Fachlich kompetenter, politisch unverbrauchter aber wenig politerfahrener Mediziner gegen politisch angeschlagenen aber taktisch versierten Politprofi im Kanzleramt: Ab Montag kommt es mit der Angelobung des neuen Gesundheitsministers auch zur Weichenstellung in der Corona-Politik.
Wie wird Wolfgang Mückstein (Grüne) als künftiger Gesundheitsminister agieren, fragen derzeit viele Menschen nicht nur im Gesundheitswesen, sondern in ganz Österreich. Sein Vorgänger Rudolf Anschober (Grüne) galt als Politprofi, aber als fachlich wenig erfahren in Gesundheitsfragen. Mückstein ist das Gegenteil: fachlich nicht nur in medizinischen Fragen, sondern auch in Public Health-Themen kompetent, aber politisch sicher weniger erfahren. Unruhe herrscht derzeit auch in der ÖVP, die lange darunter gelitten hatte, dass Anschober mit seiner ruhigen, ausgleichenden und offenen Art, bei der er auch Fehler eingestand, der ÖVP-Spitze den Rang abgelaufen hat. Der Schock der ersten Pandemietage an denen der grüne Minister Punkte sammelte und deshalb bei Pressekonferenzen ein schwarzes Gegenüber zur Seite gestellt bekam, sitzt tief. Jetzt hat ihnen der Koalitionspartner ohne große Vorwarnung einen neuen Gesundheitsminister präsentiert. Ein Mann, dem Menschen die ihn kennen, Mut und Entschlossenheit attestieren.
Es soll Beobachter geben, die vor allem der ÖVP und ihrer Spitze vorwerfen, dass es ihr in Sachen Pandemie gar nicht um Gesundheitsfragen und Public Health-Themen geht, sondern nur darum, möglichst wenig angepatzt durch die Krise zu kommen. Laufende Umfragen, so sagen Kritiker, gelten mehr, als die Expertise von Fachleuten. Die Frage von Lockdown oder Lockerungen habe längst nichts mit Zahlen zu tun, als mit Imagewerten und der abgefragten Meinung innerhalb der eigenen Wählerschaft, lautet der Vorwurf. Das alles mag vielleicht zu weit gegriffen sein, es zeigte sich allerdings in den vergangenen Wochen durchaus, dass der Kanzler sich dann in Gesundheitsthemen meldete, wenn es Positives zur berichten gab. Jüngstes Beispiel ist die Frage, ob die Lieferung von einer Million weiteren Impfdosen von Biontech/Pfizer nun dank der Bemühungen des Kanzlers „zusätzlich“ kommen, oder nur eine raschere Lieferung und ein Vorgriff auf den Herbst sind.
Tatsächlich geht es aber um die Frage, wer politisch in der Pandemiefrage punktet: Kanzler oder doch der neue Gesundheitsminister? Die ÖVP kämpft mit sinkenden Umfragewerten und Korruptionsvorwürfen. Mückstein gilt als Lockdownbefürworter und hat angekündigt, auch unpopuläre Entscheidungen treffen zu wollen, wenn es nötig ist. Auch wenn den Lockdown niemand mehr will, eine klare Linie wünschen sich viele Menschen. Die ÖVP will in jedem Fall einen weiteren Gesundheitsminister mit guten Umfragewerten verhindern. Bundeskanzler Sebastian Kurz hat deshalb am Wochenende einen Pflock eingeschlagen und für den Mai Öffnungsschritte angekündigt und zwar in allen Bereichen von Kultur über Sport, Gastronomie bis Tourismus gleichzeitig. Möglich mache das der „Impfturbo“, der durch die vorgezogenen Biontech/Pfizer-Lieferungen gelinge. Bis Ende kommender Woche wird ein detaillierter Öffnungsplan vorgelegt, so Kurz nach einem Gipfel von Regierung und Ländern Freitagnachmittag. Kurz drückt also aufs Tempo.
Hintergrund für den Vorstoß ist wohl auch die Sorge, dass der neue Minister von Erfolgen und Fortschritten beim Impfen in der öffentlichen Meinung profitieren könnte. Die Frage wird aber vor allem auch sein, wie gut sich Mückstein in der Öffentlichkeit präsentiert. Punktet er als entschlossener, medizinische kompetenter Macher oder wird er in den Mühlen des politischen Alltagsgeschäfts zwischen Verordnungen, Gesetzesänderungen, Stakeholderinteressen, den Bundesländerfürsten und der Oppositionskritik zermahlen? Zu hoffen ist, dass andere wichtige gesundheits- und sozialpolitische Themen dabei nicht untergehen. Die kommenden Wochen werden auch deshalb spannend sein. Sicher ist: die sonst übliche Schonzeit von 100 Tagen für einen neuen Ressortchef wird Mückstein nicht haben. (rüm)