem gelangt Europa im Vergleich zu den USA und China jetzt schon immer mehr ins Hintertreffen, was die Erforschung und die schnelle Verfügbarkeit innovativer Therapien betrifft. Dabei trägt dieser Industriezweig mehr zur Handelsbilanz der EU bei als jeder andere Sektor.“
Kritisch sieht er noch die Maßnahmen zur Bekämpfung von Medikamentenengpässen, die im Gesetzespaket festgeschrieben werden und wo fraglich sei, wie sinnvoll und praktikabel diese sind. So ist beispielsweise vorgesehen, die Meldeverpflichtung für pharmazeutische Unternehmen von zwei auf sechs Monate im Voraus auszuweiten, sollten Lieferschwierigkeiten absehbar sein. Dazu Herzog: „Probleme können unerwartet in der Produktion, genauso aber auch entlang der Lieferkette auftauchen. Das macht es generell schwierig, Lieferengpässe vorherzusagen, schon gar ein halbes Jahr im Voraus.“ (rüm)