Die EU-Wahl rückt näher und auch das Thema Gesundheit ist mittlerweile aus dem europäischen Kontext längst nicht mehr wegzudenken. Relatus PHARM hat die Spitzenkandidat:innen der Parteien zu den drängendsten Herausforderungen befragt.
Medikamentenengpässe, Lieferverzögerungen bei Medizinprodukten, Abhängigkeiten bei der Produktion von Arzneimitteln: Lassen sich diese Probleme besser nationalstaatlich, oder auf EU-Ebene lösen? Aktuell steht wieder einmal die Sicherstellung wesentlicher Schutzkriterien für die Bereitstellung von Arzneimitteln vor dem Hintergrund der geplanten Reform des EU-Arzneimittelrechts auf der EU-Agenda. Einige der in der Mitteilung der Europäischen Kommission „Reform des Arzneimittelrechts und Maßnahmen zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen“ festgehaltenen Ziele sind per se nicht schlecht, doch in ihrer Gesamtheit verfehlt die Kommission mit ihren Vorschlägen in der jetzigen Form die von ihr selbst gesteckten Zielsetzungen. Die Maßnahmen erweisen sich als ungeeignet, weil sie keine echte Entlastung darstellen beziehungsweise sogar kontraproduktiv wirken können, etwa, was die Planbarkeit betrifft. Zudem stehen einzelne Ziele auch im direkten Widerspruch, wie zum Beispiel der längere Unterlagenschutz mit der rascheren Einführung von Generika und Biosimilars oder die Forderung nach kostengünstigeren Arzneimitteln aus europäischer Produktion bei gleichzeitig verstärkter Umweltrisikobewertung. Ein gravierender Denkfehler ist der Kommission bei der geforderten Zulassungsverpflichtung in allen EU-Mitgliedstaaten unterlaufen, da der letzte Mitgliedstaat, mit dem die Erstattungspreise einer solchen Zulassung verhandelt werden, die größte Verhandlungsmacht besitzt, wodurch eine größere Preisspanne zwischen den EU-Mitgliedstaaten entsteht. Innereuropäisch führen große Preisdifferenzen jedoch zu einem Verteilungsungleichgewicht, sei es durch Kontingentierung seitens der Hersteller oder durch unerwünschten Parallelhandel. Eine verpflichtende EU-weite Zulassung sollte deshalb auch nur mit einem verpflichtenden „Preisband“ eingeführt werden.
Wie bewerten Sie sonst die neue, von der EU geplante Arzneimittelstrategie? Durch die neue Regelung würde zwar für bestimmte Arzneimittel eine längere Schutzdauer möglich, die Mindestschutzdauer würde aber um bis zu zwei Jahre sinken und die Vorhersehbarkeit, welche Schutzdauer ein neues Arzneimittel tatsächlich bekommt, reduziert sich. Im Sinne eines echten „Positiv-Anreizes“ sollte die bisherige Mindestschutzdauer beibehalten werden, die geplanten Verlängerungen der Schutzdauer für bestimmte Arzneimittel könnten zusätzlich eingeführt werden. Das Ziel, umweltfreundlichere Arzneimittel zu haben, ist grundsätzlich nachvollziehbar – allerdings sind gerade Maßnahmen wie die neue Richtlinie über die Behandlung kommunaler Abwässer, die eine verursacherunabhängige Belastung der pharmazeutischen Industrie bewirken, vollkommen kontrovers zum Ziel der erschwinglichen Arzneimittel und zum Ziel der Stärkung der europäischen Produktion. Generell ist festzuhalten, dass die vorliegenden Pläne primär eine zukünftige Verbesserung im Bereich der innovativen Arzneimittel darstellen, wohingegen die Versorgungssicherheit der Bevölkerung in den EU-Mitgliedstaaten und der Erhalt beziehungsweise Ausbau europäischer Generikaproduktion kaum mit konkreten Maßnahmen unterstützt werden.
Welches wären die drei wichtigsten Initiativen auf EU-Ebene in diesem Zusammenhang? Die FPÖ sieht hier folgende Reformvorschläge vor, die sie auch bereits im österreichischen Nationalrat eingebracht hat: Erstens, wie schon erwähnt: Die Aufrechterhaltung der bisherigen Mindestdauer für den Unterlagenschutz, sodass es durch die geplanten zusätzlichen Zeiträume für besondere Anwendungsgebiete oder Umstände zu einer echten Attraktivierung für die forschenden Unternehmen kommt. Einer Zulassungsverpflichtung neuer Arzneimittel in allen EU-Mitgliedstaaten ist aus österreichischer Sicht nur dann zuzustimmen, wenn diese für den Hersteller in einem einzigen Verfahren und mit einem auch für KMU bewältigbaren Aufwand möglich ist und ein definiertes europäisches „Preisband“ vorliegt. Zweitens: Die Arzneimittelindustrie darf nicht mit überschießenden, die Produktion noch weiter verteuernden oder ins Ausland verdrängenden Umweltauflagen belastet werden. Alle nationalen Handelsbeschränkungen für Arzneimittel im europäischen Binnenmarkt zwischen Industrie und Großhandel beziehungsweise Einzelhandel, also Apotheken, sind zu beenden. Drittens: Die Resilienz in der Arzneimittelversorgung muss erhöht werden – durch verstärkte Anreize für die europäische Produktion und eine breit aufgestellte Vertriebskette – dazu gehört die Belieferungspflicht der Hersteller an den vollsortierten pharmazeutischen Großhandel.
Ein anderer Aspekt in diesem Zusammenhang ist der Versandhandel von Medikamenten, der grenzüberschreitend stetig wächst. Internationale Onlineapotheken liefern auch nach Österreich. Welche Folgen hat das für Apotheken und wie soll sich die EU hier verhalten? Als FPÖ wollen wir die österreichischen Apotheken als wohnortnahe und qualifizierte Nahversorger für Medikamente schützen. Eine weitere Liberalisierung halten wir hier für gefährlich für die fachgerechte Beratung und damit den Schutz der Gesundheit und lehnen sie daher entschieden ab.
Die COVID-Pandemie hat auch die Schwachstellen in den Gesundheitssystemen aufgezeigt. Ist die EU auf eine nächste derartige Herausforderung mittlerweile vorbereitet? Sowohl in Österreich als auch in der EU müssen künftig transparente Beschaffungsvorgänge bei Impfstoffen, Medikamenten und Medizinprodukten garantiert werden. Es darf keine Bevormundung durch WHO und EU geben und keine Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen – das heißt Patienten, Gesundheitspersonal und Steuerzahler – hinweg. Die FPÖ tritt außerdem gegen eine Bevormundung durch intransparente Entscheidungen und ein Regime auf, das mit Befehls- und Zwangsgewalt, wie zum Beispiel Lockdowns, Testpflicht, Maskenpflicht und Impfpflicht die Bevölkerung in einer solchen Situation nicht bereit ist, zu überzeugen, sondern stattdessen einsperrt, bestraft und auch ökonomisch und sozial schädigt.
Welche Folgen erwarten Sie durch die Einführung des „European Health Data Space“? Die bisherigen Erfahrungen mit der digitalen Gesundheitsverwaltung in Österreich und in der EU sind vielfach datenschutzrechtlich problematisch, schränken die Selbstbestimmung jedes Einzelnen ein und führen dazu, dass die EU über die Gesundheitspolitik in Österreich in intransparenten Entscheidungsprozessen bestimmen möchte. Das lehnen wir ab. Opting-Out und die individuelle Selbstbestimmung über den Status und das Ausmaß der persönlichen Gesundheitsdaten muss ein Grundrecht sein. (Das Interview führte Evelyn Holley-Spiess)