Die soziale Isolation und Vereinsamung, die viele Menschen durch COVID-19 erfahren, wird zu einer beträchtlichen Zunahme an psychischen Erkrankungen führen. „Es ist zentral, dass wir uns darauf vorbereiten, was da auf uns zurollt“, warnte eine Expertin.
Ulrike Schmidt, Stellvertretende Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Bonn, die in Österreich intensiv mit der Ludwig Boltzmann Gesellschaft zum Thema psychische Erkrankungen in der Coronakrise zusammenarbeitet, warnt: „Wir müssen die Pandemie in zwei Wellen sehen. Die erste Welle ist die Welle der Infektionen. Danach kommt die Welle von Menschen, die aufgrund der Pandemie psychische Belastungen und Traumata erlitten haben.“ Die zweite Welle wird laut Schmidt in Abhängigkeit von den weiteren Beschränkungen erst einige Monate zeitverzögert sichtbar werden, sei aber unbedingt ernst zu nehmen: „COVID-19 macht einsam und kann viele wichtige Lebensbereiche wie das Arbeitsleben beeinflussen. Daher ist es zentral, dass wir uns auf das vorbereiten, was da auf uns zurollt.“
Die soziale Isolation belaste alle Menschen. Digitale Kontakte seien kein vollwertiger Ersatz. Auch bisher völlig Gesunde wären gefährdet, aus Einsamkeit und den weiteren Belastungen der Corona-Krise krank zu werden. Unter den Erwachsenen sind das zum einen jene Menschen, die bereits vor der Corona-Krise einsam waren. Schmidt: „Wer niemanden hat, ist besonders gefährdet.“ Zum anderen fielen jedoch auch Menschen, die ihr Sozialleben vor allem in der Arbeit hatten, häufig in ein Loch und sind anfällig, psychisch krank zu werden. Die Expertin prognostiziert auch, dass künftig Kinder und Jugendliche noch häufiger ein ungesundes Ausmaß an Internet- und Medienkonsum haben werden, weil sie während des Lockdowns häufiger als zuvor vor das Internet oder den Fernseher gesetzt wurden.
Schmidt unterstützt als Expertin die LBG-Initiative „Reden Sie mit! Was macht Corona mit unserer psychischen Gesundheit“ und ruft die Bevölkerung auf, bis zum 6. Juli unter https://corona.lbg.ac.at mitzumachen und anonym über die persönliche Betroffenheit während und auch nach Corona zu berichten. Die Ergebnisse dienen interdisziplinären Experten und Praktikern als Basis, um politische Handlungsempfehlungen zu entwickeln und neue Forschungsfragen zu identifizieren. (red)