Das Gesundheitsministerium hat Tausende Corona-Todesfälle „nachgemeldet“. Grund sind falsche Zahlen aus den Bundesländern. Warum dies das gesamte Gesundheitswesen erschüttern kann.
„Der scheinbare Anstieg der Covid-19-Todesfallzahlen kommt durch einen Datenabgleich zwischen der Todesursachenstatistik der Statistik Austria und dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS) zustande“, hieß es lapidar in einer Mitteilung des Ministeriums. Tatsächlich wurden dadurch mehr als 3000 Todesfälle gefunden, die Zahl der Covid-19-Toten stieg von 16.439 auf mehr als 20.000. Und viele Experten rätseln was hier wirklich passiert ist.
Die Nachmeldungen verteilen sich jedenfalls nicht gleichmäßig über die neun Bundesländer. Besonders stark „unterschätzt“ wurde die Zahl der Corona-Toten in Tirol. Hier war man bisher von 926 Todesfällen ausgegangen, tatsächlich war es aber ein Drittel mehr. Zur Erinnerung: das ist jenes Bundesland, wo gerade von Touristikern immer wieder die Dramatik der Pandemie klein geredet worden ist. Erst vor kurzem glänzte Tirols Wirtschaftskammerpräsident Christoph Walser (ÖVP) mit der Aussage: „Es kann nicht sein, dass ein Nasenstaberl sagt, ob ich krank bin oder nicht.“ Wer sich krank fühle, solle zuhause bleiben, wer sich gesund fühle, zur Arbeit gehen. „Wir müssen aufhören, gesunde Menschen wegzusperren“, unterstrich er.
Das Problem ist, dass die Daten nicht zentral, sondern von den einzelnen Bezirkshauptmannschaften ins EMS eingetragen werden, meint der Statistiker Erich Neuwirth, der während der Pandemie laufend die Zahlen analysiert hat und immer wieder vor Fehlinterpretationen gewarnt hat. „Die Datenqualität liegt an der Eingabe und an den Kontrollen der Eingabe“, sagte er nun in einem ORF-Interview. „Wenn die Daten nicht in Ordnung sind, ist es schwierig, gute Analysen zu erstellen.“ Es könne zu Problemen führen, wenn die Werte nicht einheitlich und klassifiziert eingetragen werden. Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) räumte am Donnerstag im Gesundheitsausschuss des Nationalrates ein, dass es Probleme bei der Datenlage gibt. Er leide selbst unter dem „unfassbaren Wildwuchs an Systemen“, hier müsse es rasche Verbesserungen geben. Allerdings brauche es auch die Bereitschaft der Länder, die notwendigen Daten zu liefern.
Übersetzt bedeutet das, dass die Länder offenbar tun, was sie wollen. Nach dem Chaos und Nichtfunktionieren des Contact Tracing in einzelnen Ländern und dem teilweise kläglichen Impfmanagement vor Ort, zeigen sich hier erneut massive Lücken. Gleichzeitig bremsen die Länder wiederholt den Bund in Sachen Pandemiemanagement aus – denken wir an die Impfpflicht, die von den Ländern dem Bund aufgezwungen und dann von genau diesen Ländern selbst wieder torpediert worden ist. Sieht man sich zudem die Daten der Infektionszahlen in den Ländern während der Pandemie an, gibt es auch Brüche etwa in den Testzahlen. Als beispielsweise im August 2020 und auch im August 2021 in einigen Ländern mit Sommertourismus die Infektionszahlen leicht stiegen, gingen die Tests plötzlich auf Null zurück. Ein Hinweis darauf wurde mit dem Argument abgetan, dass man Infektionszahlen kaum beschönigen kann, weil sich die korrekten Zahlen letztlich doch in den Spitals- und Todesdaten zeigen würden. Jetzt zeigt sich, dass offenbar Letztere auch nicht gestimmt haben.
Das mag ein Zufall sein. Das mag der Herausforderung der Pandemie geschuldet sein und es soll hier niemandem Absicht unterstellt werden. Das Problem geht aber weit tiefer: Welchen Gesundheitsdaten können wir in Österreich überhaupt noch trauen? Stimmen die epidemiologischen Zahlen der Bundesländer, auf denen die gesamte Planung des Gesundheitswesens aufbaut, überhaupt? Stimmen die Daten der Landesspitalsgesellschaften, die Basis für die LKF-Bepunktung und damit Krankenhausfinanzierung sind? Und was, wenn nicht?
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Föderalismus gesundheitsschädigend ist und sich die Bundesländer hier zunehmend als inkompetent erweisen. Es braucht endlich Transparenz über regionale Ausgaben, Erkrankungszahlen, Spitalsdaten und eine zentrale Steuerung. (rüm)