Mag. Ingrid Reischl ist stellvertretende Vorsitzende im Dachverband der Sozialversicherungsträger, Vize-Obfrau der AUVA und Leitende Sekretärin des ÖGB.
COVID-19 legt die Stärken und Schwächen unseres Gesundheitssystems und unseres Sozialstaats wie ein Kontrastmittel offen, sagt Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin des ÖGB und langjährige Sozialversicherungsfunktionärin.
Die Zahlen rund um COVID-19 sehen vielversprechend aus, Infektionszahlen gehen zurück, Spitalskapazitäten sind genug vorhanden, Testkapazitäten sind hochgefahren. Zeit, ein erstes Resümee zu ziehen: Dass Österreichs Gesundheitssystem gut ist, wussten wir. Wie gut, konnten wir jetzt in dieser Belastungsprobe sehen. Der Spitalsbereich, die vielen Ärztinnen und Ärzte, telemedizinische Innovationen wie das e-Rezept oder die telefonische Gesundheitsberatung 1450 waren alles Elemente, die zum Meistern der Krise beigetragen haben. Aber auch, dass unser Krankenversicherungssystem sehr niederschwellig ist – es kann nicht sein, dass man, wie etwa in den USA, mit dem Job auch häufig seine Krankenversicherung verliert. Wenn die Pandemie eine Wirtschaftskrise auslöst, ist dies der wohl schlechteste Zeitpunkt.
Für die individuelle Gesundheit ist aber auch das Ansteckungsrisiko relevant, und dieses ist bekanntlich beim Home-Office am geringsten. Allerdings sind die Möglichkeiten, im Home-Office zu arbeiten, sehr unterschiedlich verteilt: Akademikerinnen und Akademiker konnten schon vor der Coronakrise deutlich häufiger von zu Hause aus arbeiten (Ärzte und Ärztinnen sind hier natürlich als wichtige Ausnahme zu nennen). Aktuelle Daten gibt es nur für die USA: Während bei den unteren 25 Prozent, gemessen am Einkommen, weniger als 10 Prozent von zu Hause arbeiten können, sind es bei den oberen 25 Prozent über 60 Prozent. Dementsprechend verschieden ist das Ansteckungsrisiko. Für Österreich können wir aktuell nur annehmen, dass die Schieflage ähnlich ist.
Was wir hingegen sicher wissen, ist, dass die wirtschaftliche Betroffenheit durch die Coronakrise sehr unterschiedlich verteilt ist: Einpersonenunternehmen und neuen Selbstständigen sind sofort ihre Einnahmen weggebrochen und die Arbeitslosigkeit, vor allem in den Branchen Gastronomie und Hotellerie, Handel und bei den Leiharbeitenden ist in kürzester Zeit rasant angestiegen. Die Betroffenheit von wirtschaftlichen Risiken ist somit auch hier schief verteilt.
Wir wissen auch schon lange, dass Arbeitslosigkeit einen negativen Einfluss auf die Gesundheit hat. Der Gesundheitszustand verschlechtert sich vor allem auch mit der Dauer der Arbeitslosigkeit. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir allen Menschen, die ihren Job verloren haben, sobald wie möglich wieder eine Perspektive geben. Als akute Behandlung zählt dazu die Erhöhung des Arbeitslosengeldes, aber auch, rasch eine arbeitsmarktpolitische Strategie auf den Tisch zu legen. Ansonsten drohen uns langfristige gesundheitliche Folgen für Hunderttausende – und zwar abseits des Virus.