Kassenverluste: ÖGK bremst neue Dienstwägen und Pharma

© Volkswagen AG

Das Minus der ÖGK steigt dramatisch. RELATUS-Recherchen zeigen, wie das Management nun den Rotstift ansetzen möchte.

Sechs Jahre nachdem der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Kassenzusammenlegung unter anderem mit Privilegien wie mehr als angebliche 160 Dienstwägen argumentiert hatte, wollte die ÖGK nun neue – elektronische – Dienstautos anschaffen. Privatnutzung inklusive, wie RELATUS-Recherchen zeigen. Doch damit dürfte es nun vorbei sein. „Angesichts der nachhaltigen Verkehrswende gab es die Überlegung in Hinblick auf den ökonomischen Nutzen, auf Elektromobilität umzustellen“, bestätigt der Generaldirektor und ehemalige ÖVP-Politiker Bernhard Wurzer auf RELATUS-Anfrage. Nachsatz: „Das gilt es aufgrund der aktuellen Finanzsituation neu zu bewerten. Derzeit sind keine Neuanschaffungen vorgesehen.“

Denn die ÖGK ließ am Wochenende mit einer Hiobsbotschaft zu ihrer vierteljährlichen Finanzprognose aufhorchen. Aufgrund der angespannten gesamtwirtschaftlichen Lage rechnet die ÖGK 2024 mit einem Bilanzverlust von 481 Millionen Euro. Es wird das sechste Verlustjahr in Folge sein. Die ÖGK schreibt damit seit der Gründung 2019 durchgehend rote Zahlen. In einer Aussendung spielt die Kasse das herunter: Das Minus mache 2,4 Prozent des Gesamtbudgets aus. „98 Prozent des Gesamtbudgets werden laufend in Leistungen für Versicherte investiert, nur zwei Prozent fließen in die Verwaltung.“ Das Problem: Für 2025 kann das Defizit laut ÖGK auf bis 800 Millionen Euro ansteigen.

Der Hintergrund: Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo rechnete Anfang des Jahres noch mit einem leichten Wirtschaftswachstum ab dem zweiten Halbjahr. Diese Annahme trat nicht ein, das Wachstum liegt nun bei Minus 0,6 Prozent. Die Rezession wirkt sich direkt auf die Beschäftigenzahlen aus: Stagnierende Beschäftigtenzahlen und die jüngsten Hiobsbotschaften über Personalabbau in der Industrie und Insolvenzen, wie jene von Kika/Leiner bedeuten auch weniger Einnahmen für die ÖGK. Die angespannte Lage am Arbeitsmarkt mit einer Arbeitslosenquote von sieben Prozent belastet die Kasse zudem.

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist ein nie dagewesener Anstieg bei der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen. Während im ersten Quartal noch ein Prozent mehr Arztbesuche zu verzeichnen waren, sind es im zweiten Quartal schon acht Prozent. Hinzu komme die demographische Entwicklung. Menschen ab 65 Jahren nutzen die e-Card mehr als doppelt so häufig wie jüngere Altersgruppen, was zu steigenden Ausgaben im Gesundheitssystem führt und langfristig finanzielle Herausforderungen für die Sozialversicherungssysteme schaffen kann. Die Selbstverwaltung der ÖGK habe das Management damit beauftragt, ein Maßnahmenpaket zur Kostendämpfung zu erarbeiten.

Auf RELATUS-Anfrage konkretisiert das Wurzer: „Für den Ausbau des niedergelassenen Bereichs hat die ÖGK in den vergangenen Jahren sehr viel Geld in die Hand genommen. Viele der Investitionen werden sich langfristig auszahlen, das werden wir in weiterer Folge erst in einigen Jahren spüren.“ Der diesjährige Bilanzverlust verlange aber schon jetzt nach einem Maßnahmenpaket. „Daran arbeiten wir mit Hochdruck.“ Neben den Kürzungen bei der geplanten neuen Dienstwagenflotte, dürfte das auch den Arzneimittelbereich treffen: „Es werden zwar weniger Medikamente verordnet, dafür aber teurere. Das ist an sich nichts Schlechtes. Der medizinische Fortschritt wird damit auch an die Versicherten weitergegeben. Wir wollen weiterhin die Möglichkeiten der modernen Medizin ausschöpfen, das muss allerdings gut gesteuert und begleitet sein. Die entsprechenden Fachbereiche sind dazu aufgerufen, die Zahlen zu analysieren, um ein datenbasiertes und treffsicheres Maßnahmenpaket zu schüren“, erklärt Wurzer.

Gleichzeitig finde auch eine Verlagerung der Leistungen aus dem Spitalsbereich in den niedergelassenen Bereich statt. Das zeige sich etwa bei MR- und CT-Untersuchungen. In Ballungszentren ist die Zahl der bildgebenden Verfahren in den vergangenen Jahren im niedergelassenen Bereich demnach um 68 Prozent gestiegen, während sie innerhalb der Krankenhäuser um 17 Prozent zurückgeht. Obwohl immer mehr Leistungen im niedergelassenen Bereich stattfinden, zahle die ÖGK weiterhin jährlich 5,4 Milliarden Euro für den Spitalsbereich.

Der aktuelle ÖGK-Obmann Andreas Huss (SPÖ) ortet auch Versäumnisse in den vergangenen Jahren. Die Kassenfusion habe nicht wie angekündigt eine Milliarde Euro gebracht hat, sondern werde den Beitragszahler:innen im Gegenteil bis 2028 rund 1,7 Milliarde Euro entziehen. „Die Befürchtungen und Warnungen der Arbeitnehmervertreter:innen in der ÖGK haben sich nun leider bestätigt. Bis zum Jahr 2028 sind weitere Verluste von über 4 Milliarden Euro in der Vorschaurechnung eingepreist.“ Die offizielle Vorschaurechnung zeige, dass die ÖGK auch in den nächsten Jahren strukturell im Minus steckt. Huss: „Das beweist, dass das Krankenkassensystem in einer Zeit mit Bevölkerungswachstum, älter werdender Bevölkerung, größerem Aufgabenspektrum auch durch die nötige Spitalsentlastung zusätzliches Geld braucht.“

Im Finanzausgleich sei zwar von einer deutlichen Ambulantisierung der Versorgung gesprochen worden, aber der Grundsatz, dass das Geld der Leistung folgen muss, wurde nicht realisiert. „Obwohl die Belagstage in den Krankenhäusern in den letzten zehn Jahren um bis zu 30 Prozent zurückgegangen sind, bekamen die Spitäler doppelt so viel Geld wie die niedergelassene Versorgung. Die kommende Regierung muss die bereits beschlossenen Priorisierungen nun endlich auch mit den nötigen Geldmitteln hinterlegen. Wir haben dazu vorgeschlagen, den Krankenversicherungsbeitrag des Staates für Pensionist:innen (Hebesatz) deutlich zu erhöhen.“ Statt für nachhaltige Verbesserungen für die Versicherten zu sorgen, sei durch die Reformen ein Milliarden-Grab geschaffen worden, kritisiert ÖGB-Gesundheitsexpertin Claudia Neumayer-Stickler.

Die Arbeitgeberseite versucht indes zu beruhigen: „Die ÖGK hat ihre Leistungen massiv ausgebaut, um die beste Versorgung für die Versicherten zu garantieren. Diese Leistungen werden auch immer stärker in Anspruch genommen“, erklärt Moritz Mitterer, Vorsitzender der ÖGK-Hauptversammlung, (ÖVP-Wirtschaftsbund). Die ÖGK habe auf Leistungsverbesserungen durch die Kassenfusion und eine stärkere Versorgung im niedergelassenen Bereich gesetzt. „Eine bessere Patientenlenkung und weitere Effizienzsteigerungen sind essenziell. Was es jetzt braucht, ist eine gemeinsame Vision, wie die Patientenversorgung künftig gestaltet wird, um auch in Zukunft die beste Versorgung für die Versicherten zu garantieren“, so Mitterer. (rüm)